Faustrecht. Hugo Bettauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Bettauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711503003
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      Faustrecht

      Hugo Bettauer

      SAGA Egmont

      Faustrecht

      Copyright © 1920, 2018 Hugo Bettauer und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711503003

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

1. Teil

      Erstes kapitel

      Oskar Fels betrat pfeifend, ungeheuer geräuschvoll das „Lokalzimmer“ der „Weltpresse“, schmiß den Hut auf seinen Schreibtisch, den Pelzrock über einen Stuhl und klatschte in die Hände um sie zu wärmen. Ein wütendes Grunzen vom anderen Schreibtisch her unterbrach seine lärmende Tätigkeit.

      „Ah, Sie auch schon da, Herr Kollege! Und noch nicht ausgeschlafen?“

      Das Grunzen verstärkte sich zu einem Pfauchen. Julius Grubenheld, der Chef des „Lokalen Teiles“ und der unmittelbare Vorgesetzte des ersten Reporters Fels, erwiderte nichts. Er erstickte innerlich vor Wut, hatte aber, wie gewöhnlich, auch diesmal nicht den Mut, sich auf ein Wortgeplänkel mit Fels einzulassen. Grubenheld war, wie sehr viele Neurastheniker, am Morgen ungenießbar, wütend, schlecht gelaunt, empfindlich gegen jeden Lärm. Er hätte sich am liebsten in eine Kammer verkrochen und dort so lange allein zugebracht, bis ihn die „Stimme des Herrn“ aus seiner Zerschlagenheit aufrütteln und ihm neuen Lebenswillen einflößen würde. Der „Herr“ war in diesem Falle der Besitzer der „Weltpresse“, den Grubenheld haßte und liebte, verehrte und verachtete, wie eben Sklaven ihre Herren zu lieben und zu hassen, zu verachten und zu vergöttern pflegen. Er sprach von seinem Chef nur als von dem alten Gauner, seine Anordnungen nannte er Trotteleien, seine Reklamationen bewußte Bosheiten, so wie er aber vor das Antlitz des Herausgebers gerufen wurde, verwandelte sich der Haß in Demut, die von der Vormittagslaune heisere Stimme wurde sanft und milde und jede Opposition zur Huldigung. Fels der den direkten Verkehr mit dem „Alten“ weder suchte noch liebte, verachtete seinen ranghöheren Kollegen wegen dessen Schweifwedelei und auch aus anderen Gründen und tat sein Bestes, um Grubenheld seine geistige und physische Überlegenheit empfindlich fühlen zu lassen. Der Unterschied zwischen den beiden Journalisten kam schon rein äußerlich zum Ausdruck. Fels, groß, stark, brünett, temperamentvoll, mit schwarzen Augen, aus denen Lebensfreude und eiserner Wille strahlten, Grubenheld gekrümmt, weich, plattfüßig, Augen von einem verschwommenen Blau, ein faltiges Gesicht, in das getäuschte Hoffnungen, Nachtarbeit, krankhafter, aber vergeblicher Ehrgeiz tief ihre Spuren eingegraben hatten.

      Fels ließ sich krachend in seinen Stuhl nieder, blätterte flüchtig in den eingelaufenen Manuskripten herum und sagte:

      „Lauter Mist! Wieder einmal nichts los!“

      Grubenheld mit beleidigtem Gesicht und halb gebrochener, wie Fels behauptete, unausgegurgelter Stimme:

      „Nichts los? Ich finde, zwei Spalten Ausstellungseröffnung sind für das Abendblatt gerade genug.“

      „Genug ja, aber nicht interessant. Das ist doch der höhere Schund. Eine Spalte ‚Unter den Anwesenden befanden sich‘ und eine Spalte geistvoller Aussprüche aus dem erlauchten Munde des Herrn Staatssekretärs, wie ‚Sehr schön‘, ‚Sehr stimmungsvoll‘, ‚Haben Sie das nach der Natur gemalt?‘, ‚Das ist Ihnen sehr gelungen‘ usw.“

      „Lieber Herr Kollege, ich habe jetzt keine Lust und Zeit, mit Ihnen über die Bedeutung derartiger Tagesereignisse für die ‚Weltpresse‘ zu streiten, sondern muß Sie bitten — —“

      Zu weiteren Auseinandersetzungen kam es nicht, da von dem Tischtelephon Grubenhelds zwei Signale ertönten, ein Zeichen, daß der Herausgeber von seiner Wohnung aus den Chef des Lokalteiles sprechen wollte. Im Nu war von Grubenheld jede Nervosität gewichen, er wurde gespannteste Aufmerksamkeit und rief, während er die eine Hand abwehrend vor sich hinhielt, wie um jede Störung von sich fernzuhalten, in die Sprechmuschel hinein:

      „Guten Morgen! Gut geschlafen? Ja? Das freut mich. Guter Schlaf ist bei Ihrer ungeheueren Arbeitsleistung das Wichtigste. Zu Ihrem heutigen Leitartikel muß ich Ihnen gratulieren! Man spricht in ganz Wien darüber. — Wie? Das hat Ihnen schon Kollege Untermacher gesagt? Nun ja, ich wußte nicht, daß Sie ihn früher als mich angerufen haben.“ — Die Stimme Grubenhelds nahm eine etwas gekränkte Art an. — „Nein, es liegt nichts Besonderes vor. Ein größerer Brand im neunten Bezirk, ein Eisenbahnunfall bei Prag, aber Personenzug, also nicht aufregend für unsere Leser und dann ein langer Bericht über die Eröffnung im Künstlerhaus. Ja, natürlich, gar kein Zweifel, das sind ja unsere Leser. Ich habe dem Kollegen Fels eben gesagt, daß dieser Bericht von der größten Bedeutung für uns ist. Natürlich müssen wir mehr darüber bringen als die ‚Tagespost‘.“

      Fels hatte, vor sich hingrinsend, zugehört und jetzt platzte er los:

      „Lieber Herr Kollege, woher wissen Sie, daß ganz Wien über den Leitartikel spricht? Sie kommen doch gerade aus dem Bett? Und warum machen Sie immer Verbeugungen? Der Alte sieht Sie doch nicht, heben Sie sich das auf, sonst werden Sie sich noch eine Rückgratverkrümmung zuziehen.“

      Es kam zu keiner Auseinandersetzung, denn jetzt wurde die Türe aufgerissen und herein stürzte atemlos ein Bureaudiener.

      „Herr Doktor,“ sagte er, zu Grubenheld gewendet, „gerade wird aus dem Café ‚Türkenschanzpark‘ telephoniert, daß im Cottage in der Kastanienallee Nummer zweiundvierzig ein furchtbarer Mord begangen wurde. Die Besitzerin des Hauses und ihre Schwester sind umgebracht worden.“

      Große Aufregung bei Grubenheld, der mit Armen und Beinen zu fuchteln begann, während Fels ganz ruhig blieb und, als würde ihn die Sache nichts angehen, an der Eröffnung des Künstlerhauses zu redigieren begann. Als ihn aber Grubenheld anfuhr: „Ich bitte Sie, haben Sie nicht gehört? Cottage, das muß groß aufgemacht und recherchiert werden!“ sagte er: „Jawohl, ich bin ja nicht taub, ich werde hinfahren und mir die Sache ansehen.“ Und den anderen seiner Aufregung überlassend, nahm er Pelz und Hut und verließ scheinbar ganz gelassen das Gebäude der „Weltpresse“, winkte einem Auto und ließ sich nach der Kastanienallee fahren.

      Zweites kapitel

      Das Haus Nr. 42 in der ruhigen, fast weltabgeschiedenen Kastanienallee, die die älteste Straße der Wiener vornehmen Villenkolonie „Cottage“ ist, liegt tief in einem alten, schönen Ziergarten, so daß man auch jetzt, im Februar, da die Bäume ihr Laub nicht tragen, von der Straße aus die Fassade der schloßähnlichen Villa nicht genau sieht. Wohl aber leuchten von der Front unterhalb des Giebels die goldenen Buchstaben „Villa Mabel“ deutlich hervor. Das Gebäude ist bester Wiener Barock, zweistöckig, mit einer Auffahrt zum Portal, und macht einen durchaus feudalen Eindruck. Es steht nach allen Seiten frei, hat sechs Fenster Vorderfront und ist ersichtlicherweise so gebaut, daß im Hochparterre die Salons und Empfangsräume liegen, im ersten Stockwerk die Wohn- und Schlafzimmer, darüber etwaige Gastzimmer und die Wohnräume der Dienerschaft.

      Als Fels mit seinem Autotaxi angefahren kam, umstand eine große Menschenmenge das Gittertor, das von der Straße nach dem Garten führt, ein Schutzmann aber verwehrte jedermann den Eintritt. Erst als Fels seine Legitimation vorwies, öffnete ihm der Polizist, höflich salutierend, das Tor und sagte dabei: „Unten, im ersten Zimmer rechts.“

      Fels fühlte, wie ihm die angesammelte neugierige Menge mit neidischen Blicken folgte und ein eigenartiges, ironisches oder verächtliches Lächeln kräuselte seinen schönen, vielleicht etwas zu vollen Mund, den ein englisch gestutzter Schnurrbart freiließ. Dicht hinter Fels fuhr jetzt wieder ein Auto vor, dem ein gewaltiger Herr, der Präsident der Wiener Polizei, Dr. Lerchenfeld, mit seinem Privatsekretär