Will Berthold
Malmedy
Das Recht des Siegers
SAGA Egmont
Malmedy - Das Recht des Siegers
Malmedy Das Recht des Siegers (Mitgefangen Mitgehangen, Malmedy, Malmedy aufgeschoben aufgehoben)
Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1957 by Kindler Verlag, Germany
Copyright © 1957, 2017 Will Berthold Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711727348
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Erstes buch
Mitgefangen — Mitgehangen
Malmedy
1. kapitel
Das große, weiträumige Haus von München-Harlaching hat schon viel schlimmere Stürme erlebt als den heutigen Abend. Es ist kurz nach 22 Uhr, und nur wenige Gäste, eine bunte, vom Zufall zusammengewürfelte Gesellschaft von Amerikanern und Deutschen, können noch auf den Beinen stehen. Der dünne Whisky hat ihnen dicke Köpfe gemacht.
Der eigentliche Besitzer der Herrschaftsvilla sitzt in einem Internierungslager. Mit Recht übrigens. Sein derzeitiger Vertreter, ein rundlicher Besatzungsmajor, liegt bereits im Bett und gibt den überreichlich getrunkenen Schnaps wieder von sich. Der Gastgeber ist nicht der einzige, der schlappmacht. Der Stil der Partys des Jahres 1946 ist mitunter die Stillosigkeit …
Leutnant Henry F. Morris ist ganz und gar nicht in Laune. Seit zwei Stunden beobachtet er schweigend und verdrossen die willigen, billigen Mädchen und die girrenden, hektischen Damen, die nie genug bekommen. Seit dieser Zeit steht die Frau eines früheren NS-Parteibonzen im Mittelpunkt und führt das große Wort; dabei weiß jeder von ihr, deren Namen früher auf den Titelseiten der Zeitungen beinahe täglich zu finden war, daß sie in ihrer Villa am Tegernsee den amerikanischen Befreiern splitternackt entgegengekommen war.
Die Unterhaltung ist zweisprachig. Der junge, schlaksige Leutnant kann das miserable Englisch und das gebrochene Deutsch nicht mehr hören. Er greift sich nochmals einen „Scotch“ und wünscht sich 4000 Kilometer weg von hier. Der Krieg ist zwei Jahre aus, und er weiß nicht, was er in diesem verdammten Germany noch zu suchen hätte.
„Mixen Sie mir auch einen“, sagt ein junges Mädchen hinter ihm.
Er nickt, ohne sich umzudrehen.
„Noch mehr Soda?“ fragt er gewohnheitsmäßig.
„Nein, danke, es reicht.“
Jetzt erst sieht er sie … und er sieht sie gerne. Sie ist mittelgroß, dunkelblond, hat helle, wache Augen und eine hübsche Stirn. Ihr Englisch ist so sauber wie ihr Gesicht.
„My god … wo kommen Sie denn her?“ fragt Leutnant Henry F. Morris.
„Ich habe mich verspätet. Aber auf Partys dieser Art kommt man wohl nie zu spät.“
„Bestimmt nicht.“
Mit den Gläsern in der Hand verziehen sich die beiden in eine Ecke, finden zwei Polsterstühle, lassen sich nieder, schlagen die Beine übereinander, betrachten sich lächelnd.
„Ich wollte gerade gehen.“
Der Leutnant gibt sich keine Mühe, seine Sympathie besonders zu verstecken.
„Lassen Sie sich nicht aufhalten“, versetzt das Mädchen.
Er steht auf, versucht einen Augenblick lang gerade dazustehen, streckt ihr die Hand hin und sagt:
„Ich bin Henry F. Morris.“
„Ich heiße Vera Eckstadt.“
Sie lächelt, ohne dabei den Mund zu verziehen. Sie ist selbstsicher, natürlich kokett, ohne eine Spur von Pose dabei. Sie wirkt wie eine Zwanzigjährige, könnte aber auch schon älter sein.
„Schade, daß wir uns ausgerechnet hier kennenlernen müssen“, nimmt der Amerikaner das Gespräch wieder auf.
„Wo sollten wir es sonst?“
„Es ist seltsam. Entweder ich kann jemanden in der ersten Sekunde leiden oder ich kann ihn nicht ausstehen.“
„Sie können mich also leiden“, antwortet das Mädchen lächelnd.
„Ja“, sagt er. Einen Augenblick lang wirkt er verlegen. „Es ist schrecklich mit diesen Leuten hier“, erklärt er, „sie wollen alle was. Die einen Zigaretten oder Schnaps, die anderen ihre Entnazifizierung oder eine Lizenz oder sonst irgendeinen Unfug.“
„Ja. Manche füllen sogar den Zucker in mitgebrachte Tüten“, entgegnet Vera. Sie legt sorgfältig das linke Bein über das rechte, streicht mit einer knappen, keineswegs prüde wirkenden Bewegung den Rock glatt.
„Ihr Amerikaner habt eben zuviel, und wir Deutsche haben zuwenig.“
„Na ja“, erwidert Henry, „nicht ganz ohne Grund, nicht?“
Sie nickt.
„Ich kann mir schon vorstellen, wie das bei euch ist. Aber Sie können nicht wissen, wie einen das alles ankotzt, wenn jeder, dem Sie begegnen, etwas von Ihnen will … Auf einmal haben Sie das Gefühl, Sie sind in einem Netz und gleich kommt die Spinne …“
Sie nickt wieder. Sie wirkt jetzt ernst und müde.
„Ja“, sagt sie leise, „und dabei will ich auch etwas von Ihnen.“
Er hört es gar nicht.
„Ich bin nur hierhergekommen, um Sie zu treffen.“
Er schweigt noch immer.
Sie wird heftig:
„Hören Sie, Henry F. Morris, ich will etwas von Ihnen!“
„So“, sagt er langgedehnt und verständnislos.
Er greift hastig in die Tasche, holt eine Zigarette hervor, will sie anzünden. Das Feuerzeug versagt.
„Sie müssen mich morgen mit Colonel Evans zusammenbringen … Sie sind doch sein Assistent, nicht?“
„Zum Teufel, was wollen Sie eigentlich“, stößt er hervor.
„Wenn Sie mir nicht helfen“, sagt sie leise und bestimmt, „wird ein Unschuldiger gehängt.“
„Können Sie mir einen Deutschen zeigen, der nicht schuldig ist?“
„Ja“, erwidert sie.
Sie steht auf. Ihr Blick wird auf einmal merkwürdig starr, als ob sie in eine imaginäre Ferne sähe, als ob sie Raum und Zeit vergäße, als ob sie entsetzlich allein sei.
„Ja“, sagt sie noch einmal. Ganz leise.
„Meinen Bruder.“
In der ersten Sekunde begreift es der Leutnant nicht. Dann ist es soweit. Er würgt den Fluch hinunter, betrachtet Vera Eckstadt, lächelt dümmlich dabei, versucht die Zigarette noch einmal anzuzünden, schnappt sein Whiskyglas, trinkt es in einem Zug leer. Die Minute ist aus Gummi. Sie ist endlos, gemein und quälerisch …
An diesem Tag zweifelt Colonel Evans