Todesruhe - Ein Fall für Julia Wagner: Band 2. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643077
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herausgestellt, dass er seine Finger offenbar auch noch in anderen kriminellen Geschäften hatte. Genau genommen war der Mann durch und durch böse und korrupt gewesen.

      Carina Färbert klappte den Ordner mit den Unterlagen der Voruntersuchung zu und machte sich eine kurze Notiz mit ihrem goldenen Füller, ehe sie zu Klaus Martin hinübersah, Leiter des LKA Niedersachsen, dem sie gegenübersaß und der sie aufmerksam beobachtete.

      „Hübsch“, bemerkte er und meinte den Füller.

      Sie antwortete nicht darauf, lehnte sich nur etwas zurück. „Leider können wir Lange nicht mehr verhaften“, sagte sie. „Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, ihn auf der Anklagebank zu sehen.“

      Martin nickte. Ihm auch. Weiß Gott. „Diese Geschichte wird lästig werden. Sehr lästig.“

      Die Oberstaatsanwältin nickte, richtete sich wieder etwas auf und steckte mit langsamen Bewegungen die Kappe zurück auf den Füller. „Lassen Sie uns auf Frau Wagner zu sprechen kommen. Was wissen wir bisher über sie? Ich meine, abgesehen davon, dass sie die Tochter des toten Staatsanwaltes Sven Wagner ist.“

      Martin räusperte sich und begann in einem Notizblock zu blättern, der auf seinem Schoß lag. „Julia Wagner … am 20. 12. 1977 in Hannover geboren. Größe 1,66 m, Gewicht 55 kg. Dunkelbraunes, halblanges Haar, braune Augen. War bis Januar dieses Jahres in Mainz gemeldet, wo sie bei der Mordkommission gearbeitet hat.“

      Carina Färbert hob eine ihrer beiden elegant gezupften Augenbrauen in die Höhe und wiederholte: „Mordkommission?“

      „Richtig. Allerdings hat sie den Job nur sechs Jahre gemacht, dann warf sie ihn hin. Dieses Jahr im Januar, wie gesagt. Bis dahin gab es jede Menge Empfehlungen, sie hatte eine Aufklärungsquote von siebenundneunzig Prozent.“ Martin brach kurz ab, weil er diese Art von Berichten eigentlich nicht mochte, die sich irgendein Sesselfurzer irgendwann einmal ausgedacht hatte, damit wieder andere Sesselfurzer die Effektivität der Polizisten im Dienst in kleinen Diagrammen verfolgen konnten, um sie regelmäßig in Rankings an Schwarze Bretter zu hängen. Bildlich gesprochen. „Auf jeden Fall war sie ziemlich gut. Und ziemlich schnell.“ Er blätterte. „Machte 1995 Abitur. Danach ging sie sofort zur Polizei. Dann folgte ein geradezu rasanter Aufstieg. Wurde bereits sehr früh zur Kommissarin befördert.“ Martin sah auf. „Man hätte sie gerne in Hannover behalten, aber sie zog schon wenig später nach Mainz und arbeitete von da an dort für die Mordkommission.“

      „Warum ausgerechnet nach Mainz?“, wollte die Oberstaatsanwältin wissen.

      Martin hob die Schultern. „Wir überprüfen das noch. Übrigens war sie in Mainz vor drei Jahren an einer ziemlich großen Sache dran, zusammen mit ihrem damaligen Kollegen, es ging um doppelten Kindsmord. Die beiden haben den Fall gemeinsam gelöst und ernteten dafür jede Menge Applaus.“

      „Hat dieser Kollege auch einen Namen?“

      Martin blätterte wieder. „Zander. Ist immer noch bei der Kripo in Mainz.“

      „Wenn Frau Wagner über einen solch guten Ruf bei der Polizei verfügte“, sinnierte die Oberstaatsanwältin, „warum hat sie den Job dann aufgegeben?“

      „Das wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, dass sie im Januar, quasi von heute auf morgen, Job und Wohnung gekündigt hat und dann für ein paar Wochen ohne festen Wohnsitz unterwegs war. Sie übernachtete immer nur für kurze Zeit in irgendwelchen Hotels und fuhr dann weiter. Immer an der Ostseeküste entlang.“

      „Und wissen wir auch, warum sie das getan hat?“

      „Nein. Bisher leider noch nicht. Das müssten Sie schon sie fragen, Frau Oberstaatsanwältin.“

      „Wenn ich sie fragen könnte, würde ich nicht mit Ihnen hier sitzen.“

      Eine passende Antwort formte sich in Martins Geiste, doch er hatte sich im Griff. „Die Besitzer der Hotels, in denen sie in den letzten Wochen abgestiegen ist, sagen alle unisono, dass sie nicht sehr viel gesprochen hätte, aber freundlich und unkompliziert gewesen wäre. Sie benutzt eine Kreditkarte, die sie für fast alles verwendet und deren Konto sie jeden Monat ausgleicht.“

      „Und woher nimmt sie das Geld dafür, wenn sie nicht mehr arbeitet?“

      „Auch das konnten wir bisher noch nicht nachvollziehen. Offiziell heißt es, sie hätte eine Erbschaft gemacht. Allerdings gestaltet sich die Glaubwürdigkeit dieser Aussage etwas schwierig, da sich weit und breit kein Verwandter mehr in Frau Wagners Umfeld befindet, der ihr etwas vererben könnte, weder lebend noch tot. Und da sie auch kaum Freunde und Bekannte hat … bis auf jene beiden ehemaligen Schulfreunde, mit denen sie sich in Wittenrode getroffen hat, Greger Sandmann und Eva Haack. Sandmann ist inzwischen nicht mehr am Leben, wie wir wissen. Frau Haack wurde in der Kapelle an ein Kreuz genagelt und hat die Sache nur knapp überlebt. Beide verfügen über keinerlei Vorstrafen und scheinen nur durch Zufall in die Geschichte geraten zu sein.“

      „Wissen wir, warum sich die beiden mit Frau Wagner in Wittenrode trafen?“

      „Zur Beerdigung einer weiteren alten Freundin: Kerstin Jakob. Sie hatte sich im Gefängnis das Leben genommen, nachdem sie den Mord an ihrem Mann gestanden hatte.“

      „Dem Schlachter von Wittenrode“, erinnerte sich Carina Färbert. „Den sie aber gar nicht getötet hat.“

      „Nein. Auch dahinter steckte Wolfgang Lange.“

      Die Oberstaatsanwältin zog düster die Augenbrauen zusammen, und Martin kam eilig zum Ende: „Julia Wagner verfügt über keinerlei uns bekannten Schulden. Kein Ärger mit dem Finanzamt. Sie fährt einen ziemlich alten Volvo. Mit amtlicher Zulassung und bezahlter Versicherung. Das war es.“ Damit klappte er den Notizblock zu und legte ihn zurück auf seinen Schoß.

      Zwanzig Sekunden blieb es daraufhin still, während Carina Färbert nachdenklich an ihrer Unterlippe zupfte. Dann richtete sie sich auf und sagte: „Gut. Nein, ganz und gar nicht gut.“ Sie seufzte. „Wir werden uns mit Frau Wagner unterhalten, sobald sie in der Lage dazu ist.“

      „Wir?“ Martin blinzelte.

      „Nun, ich war schon lange nicht mehr draußen auf dem Schlachtfeld. An der Basis, sozusagen.“ Carina Färbert nickte unterstreichend. „Und in diesem Fall bin ich unbedingt der Meinung, dass ich mich persönlich mit Frau Wagner unterhalten sollte. Und dann … Nun ja, je eher die Akte geschlossen ist, desto besser.“

      „Und Sie arbeiten wirklich bei der Mordkommission?“, fragte Sissi, deren Nachname Zander schon wieder entfallen war, zur gleichen Zeit und zog dabei kokett die blonden Augenbrauen nach oben. „Wie ist das so? Was müssen Sie da so alles sehen? Lieber Himmel, das muss ja aufregend sein!“ Sie gestikulierte mit den Händen, während die Worte ohne Atempause aus ihrem Mund purzelten.

      Zander lehnte sich schwer in seinen Stuhl zurück. „Es ist ein Job. Und irgendjemand muss ihn schließlich machen, nicht wahr?“

      Nebeneinander saßen sie am Ende eines ausgezogenen Wohnzimmertisches, bei seiner Schwester Nicole in Mainz. Er trank einen großen Schluck Kaffee und ließ den Blick zum Schrank schweifen, der die ganze Wand einnahm. Er war deckenhoch und erdrückte alles andere im Raum. Symptomatisch für den Rest des Hauses bogen sich die Borde unter einer Flut von Porzellan, Kleinkram und von Kindern getöpferten Kunstwerken und Bildern. Überall verteilt standen Familienfotos, darunter auch eins von ihm selbst.

      Auf der anderen Seite des Tisches saß Nicole, die ihr glattes dunkles Haar lose hochgesteckt hatte und mit ihrem Mann Jonas und den beiden Kindern gestikulierte. Es war ihr dreiundvierzigster Geburtstag, deshalb saßen sie alle zusammen hier, aßen Kuchen und tranken Kaffee. Das Lachen und die hohen Stimmen hallten von der niedrigen Decke wider und versetzten Zanders rundem Schädel, der ohnehin schon ohne Unterlass brummte, noch zusätzliche spitze Stiche. Für gewöhnlich freute er sich, mit seiner Familie zusammen zu sein, aber er hatte in der letzten Nacht nicht gut geschlafen. Eigentlich passierte ihm das selten, er hätte auch nicht sagen können, warum.

      „Es tut mir leid“, sagte Sissi.

      Mühsam konzentrierte er