Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pavel Kohout
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711461457
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eines sommerlichen Gartens erschien Zet, fast ein Indiz dafür, daß wohl in Sázava gefilmt worden war. Den Inhalt kannten sie auch: meine Ablehnung des filipschen Märchens, der deutsche Journalist Riese sei unser böser Ohrenbläser gewesen; meine Verteidigung unserer Petition; mein Protest gegen die fortschreitende Restriktion meiner Bürgerrechte. Nichts davon konnte also Gegenstand eines dringenden Interesses sein, das meine erste Festnahme erklärte. Was dann? Vielleicht nur die amtliche Überprüfung meiner Nerven und Reaktionen? Meiner Belastbarkeit?

      «Ich möchte eine Grundsatzerklärung abgeben», sagte ich, erfolgreich bestrebt, daß meine Hände nicht zitterten, was mir der Gips an der Rechten leichter machte, «ein für alle Mal. Wenn ich Ihr Recht anerkenne, mir derartige und ähnliche Fragen zu stellen, gleicht es einem Geständnis, daß ich mich strafbarer Handlungen schuldig fühle. Deshalb werde ich weder jetzt noch später auf solche Fragen antworten.»

      Nur selten erlebte ich, daß eine so kurze Erklärung ein so langes Echo haben kann. Sie überboten sich in Drohungen, welche Folgen ein Beharren auf dieser Erklärung für mich haben würde. Dann kam der Augenblick, den der Dramatiker in mir als entscheidend begriff.

      «Solange Sie nicht antworten», verkündete mir Matura fast feierlich, «müssen Sie hierbleiben!»

      «Ach», sagte ich gähnend, «damit habe ich natürlich gerechnet.»

      Daß Gähnen bei mir nicht Ausdruck von Langeweile, sondern von äußerster Erregung ist, die mir wie Glut den Sauerstoff verbrennt, wußten bisweilen nur diejenigen, die mir ganz nahe standen. Der Gegner war davon immer sehr irritiert.

      «Wir haben viel Zeit, mehr als Sie!» prophezeite das Sönnchen.

      «Für Sie, meine Herren», sagte ich höflich, «bin ich dann wohl gezwungen, sie mir zu nehmen.»

      «Vorsicht! Wir sind hier nicht im Theater!»

      «Das beruhigt mich. Dort brauche ich manch anderes, hier nur Geduld, und von der hab’ ich so viel, daß ich noch etwas abgeben kann. Ich muß Sie nur darauf aufmerksam machen, daß Mittag ist. Wenn Sie mich hierbehalten wollen, besorgen Sie mir doch bitte sofort das Antibiotikum, das ich gerade einnehme, Sie haben mir ein kurzes Gespräch versprochen.»

      «Übertreiben Sie es nicht, Herr Havel!» warnte mich Matura.

      «Ich heiße Pavel. Mit Vornamen.»

      «Na und ...?»

      «Sie haben mich Havel genannt.»

      «Sie sind», sagte er aufrichtig empört, «einer wie der andere!»

      Irgend jemand steckte den Kopf zur Tür herein, als wolle er auf dem Pawlatschenhof den neuesten Prager Klatsch mitteilen: Der Palast Lucerna auf dem Wenzelsplatz habe gebrannt. Seltsam, ihn hatte ausgerechnet Havels Großvater vor dem Krieg gebaut. Meine Vernehmer schien das zu interessieren wie ein unerwartetes Sportergebnis.

      «Was sagen Sie dazu?» fragte mich Herr Sluníčko.

      «Ich bin froh, daß ich hier bin.»

      «Wieso ...?» wollten sie beide wissen.

      «Weil ich ein Alibi habe.»

      Um halb eins schrieben sie verdrossen in ihr Protokoll, daß ich es ablehne, auf irgendeine ihrer Fragen zu antworten, und daß ich mit allen entsprechenden Konsequenzen rechnen müsse. Sie gaben es mir zur Unterschrift. Die erfolgreiche Verteidigung beflügelte mich.

      «Sie müssen mir noch eine zweite Grundsatzerklärung erlauben. Um meinem Widerstand, mich von Ihrem Amt kriminalisieren zu lassen, sichtbaren Ausdruck zu verleihen, werde ich hier niemals ein Protokoll unterschreiben.»

      Sie wüteten eine weitere Stunde, suchten nach einem Paragraphen, doch eine solche Selbstverständlichkeit hatte der Gesetzgeber nirgendwo erwähnt. Sie entdeckten dabei erst jetzt, worauf mich die theoretische Vorarbeit gebracht hatte. Ich dachte an den Bruder von Josefa Slánská, der das ganze Martyrium der fünfziger Jahre ohne eine einzige Unterschrift absolviert hatte. Es hat ihm höchstwahrscheinlich das Leben gerettet, sie hängten lieber jene auf, die geständig waren. Er unterschrieb viele Jahre später, nach seiner Rehabilitierung, nicht einmal den Empfang von Zivilkleidung. Drei Tage versuchten sie ihn zu überreden. Dann warfen sie ihn einfach samt der Kleider hinaus in die Freiheit.

      So jetzt auch mich, in dem Glauben gefestigt, daß man sie nicht fürchten muß, solange man bereit ist, gegebenenfalls einige Zeit bei ihnen auf Besuch zu bleiben, falls man ihre unwiderstehliche Einladung nicht mehr abschlagen kann.

      13

      Böhmen, Winter 1973

      Am Sonntag, dem 3. Dezember, las ich bei Ivan Klíma den Brand im Souterrain vor, den ich dank seiner Herausforderung endlich zu Ende geschrieben hatte. Am nächsten Mittag rief mich der Prager Korrespondent des Ersten Deutschen Fernsehens, Rosenbauer, an. Er schnitt gerade eine Fernsehdokumentation über den Altstädter Ring, mit der er am nächsten Morgen nach Deutschland fliegen mußte, zum Vertonen und Mischen. Er bat mich um einen Kommentar. Ich bat ihn, mir den Film in der Redaktion auf dem Schneidetisch vorzuführen. Er versprach, mich am Abend zu Hause abzuholen. Ich versprach, den Text über Nacht zu schreiben.

      «Schönerrr Valterrrr!» lobte sich im Zimmer der Wellensittich, wie ihm das dreimal in der Woche seine älteste Bewunderin, Frau Máří, beim Saubermachen fasziniert wiederholte. Ich lag neben dem Käfig auf unserem einhundertfünf Zentimeter breiten grand-lit, dem letzten Gruß aus den Zeiten, in denen ich mein Solo-Leben verteidigte, und suchte auf der wie in allen meinen bisherigen Wohnungen blauen Decke den Grundriß einer Bühnenadaption von Kafkas Amerika, die ich damals gerade gemeinsam mit Klíma machen wollte.

      Zets schmalgliedrige Finger kneteten nebenan in der Küche barbarisch Hackfleisch mit Brötchen, in Milch getunkt, du saßst bei ihr, mein verfressener Dackel, und schautest aus wie das ärmste Gottesgeschöpf, das bald vor Hunger krepieren wird. Als es läutete, eine Stunde eher als es sollte, fingst du wütend an, an meiner Statt zu bellen. Königin der Laster ist für mich seit jeher die Unpünktlichkeit. Verdrossen ging ich dem unerzogenen Fernsehmacher öffnen.

      In der Tür stand ein Mann, der wie die Sonne in Kinderbüchern lächelte. Es war Herr Sluníčko, der mich schon im Oktober abgeführt hatte, diesmal begleitet von einem schmalen Jüngling mit postpubertärem Pickelgesicht. Eine neue Schicht Geheimer, die man soeben anlernte, versprach den weiteren Verfall der Zunft: Ihre Unbegabtheit für alles, was mit geistiger Anstrengung verbunden war, glichen die Lehrlinge durch Arroganz aus. Dieser gab sich grimmig, auch als mich sein Postenführer fast heiter bat, ihnen trotz fortgeschrittener Zeit in einer unaufschiebbaren Angelegenheit zu folgen. Zum Abendessen würde ich mich garantiert nicht allzusehr verspäten.

      Natürlich waren sie wegen meines Telephongesprächs mit Rosenbauer hier, das sie offenbar gleich zweimal auf den Tisch bekommen haben müssen, von seinen wie auch von meinen Abhörern. Wer weiß, was sie hinter den Worten Altstädter Ring witterten. Ich wollte jedoch vermeiden, daß ein westlicher Journalist in diesen Auftritt geriet. Noch immer bemühte ich mich, die Konflikte zu löschen, die sie anzündeten. Wie die anderen verfemten Autoren bot ich den verständigeren Kräften am Steuer des Staates, falls es sie gab, immer wieder die Gelegenheit an, dieses Abgleiten in die Vergangenheit aufzuhalten. Auch diesmal ging ich artig mit, ohne eine Einladung vom Amt gesehen zu haben.

      Bei dem schweigsamen Ritual im Auto dopte ich mich psychisch zum dritten Mal. Zu der Gewißheit, daß meine Taktik richtig, wirksam und beherrschbar war, trat jetzt Neugierde hinzu, die professionelle Neugier eines Schriftstellers auf eine Situation, die er sich freiwillig nie wählen würde; wenn er aber schon wie durch Jauche hindurchwaten mußte, dann wollte er von diesem Muß ohne Genuß wenigstens Nutzen haben. Seit dieser Nacht ermöglichte mir diese meine Einstellung, auch in so dramatischen Szenen, wie es im Januar 1977 die Entführung von Zet und ein Jahr später dein Sommer, der Sommer des Hundes, sein werden, aus der erniedrigenden Rolle des Machtlosen in die des Beobachters überzuwechseln. Ich war allen Dienern der ausgerenkten Macht gerade in der Gewißheit überlegen, daß ich einmal über sie zu schreiben wissen würde wie über exotisches Getier, das ich aus der Nähe hatte