Ich teile Ihnen diese meine Beobachtungen, die sich natürlich absolut nicht zur Publikation eignen, mit, nicht etwa, um Sie zu etwaigen Schlußfolgerungen zu veranlassen, sondern nur, um sie vor allzulauten Mitleidskundgebungen für den ‚armen‘ Witwer zurückzuhalten. Man darf ihn mit Fug und Recht wohl eher einen lustigen Witwer nennen.“
Lachend legte Fels den Brief beiseite, um nun rasch seine Schreibmaschine aus der Versenkung des Tisches emportauchen zu lassen und mit rasendem Geklapper Seite auf Seite zu füllen.
Neuntes kapitel
Eben war Fels fertig geworden, als ihm der Diener zwei Damen meldete, die unbedingt den Verfasser des Artikels über den „Mord im Cottage“, der im Morgenblatt erschienen war, sprechen wollten. Fels ließ sie in ein abseits gelegenes Zimmer führen und stand gleich darauf einer alten, grauhaarigen Dame und einem hübschen, hellblonden Mädchen gegenüber. Beide sahen verweint und unglücklich aus und Fels konnte unschwer erraten, wer die Besucherinnen waren. Niemand anders als Frau Therese Holzinger, die Mutter des verhafteten Privatsekretärs, und Elsbeth Volkmar, seine Braut. Frau Holzinger konnte nicht sprechen, weil die hervorquellenden Tränen ihre Stimme erstickten, das junge Mädchen aber faßte sich halbwegs und dankte mit herzlichen Worten für das warme Eintreten des Journalisten zugunsten des Bräutigams.
„Ich habe nichts getan, was dankenswert wäre,“ sagte Fels, der voll Mitleid mit den zwei Frauen war, „da ich ja Herrn Doktor Holzinger tatsächlich für absolut unschuldig halte. Allerdings, seine Situation ist nicht gerade günstig und Sie müssen darauf gefaßt sein, daß einige Zeit vergeht, bevor man ihn aus der Haft entlassen wird.“
Nun fing auch Elsbeth Volkmar zu weinen an. „Herr Doktor,“ sagte sie schluchzend, „das ist ja zum Verzweifeln! Wie soll mein armer Bräutigam, wie sollen wir diese Schmach und Schande überleben? Er wird sich sicher etwas antun.“
„Nein, das wird er sicher nicht, und täte er es, so wäre es nur ein Beweis dafür, das er schuldig ist. Niemals habe ich in meiner Praxis erlebt, daß ein unschuldig Verdächtiger Selbstmord begeht. Schon die Erbitterung, der Wunsch, seine Unschuld zu beweisen, hält ihn vor einem solchen Schritt zurück.“
So gelang es Fels langsam, die Frauen zu beruhigen, und er lenkte nun das Gespräch auf den Mord selbst und die Verantwortung des Beschuldigten.
„Doktor Holzinger gibt an, zwischen ein Uhr und halb zwei im ‚Grabencafé‘ gewesen und von da aus nach Hause gegangen zu sein. Leider können die Kellner seine Behauptung nicht bestätigen, was natürlich durchaus nicht gegen ihn spricht. Holzinger hat seinen eigenen Hausschlüssel, also kann der Hausbesorger nichts über die Zeit seines Nachhausekommens aussagen. Es wäre von der größten, entscheidenden Wichtigkeit, irgend einen Menschen aufzutreiben, der Holzinger um die von ihm angegebene Zeit im Café oder auf dem Wege nach Hause gesehen hat. Doktor Bär, der die Voruntersuchung führt, ist der anständigste, ehrlichste und gewissenhafteste Polizeibeamte, den man sich nur denken kann. Trotzdem — in einem solchen Fall versagt er, wie jeder andere. Er denkt natürlich gar nicht daran, den Polizeiapparat aufzubieten, um dem Beschuldigten ein Alibi zu ermöglichen. Nun, dann müssen wir eben arbeiten und alle Kunststücke versuchen.“
Elsbeth errötete leicht:
„Sie sagen ‚wir‘, Herr Redakteur, also darf ich wirklich einen Bundesgenossen in Ihnen sehen?“
„Jawohl, ganz und gar und ohne Einschränkung, mein Fräulein! Was in meinen durchaus nicht schwachen Kräften steht, soll geschehen, um Ihrem Bräutigam aus dieser abscheulichen Klemme zu helfen!“
Es wurde nun folgender Plan entworfen, der im Kopfe des Journalisten entstand, aber von dem Mädchen ausgeführt werden mußte. Elsbeth besaß natürlich ein Lichtbild ihres Bräutigams. Mit dieser überaus gelungenen Photographie begab sie sich in die Redaktionen sämtlicher Wiener illustrierten Zeitungen und Wochenschriften, um die Aufnahme eines Aufrufes zu erbitten. Neben dem Bild des Dr. Holzinger stand die Aufforderung an alle etwaigen Personen, die Holzinger in der Mordnacht auf der Straße oder im „Grabencafé“ gesehen hätten, sich bei seiner Mutter zu melden.
Überraschend schnell stellte sich ein Erfolg dieses Aufrufes ein. Nach wenigen Tagen schon erschien bei Frau Holzinger ein Kaufmann aus Graz, der sich in der Nacht, da der Mord verübt worden war, im „Grabencafé“ befunden hatte. Frau Holzinger und Elsbeth Volkmar führten ihn sofort in die Redaktion der „Weltpresse“, wo Fels folgendes Protokoll mit ihm aufnahm:
„Ich weilte in der Vorwoche vom 2. bis 6. Februar in Wien. Am 5. Februar begab ich mich nach Besuch der Vorstellung im ‚Komödienhaus‘ ins ‚Grabencafé‘, wo ich zuerst speiste, dann Zeitungen las und schließlich einige Briefe schrieb. Punkt halb zwei beglich ich meine Zeche, blieb aber noch einige Zeit, da mir eben der Kellner die von mir verlangte ‚Jugend‘ brachte. Als ich das Lokal verließ, sah ich abermals auf meine durchaus verläßliche Taschenuhr und stellte fest, daß es genau dreiviertel zwei Uhr war. Ich wollte mir noch für den Weg eine Zigarette anzünden, hatte aber kein Streichholz bei mir, und so bat ich denn einen Herrn, der unweit des Ausganges saß und eine Zigarre rauchte, um Feuer. Als ich gedankt hatte und ging, rief dieser Herr, dem ich voll und ganz ins Gesicht gesehen hatte, nach dem Zahlkellner.
Als ich gestern in Graz das ‚Interessante Blatt‘ las und die Photographie des Dr. Holzinger abgebildet sah, gewann ich sofort die Überzeugung, daß dieser mit dem von mir um Feuer gebetenen Herrn identisch ist. Mich erregte die Sache außerordentlich, ich zögerte nicht und fuhr heute morgens nach Wien, um mich schleunigst zu Frau Holzinger zu begeben. Ich bitte nunmehr, mich unverzüglich mit Dr. Holzinger zu konfrontieren.“
Es war Mittag, als diese Protokollaufnahme beendet war, und Fels rieb sich vergnügt die Hände. Ein journalistischer Erfolg sondergleichen blühte ihm. Unter der Überschrift „Dr. Holzinger vollständig entlastet“ erschien der Bericht über den Besuch des Grazer Kaufmannes Alois Pichler noch im Abendblatt der „Weltpresse“ und an die Wiedergabe des Protokolles knüpfte Fels natürlich mit scharfen, energischen Worten die Aufforderung an die Polizei, den schwer gekränkten Holzinger ohne Verzug in Freiheit zu setzen. Sodann aber schob Fels den Herrn Pichler, der sich enorm wichtig vorkam und sich schon auf seinen Stammtisch im „Elefanten“ zu Graz freute, in ein Auto und raste mit ihm nach dem Polizeipräsidium, wo Dr. Bär noch anwesend war.
Dr. Bär, der sich durchaus nicht geärgert zeigte, sondern sogar seine Befriedigung darüber aussprach, daß in dieser Kriminalaffäre dank der Mitwirkung der allmächtigen Presse ein weiterer Fortschritt zu verzeichnen sei, verständigte den Chef der Sicherheitsabteilung Dr. Lechner und ließ sodann Holzinger, der sich noch immer nicht in Untersuchungshaft, sondern im Polizeigewahrsam befand, vorführen. Bär eröffnete die Konfrontation auf sehr geschickte Weise. Er stellte an Holzinger die Frage:
„Kennen Sie diesen Herrn hier?“
Holzinger, der wohl blaß und verbittert aussah, aber sein seelisches Gleichgewicht wieder gefunden zu haben schien, sah Herrn Pichler scharf an, fuhr sich dann mit der Hand über die Stirne, dachte ersichtlich angestrengt nach und sagte nach einer Pause:
„Mir kommt das Gesicht dieses Herrn bekannt vor, aber ich weiß nicht recht, wo ich es unterzubringen habe. Himmel, ja, jetzt fällt es mir ein, — vor wenigen Tagen bat mich dieser Herr irgendwo um Feuer, und zwar — wenn ich mich nicht sehr täusche — war es in einem Café.“
Fels atmete erleichtert auf, Herr Pichler lachte vergnügt und Dr. Bär nickte ernst. „Damit begegnen sich die Aussagen des Herrn Pichler mit der Ihrigen und ich nehme nunmehr ohneweiters als erwiesen an, daß Sie, Herr Doktor Holzinger, die Wahrheit gesprochen haben, als Sie sagten, daß Sie sich noch kurz vor zwei Uhr nachts im ‚Grabencafé‘ befunden hatten. Noch im Laufe des heutigen Nachmittages werde ich im Verein mit meinen Vorgesetzten die notwendigen Konsequenzen aus dieser Bekundung ziehen.“
Ein