Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711727348
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aber geschah es. Etwa einhundert Amis lebten noch und hoben ihre Hände den Schützenpanzerwagen entgegen. Die Männer, die auf sie zukamen, hatten Hitlers germanische SS-Runen an den Kragenspiegeln.

      Eine heisere, hysterische Stimme brüllte:

      „Schlagt sie tot, die Hunde!“

      Oder waren es mehrere Stimmen? Niemand wußte das hinterher noch genau. Aber niemand leugnete auch später, daß dieser Ruf gefallen war.

      Maschinengewehre rauschten auf. Pistolen krachten trocken … Ein hundertfältiger Schrei stieg gegen den Himmel. Ein amerikanischer Schrei.

      „No! … No! … Comrades! Don’t do that!“ Nein, nein, Kameraden, tut das nicht!

      In ihrer Todesangst nannten die gefangenen Amis ihre Mörder Kameraden.

      Das Massaker hatte begonnen …

      Das Gemetzel an der Straßenkreuzung von Malmedy war ebenso kurz wie fürchterlich.

      Unter den ermordeten amerikanischen Soldaten waren welche, die es einfach nicht begriffen, was mit ihnen geschehen sollte. Mit ausgestreckten Händen liefen sie auf ihre Mörder zu. Aber ein Feuerstoß aus der Maschinenpistole ließ sie in den Hüften abknacken. Diese Männer hatten es noch am leichtesten …

      Ein Oberscharführer verband das Nützliche mit dem Angenehmen, mit dem wenigstens, was er, der geborene, vertierte Mörder, als angenehm empfand. Er trieb eine Gruppe von Amerikanern zusammen, stellte sie mit dem Rücken zur Straße und rief ein paar Leute seines Zuges herbei.

      „Los! Zeigt, was ihr könnt! Zwanzig Schritte Abstand! Genick ist ’ne Zwölf, Schulterblatt ’ne Elf, Arsch ’ne Zehn! … Daß mir keiner ’ne Fahrkarte schießt!“

      Drei seiner Totschläger schossen die Amerikaner nur ins Gesäß. Zwei, weil die Amis ihnen leid taten. Einer, weil es ihm Spaß machte.

      „Ich schieß’ ’ne Zehn lieber“, grinste er seinen Oberscharführer an …

      Und diese Männer, diese Mörder, waren Deutsche, redeten in der Sprache Goethes, hatten Frauen zu Hause oder Kinder, hatten Mütter, die um sie zitterten und die von ihrer armseligen Ration noch etwas absparten, um es ihnen ins Feld zu schicken. Sie hatten als Kinder gebetet, sie waren zur ersten Kommunion gegangen, sie waren konfirmiert worden, sie hatten vielleicht einmal geweint, weil ein Lastauto einer Katze den Schwanz abgefahren hatte. Und jetzt? Was hatte sie soweit gebracht? Wie teuflisch mußte ein System sein, das aus ihnen die gemeinsten Mörder machte, die die Welt je hervorgebracht hat!

      Es ging weiter.

      Es ging unbeschreiblich weiter.

      Ein Panzerkommandant war zu faul zum Schießen. Er rollte auf die Amis zu. Mit verzerrten Gesichtern, kreidebleich, mit taumeligen Schritten sprangen sie ihm aus dem Weg. Da rief der Kommandant einen zweiten Panzer zur Unterstützung herbei. Was die beiden an menschlicher Beute nicht zermantschen konnten, erledigten dann die SS-Grenadiere, sozusagen als Balljungen.

      Ein amerikanischer Sergeant stand hochaufgerichtet vor den beiden Panzern. Um seinen Mund spielte ein kaltes, melancholisches Lächeln. Er hielt die Hände über sich, steil mit den Handflächen nach vorne. Er sah aus wie ein Symbol aller Gefangenen aller Kriege …

      „It is not very clever, what you do“, sagte er laut und mit fester Stimme: Das ist nicht sehr klug, was ihr da tut …

      Die beiden Panzer nahmen ihn zwischen ihre Flanken in die Mitte.

      „This might cause you a lot of troubles!“ rief der Amerikaner: Das wird euch einen Haufen Ärger machen!

      Er lächelte immer noch. Er begriff, was ihm bevorstand. Er schien keine Angst zu haben. Etwas in ihm war stärker als der Tod. Das Bewußtsein vielleicht, daß seine Henker Verbrecher waren, daß sie es büßen würden … Das Bewußtsein vielleicht, daß es in seinem Land keine solchen Bestien gab … oder wenigstens, daß dieses Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, diese Bestien in die Gaskammern steckte, statt in Uniform …

      Die beiden Panzerkommandanten waren bereits gut aufeinander eingespielt. Der eine gab auf der linken Kette Gas, der andere auf der rechten. Die schweren Panzer rumpelten zusammen. Metall knirschte, und Knochen splitterten. Als die Panzer weiterrollten, fielen Fleischbrocken von ihren Ketten ab.

      Nur ein paar Amis rannten um ihr Leben. Ein SS-Sturmmann riß die Maschinenpistole hoch.

      „Sie Sack!“ schrie ein SS-Obersturmführer mit zornrotem Gesicht. „Erst ab hundert Meter Feuer frei!“

      Die Fliehenden wurden mit sauber gezielten Feuerstößen aus den Maschinengewehren umgelegt.

      „So was muß man waidgerecht machen“, sagte der Obersturmführer hinterher versöhnlich zu dem SS-Mann, „Sie haben aber auch gar keinen Sportsgeist.“

      Zum Schluß wurde ein Genickschußkommando zusammengestellt. Es sollte keine Zeugen geben. Man wollte sichergehen, daß kein Ami mehr sprechen konnte. Wo noch ein Körper zuckte, beugte sich rasch ein Unterscharführer oder ein SS-Mann herunter. Dann knallte ein Pistolenschuß dünnlich und arm. Dann war wieder ein Mensch endgültig gestorben. Für die Henker war das nichts mehr, gemessen an dem Feuerzauber von eben.

      Nur eines vergaß das Genickschußkommando: Es hätte auch die umgestürzten Wagen untersuchen sollen.

      Knapp ein Dutzend amerikanischer Soldaten hatte sich hier verborgen. Die GIs bissen die Zähne aufeinander, weil die halbausgebrannten Wagen noch weiter glühten und ihnen Brandwunden auf die Haut malten. Sie fühlten sie kaum mehr. Zwischen dem verbogenen Metall starrten sie mit tränenden Augen auf die grausige Szene. Es war nicht nur der Rauch, der ihre Augen tränen ließ …

      Das Genickschußkommando hätte auch den angrenzenden Wald untersuchen sollen. In ihm standen ein paar belgische Bauern, ein paar Holzfäller, ein paar Landarbeiter, die alle schwiegen.

      Nur die älteren hatten die Hände gefaltet.

      Die jüngeren spuckten aus …

      Ewig kann man einen Panzer nicht mit pumpendem Feuerlöscher fahren. Einmal geht der Vorrat zu Ende, und dann ist’s Matthäi am Letzten …

      Obersturmführer Klausen wußte das und legte Pausen ein. Pausen, in denen der Motor abkühlte, in denen sie eine Zigarette rauchten.

      „Wir kommen nicht mehr weit“, sagte Saalbeck, „wir müssen sehen, daß wir anderen Sprit bekommen.“

      Der Obersturmführer antwortete nicht. Er sah auf die Karte. Es war ihm ganz lieb, daß es jetzt notgedrungen etwas langsamer voranging. Vielleicht würde das Gros bald aufschließen. Dann war er nicht mehr allein. Nicht mehr allein mit seinen Panzern und nicht mehr allein mit der Verantwortung …

      Obersturmführer Klausen war der Typ des gläubigen SS-Offiziers. Männer wie er bewiesen, daß es selbst bei Hitlers Leibgarde anständige Menschen gab. Er kannte natürlich die Auswüchse des Nationalsozialismus. Aber er dachte schlicht und falsch, daß es keine große Sache ohne Auswüchse geben könnte. Wahrscheinlich hätte das Massaker ein paar Kilometer hinter ihm seine Weltanschauung ein für allemal vernichtet. Aber er sah es nicht.

      Klausen musterte mißtrauisch durch das Glas das vor seiner Einheit liegende, verschneite Weidegelände. Lauter Hecken, Gestrüpp und verwachsenes Zeug. Saalbeck erriet die Gedanken seines Kommandanten.

      „Schön für die Infanterie“, bemerkte er, „Scheiße für die Panzer!“

      „Weiß der Teufel“, brummte Klausen herzlich. „Na“, sagte er dann, „bleibt uns nichts anderes übrig. Da fahren wir noch ’rüber. Irgendwo kommt da ’ne Straße. Da setzen wir uns erst mal fest …“

      Sie stiegen wieder ein. Der Motor spuckte.

      „Der Fusel schmeckt ihm nicht“, meinte Wieblich.

      Eckstadt drückte gleichmütig auf den Feuerlöscher. Er hatte einen Krampf im Daumen und wechselte den Finger. Sie hatten zu spät