»Später in dieser Woche«, sagte John, »möchte ich nach Ballycastle reiten und die Treacys besuchen.«
»Eine hervorragende Idee«, meinte Moore. »Sie ist ein prächtiges, kluges, kesses Mädchen. Sie ist genau, was du brauchst.«
»Thomas Treacy ist kein reicher Mann«, sagte John. »Macht dir das nichts aus?«
»Das interessiert mich nicht. Es freut mich, daß es dir nichts ausmacht. Aber ich empfehle dir, Thomas Treacy nicht mit deinen politischen Ansichten zu kommen. Da hast du den alten katholischen Stamm in Hochpotenz. Er wartet immer noch auf die Stuarts, der Arme.«
»Ellen nicht«, sagte John. »Sie teilt meine Sympathien.«
»Dann ist sie in dich verliebt«, erwiderte Moore. »Frauen haben keine Politik, Gott sei Dank. Du solltest nicht so dumm sein und mit einer Frau über Politik diskutieren. Ich habe das einmal in London versucht, und wir hatten einen teuflischen Streit. Die Versöhnung war allerdings sehr angenehm. Ich glaube, das hat sie gewußt und deshalb den Streit provoziert. Sie sind sehr klug.«
»Und Judith Elliott«, sagte John. »Sie ist sehr patriotisch.«
»Das ist etwas anderes«, meinte Moore. »Mrs. Elliott ist Engländerin, und die werden oft sehr patriotisch, wenn sie sich hier niederlassen. Das hat etwas mit dem Wetter zu tun. Mrs. Elliott ist eine Romantikerin, das erhöht ihren Charme. Sie und Ellen Treacy sind sich überhaupt nicht ähnlich, und von beiden ziehe ich, glaube ich, Ellen vor. Das ist mein eigener Patriotismus.«
»Aber du findest Mrs. Elliott doch entzückend. Das hast du gesagt.«
»Durchaus entzückend, und von sehr liebenswürdiger Art, da bin ich sicher. Aber eine feste Diät tiefer Gefühle wäre nicht nach meinem Geschmack. Immerhin, Elliott bekommt es gut. Ich irre mich vielleicht.«
Bei dieser Unterhaltung erinnerte sich John daran, wie er ein sehr kleiner Junge in Alicante war, die Luft schwer von Gerüchen, die Dächer über ihm färbten sich im Abendlicht purpurn, ihr Vater sorgfältig in seine spanischen Kleider gekleidet. Er sprach von zu Hause, einem unvorstellbaren Ort namens Mayo, tiefgrün, warm von den Erinnerungen an die Familie. Nun waren sie hier, zwei Brüder, auf unterschiedliche Weise ruhelos.
Killala, 20. Juni.
MacCarthy beobachtete die Tanzenden.
Er stand neben dem Geiger, sein langer, unvorteilhafter Körper lehnte an der Wand von Donal Hennesseys Bauernhaus, einem der größten in Killala, zwei große, breite Zimmer, von denen eines einen echten Kamin hatte. Nichts in der Welt war quälender für ihn als ein Bild, das noch nicht zu einem Gedicht geworden war. Er war wie eine Frau, die ein Kind mit einer Glückshaube zur Welt bringt. Der Mond und die Oberfläche, die sein Licht wiedergab, klebten in seiner Vorstellung zusammen, vom Regen verhüllt.
Die Geige kämpfte gegen die anderen Geräusche des Zimmers, die Füße auf dem Boden, die Stimmen und das Lachen der Männer und Frauen, die an der Wand standen, zu alt oder zu müde zum Tanzen. Die Geige sprach zu den trampelnden nackten Füßen der Tanzenden auf dem Lehmboden und erhielt von ihnen Antwort. Das ist ein hübsches Mädchen, dachte er, während er eine der Tänzerinnen beobachtete. Wer ist dieses Mädchen, Maire Spellacy? Ein großes, dralles Mädchen, Rindfleisch an den Hacken, wie es in Mayo heißt, wo die Leute immer an Vieh denken. Er beobachtete sie, zu einer leichten Sinnlichkeit angeregt, aber das Bild quälte ihn weiter. Seit einer Stunde ließ es ihm schon keine Ruhe. Er leerte sein Glas Whiskey zur Hälfte und prostete dem Geiger damit zu, dessen Lippen lächelten, während seine Augen nach innen schauten, auf seine Musik. Schreckliche Leute, diese Musiker, verheiratet mit ihrem Holz und ihren Katzendärmen, liebkosten sie wie Liebhaber. Irgendwer füllte sein Glas. Trinken wurde von ihm erwartet.
Bald war Johannisnacht. Auf Steeple Hill war bereits Holz aufgetürmt worden, und nach Anbruch der Nacht würden von hier bis Downpatrick Head die Freudenfeuer aufleuchten. Es würde Tanz und Spiele unter freiem Himmel geben, und junge Männer würden als Mutprobe durch die Flammen springen. Auch junge Mädchen würden das versuchen, denn es half, einen Mann zu bekommen, wenn sie durch das Johannisfeuer sprangen, das Feuer des Mittsommers. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, und die Feuer sprachen zu ihr, riefen sie auf die Ernten herunter. Es war der Wendepunkt des Jahres, und die Luft bebte von Geistern. Wenn die Feuer erloschen waren, wurde das Vieh durch die Asche getrieben, und Haselstöcke, die in der letzten Glut angezündet worden waren, versengten ihre Rücken. Asche aus dem Feuer wurde beiseite gestellt, um im nächsten Jahr mit dem Saatkorn vermischt zu werden.
Hussey hatte wirklich allen Grund, auf seiner Kanzel zu stehen und gegen die Freudenfeuer zu predigen, denn sie hatten wenig genug mit dem heiligen Johannes zu tun. Sie waren älter als Christus, älter noch als die Druiden, die St. Patrick vertrieben hatte. In MacCarthys Heimat Kerry kroch am Johannisabend die älteste Frau der Gemeinde dreimal ums Feuer und betete um eine gute Ernte. Und wer einen brennenden Stock mit nach Hause brachte, hatte im ganzen kommenden Jahr Glück. Der Johannisabend jagte MacCarthy Angst ein, weil er andeutete, wie alt die Geschichte der Menschen war, die entfernte Vergangenheit warf ihren Schatten aus dem Feuer, verdüsterte die flammengeröteten Gesichter. Aber es richtete keinen Schaden an, und dieses Jahr konnte es eine der größten Ernten in der Geschichte Mayos geben, das Wetter war gut, sanfter Regen und heller Sonnenschein, das Korn wurde dichter. Es schadete nichts, die Sonne zur Verbündeten zu machen. O’Sullivan hatte ein Gedicht über den Johannisabend geschrieben, ein Gedicht, dessen Konstruktion zu weich und leicht war, aber es war durchaus kein schlechtes Gedicht. Es hatte keinen Zweck, sich mit diesem Mann zu messen, auch wenn er am faulsten war, war er besser als die meisten.
Als der Tanz beendet war, gesellte sich Ferdy O’Donnell, einer der Tänzer, mit einem Krug in der Hand zu MacCarthy an der Wand.
»Nun, Owen, es ist wohl Zeit, daß wir an einem der nächsten Abende wieder einen Versuch mit Vergil machen. Komm früh, dann essen wir etwas und machen uns ans Werk.« Er war kurze Zeit in einem Seminar gewesen, und nun hatte er vor, mit MacCarthys Hilfe die sechs Bücher der Aeneis durchzuarbeiten.
»Das machen wir, Ferdy. Ich war vor ein paar Abenden in Kilcummin und habe mir gedacht, ich müßte bald mal bei dir und Maire vorbeischauen.«
»Du hattest etwas anderes in Kilcummin zu erledigen, habe ich gehört«, sagte O’Donnell und senkte die Stimme. Er nickte zum anderen Zimmer hinüber.
»Ich hatte etwas Idiotisches zu erledigen. Mußte für ein Quartett von Erpressern den Sekretär spielen.«
»Das ist kein Quartett mehr. Jetzt gibt es in der Baronie über vierzig Whiteboys, eingeschworene Whiteboys. In Kilcummin führt Duggan sie an und hier in Killala Hennessey.«
»Aber du bist nicht dabei?«
»Ach, mein Stil ist das auch nicht, Owen. Was haben Leute wie du und ich mit den Whiteboys zu tun? Ich würde ja nicht einmal, um mir einen Dorfkampf anzusehen, bis ans Ende der Straße gehen. Aber ich will nicht sagen, daß sie im Unrecht sind. Vielleicht wird jetzt weniger von Räumungen die Rede sein.«
»Wenn du keinen Eid ablegen willst, wird Duggan nicht weinen«, sagte MacCarthy. »Du bist ein geachteter Mann in Kilcummin, und diese Achtung hast du dir nicht mit dem Knüppel erworben.« Das war keine Schmeichelei. Ein ruhiger, verständiger junger Mann und Bauer. Sie respektierten sein Wissen und erinnerten sich daran, daß er zu den alten O’Donnells gehörte. Dann wandte sich ihr Gespräch der Aeneis zu. O’Donnell hatte eine brauchbare Seminaristenkenntnis des Lateinischen, aber nicht die geringste Ahnung von der Aeneis als Gedicht. Jeden Tag dreißig Zeilen übersetzen und dann aufhören, egal, wo man sich befindet. Was war es, das Männer wie O’Donnell am Lateinischen liebten? Vielleicht die Sätze, gebaut wie gute Zäune, jedes Wort solide an seinem Platz, jedes gab den anderen Stärke. Sprache von Mysterium und Wunder, die Christus zur Erde brachte und Seinen Leib auf die