Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711480380
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waren geschlossen, und George las im Schein einer hellen Lampe. Ein Obstmesser lag auf dem niedrigen Walnußtisch.

      »Es ist sehr spät«, sagte George. »Ich dachte, du wärst schon im Bett.«

      »Ich habe geschrieben«, erklärte John.

      »Geschrieben? Eine ermüdende Beschäftigung.«

      »Nur einen Brief«, fuhr John fort. »An Ellen.«

      »Das ist das ermüdendste überhaupt«, meinte George. »Einer Frau zu schreiben ist die reine Hölle. Sie bewahren die Briefe auf und werfen dir dann deine eigenen Sätze an den Kopf.«

      »Ellen nicht«, widersprach John. Er setzte sich seinem Bruder gegenüber und streckte seine langen Beine zum Feuer hin aus. »Mir fehlt deine Erfahrung mit Frauen von Welt.«

      »Schade, vielleicht«, antwortete George. Mit seinem kleinen scharfen Messer schnitt er eine Seite auf. »Verhandlungen mit einer klugen Frau sind ein hervorragendes Training für andere Angelegenheiten. Für Politik zum Beispiel.«

      »Oder Krieg«, erwiderte John. »Wenn ich von deinen Metaphern ausgehe.«

      »Ja«, sagte George. »Politik oder Krieg. Gefährliche Angelegenheiten für die Unerfahrenen.«

      »Sehr gefährlich«, stimmte John zu.

      »Krieg oder Politik. Oder Rebellion. Rebellion ist das gefährlichste von allem. Verschwörungen, Denunzianten, hitzköpfige Kumpane. Zweifellos sehr aufregend, aber eine höchst ungesunde Form von Aufregung.«

      »Weniger ungesund, als der Frau eines Duellanten den Hof zu machen«, sagte John. »Soweit ich gehört habe.«

      »Wenigstens war der Preis gewiß und klar«, erwiderte George.

      Er schob seine Brille hoch in die blasse Stirn.

      »Und war er die Gefahr wert?«

      »O ja«, antwortete George. »Das war er allerdings. Ich denke oft an sie. Ein reizendes Geschöpf, und großartig im Bett. Und dazu noch klug. Eine verdammt kluge Frau.«

      »Klugheit ist dir ziemlich wichtig, nicht wahr, George? Das hat mich sehr bedrückt, als ich jünger war. Ich bin überhaupt nicht klug.«

      »Bist du wohl, John. Bist du. Du bist gerade klug genug, um einen Weg in ernsthafte Schwierigkeiten zu finden.«

      John seufzte. »Na gut. Sollen wir darüber sprechen?«

      »Nicht heute abend. Dazu haben wir noch Zeit genug. Es ist schon spät. Keine gute Zeit zum Streiten.«

      Im unstetigen Kerzenlicht wachte das Portrait eines großen, aufrechten Mannes in ausländischer Kleidung über den beiden Brüdern, unbemerkt.

      Castlebar, 15. August

      »Gott segne alle hier«, sagte MacCarthy mit lauter Stimme, als er die Schenke betrat.

      »Gott segne auch dich«, sagten der Hausherr und einige andere Männer, die am Kamin saßen. Zwei britische Soldaten in ihren hummerroten Jacken sahen ihn ohne Neugier an und wandten sich dann ab. MacCarthy legte eine Silbermünze auf den Tresen und ging mit einem Krug Porter quer durch den Raum, um sich zu einem kahlen Mann mittleren Alters zu setzen.

      »Du bist weit von Killala, Owen MacCarthy.«

      »Das bin ich, Sean MacKenna, und ich bin hergekommen, um dich zu besuchen. Ich war zuerst im Laden, und Brid sagte, ich würde dich hier finden. Du hast es wirklich gut, hast einen Laden und eine Schule und kannst die Abende in der Schenke verbringen.«

      »Die Schenken sind auch dir nicht fremd«, erwiderte MacKenna und machte auf der niedrigen Bank Platz für ihn.

      »Ach, die Schenken in Killala sind schmutzig und alt. Ihr habt hier eine schöne lebhafte Stadt mit Civilisation.« Das englische Wort Civilisation klang wie Kupfer auf dem Fußboden seines Irisch.

      »Du bist in Castlebar immer willkommen«, sagte MacKenna. Seine Stimme, wie seine Worte, war ernst und ruhig.

      »Von diesen Jungs sind ganz schön viele in der Stadt«, sagte MacCarthy und wies mit einer Kopfbewegung auf die beiden Soldaten.

      MacKenna nickte. »Zwei Regimenter. Eines heißt The Prince of Wales’ Fencibles, das andere weiß ich nicht mehr. Sie sind jetzt in der Kaserne, aber es heißt, daß sie bei den Leuten einquartiert werden sollen. Wie würde es dir gefallen, mit diesen beiden dein Bett teilen zu müssen?«

      »Nicht besser als ihnen selber. Soldaten haben ein hartes Leben, werden von zu Hause weggeschickt, um unter wilden Iren und wilden Indern zu leben.«

      »Sie waren bei den Kämpfen in Wexford dabei«, sagte MacKenna. »Und jetzt sind sie hierher geschickt worden. Sie sind wirklich seltsame Geschöpfe, und ihr Englisch ist ziemlich erbärmlich.«

      »Sie werden sicher auch in Mayo genug zu tun bekommen.« Es war eine Frage.

      MacKenna beantwortete sie. »Ich frage mich, Owen, ob du den Whiteboys nicht Latein beibringen solltest, damit sie ihre Nächte friedlicher mit Caesar und Vergil verbringen?«

      »Was könnten diese Flegel schon mit Latein anfangen«, erwiderte MacCarthy. Er vergrub die Nase in seinem Krug.

      »Es gibt jetzt Whiteboys in Castlebar«, sagte MacKenna. »Und in den Gemeinden im Osten, aber sie haben noch nichts gemacht. Sie haben ein Plakat an das Tor der protestantischen Kirche angeschlagen. Die Zeichnung von einem Sarg und ein paar falschgeschriebene Wörter.«

      »Typisch Whiteboy«, sagte MacCarthy. »Auch in Foxford und Swinford gibt es Burschen, die sich Whiteboys nennen. Ein Fuhrmann hat mich von Ballina bis hier mitgenommen, und er hat von nichts anderem geredet.«

      »Was hat er gesagt?«

      »Daß die Leute in Mayo sich erheben wollen, wie die Leute von Wexford und im Norden. Aber er war ein törichter zahnloser alter Bursche. Die Wörter tropften aus ihm heraus, und man würde nicht ein Zehntel davon glauben.«

      MacKenna schüttelte den Kopf. »Du kannst hier in Castlebar dasselbe Gerede hören. Wir werden alle frei sein und große schöne Gehöfte bekommen. Und der ganze alte Kram aus den Prophezeiungen von Columkille und den Schundschriften, die die Wahrsager auf den Märkten verkaufen. Ein Müller in Sligo hat ein Kind mit vier Daumen bekommen, und das ist ein sicheres Zeichen. In deinem ganzen Leben hast du noch nicht so viel Unsinn gehört.«

      »Hab ich wohl«, widersprach MacCarthy. »Unfug ist in diesem Land ein gutes Geschäft.«

      Er nahm ihre beiden leeren Krüge und brachte sie wortlos zum Tresen zurück. Die beiden roten Soldaten standen links von ihm und unterhielten sich leise. Sie schienen nicht in den Raum zu gehören, waren in ihr grobes, lebhaftes Tuch eingeschlossen.

      »Ich denke daran, weiterzuziehen, Sean«, sagte er zu Mac-Kenna, als er mit den gefüllten Krügen zurückkam.

      MacKenna nickte. »Du bist wirklich in einer unangenehmen Stadt, an diesem häßlichen Meer.«

      »Ach, das ist es nicht. Ich habe Angst. Als die Whiteboys angefangen haben, habe ich ihnen ihre Proklamation geschrieben, und jetzt soll ich wieder eine verfassen. Es dauert nicht mehr lange, bis irgendein kleiner Bastard von einem Denunzianten den Richtern meinen Namen zuflüstert.«

      »Heilige Mutter Gottes, Owen, was war denn da bloß in dich gefahren? Denen ist es doch egal, wen sie aufhängen.«

      »Es ist geschehen«, antwortete MacCarthy. »Egal, warum ich es getan habe, es ist geschehen. Ach, es tut mir nicht leid. Die Leute haben ein schreckliches Leben, das weißt du gut. Ich schwöre bei Gott, Sean, in diesem Königreich geschehen Dinge ohne Sinn und Verstand. Irgendwer sticht bei einem Grundbesitzer in Killala das Vieh ab, und ein paar Wochen später reden die Leute in Castlebar über Kinder mit vier Daumen.«

      »Über mehr als Daumen und Babys«, sagte MacKenna. »Sie sagen, daß die Franzosen auf dem Meer sind,