Ohne auf Nattys Selbstgespräch zu achten, verbeugte sich der Jüngling in dankbarer Anerkennung des Anerbietens und versetzte:
»Entschuldigen Sie mich, Sir; ich brauche das Wildbret.«
»Aber für dieses könnt Ihr Euch manchen Hirsch kaufen«, entgegnete der Richter. »Nehmt es, ich bitte –« und seine Stimme zu einem Flüstern ermäßigend, fügte er bei – »es sind hundert Dollar.«
Nur einen Augenblick schien der Jüngling zu schwanken, dann aber erglühte er selbst durch das Rot hindurch, das die Kälte seinen Wangen gegeben hatte, als schäme er sich seiner vorübergehenden Schwäche, und lehnte das Anerbieten aufs neue ab.
Während dieser Szene stand das junge Mädchen auf, schlug, ohne auf die kalte Luft Rücksicht zu nehmen, die Mantelkappe, welche ihr Antlitz verhüllt hatte, zurück und sprach dann mit großem Ernst:
»Gewiß, gewiß, junger Mann – Sir – Ihr werdet meinen Vater nicht so sehr kränken, daß Ihr ihm das Bewußtsein auf die Seele laden möchtet, einen Mann, den seine Hand beschädigte, so im Wald zurückzulassen. Ich bitte Euch, kommt mit uns und laßt Euch ärztlichen Beistand gewähren.«
Mochte nun in diesem Augenblick seine Wunde mehr schmerzen, oder lag vielleicht in der Stimme und dem Wesen der schönen Sachwalterin ihres Vaters etwas Unwiderstehliches – wir wissen es nicht: genug, das Zurückhaltende im Benehmen des jungen Mannes wurde durch diese Anrede wesentlich gemildert, und er schwankte augenscheinlich, ob er ihrer Bitte entsprechen solle oder nicht, da ihm beides gleich schwer zu werden schien. Der Richter – denn diesen Titel müssen wir ihm in Zukunft geben, da er ein solches Amt bekleidete – gewahrte nicht ohne lebhaften Anteil diesen Zwiespalt in den Gefühlen des Jünglings; er trat daher auf ihn zu, nahm ihn freundlich bei der Hand, schob ihn sanft nach dem Sleigh hin und drängte ihn einzusteigen.
»Du findest keine nähere Hilfe als in Templeton«, sagte er, »und Nattys Hütte ist wenigstens drei Meilen entfernt. Komm – komm, junger Freund – geh mit uns, und laß den neuen Doktor nach deinem Arm sehen. Natty wird die Kunde von deinem Wohlbefinden deinem Freund überbringen; und wenn du es verlangst, so lasse ich dich morgen in deine Heimat führen.«
Es gelang dem jungen Manne, sich dem herzlichen Händedruck des Richters zu entziehen, aber den Blick vermochte er nicht von dem Mädchen zu wenden, das, ohne der Kälte zu achten, noch immer mit unverhülltem Gesicht dastand und durch den beredten Ausdruck seiner Züge die Bitte des Vaters aufs nachdrücklichste unterstützte.
Lederstrumpf stand inzwischen an seine lange Büchse gestützt da und hatte den Kopf etwas zur Seite gedreht, wie in ernstes Nachsinnen vertieft, als er auf einmal – augenscheinlich über seine Bedenklichkeiten beruhigt und bei einem Entschluß angelangt – das Schweigen unterbrach.
»Es ist im Grunde doch das beste, du gehst mit ihnen, Junge; denn wenn der Posten noch drinnen ist, so taugt meine alte Hand nicht mehr so gut wie ehedem dazu, ins menschliche Fleisch zu schneiden. Vor etwa dreißig Jahren, im alten Krieg, als ich unter Sir William diente, wanderte ich siebzig Meilen allein durch die heulende Wildnis mit einer Büchsenkugel in meinem Schenkel, und dann erst schnitt ich sie mit einem Taschenmesser heraus. Der alte Indianer John erinnert sich der Geschichte noch gut. Ich traf ihn mit einem Trupp Delawaren, die einem Irokesentrupp nachsetzten, der unten gewesen war und am Schoharie fünf Skalpe geholt hatte. Ich habe bei dieser Gelegenheit einer Rothaut einen Denkzettel gegeben, den sie wahrscheinlich mit ins Grab schleppte. Ich nahm den Burschen – mit Ehren vor der Dame zu vermelden – von hinten aufs Korn, und als er aus seinem Hinterhalt auftauchte, jagte ich ihm drei gute Hirschposten in seine nackte Haut, so nahe beieinander, daß man alle mit einem Dollar hätte bedecken können.«
Natty dehnte nun seinen langen Hals aus, streckte seinen Körper und öffnete seinen Mund, in dem sich nur noch ein einziger gelber Hauer blicken ließ, während seine Augen, sein Gesicht, ja seine ganze Gestalt zu lachen schienen, obgleich man keinen anderen Ton vernahm als eine Art starken Zischens, wenn er in Tremulationen die Luft einatmete.
»Ich hatte, als ich über die Mündung des Oneida setzte, meine Kugelform verloren«, fuhr er fort, »und mußte mich daher mit Hirschposten behelfen; aber die Büchse war treu und streute ihren Inhalt nicht umher wie die zweibeinigen Dinger da, Richter, die es, wie ich merke, nicht geraten machen, mit ihrem Eigner auf die Jagd zu gehen.«
Nattys auf das Zartgefühl der jungen Dame berechnete Apologie war unnötig; denn sie war, während er sprach, zu sehr damit beschäftigt, ihrem Vater beim Wegräumen einiger Gepäckstücke zu helfen, um auf seine Worte achten zu können. Unfähig, dem freundlichen Drängen der Reisenden länger zu widerstehen, ließ sich der Jüngling doch endlich – wiewohl noch immer mit unerklärlichem Widerstreben – zum Einsteigen bewegen. Der Schwarze warf unter Beihilfe seines Gebieters das erlegte Wild zu dem übrigen Gepäck, und als sie wieder in dem Sleigh saßen, lud der Richter den Jäger ein, gleichfalls hereinzukommen.
»Nein, nein«, sagte der alte Mann kopfschüttelnd, »ich habe am Christfestabend daheim etwas zu tun – fahrt nur mit dem Jungen zu und laßt Euern Doktor nach seinem Arm sehen. Zwar braucht er nur den Posten herauszuschneiden; denn wenn dies geschehen ist, so habe ich Kräuter, welche die Wunde schneller heilen werden als all seine fremden Schmieralien.« Er wandte sich um und wollte weiter, als er nach einem plötzlichen Besinnen das Gesicht wieder der Schlittengesellschaft zuwandte und beifügte: »Wenn Ihr unten am See den Indianer John trefft, so werdet Ihr gut tun, ihn mitzunehmen, daß er dem Doktor an die Hand gehe; denn so alt er ist, so versteht er sich doch gut auf Hieb-und Schußwunden, und er ist höchstwahrscheinlich mit Besen drunten, um Euern Weihnachtsbackofen auszukehren.«
»Halt! halt!« rief der Jüngling, den Schwarzen am Arm fassend, als dieser sich anschickte, seine Pferde anzutreiben, »Natty, wenn Ihr mich lieb habt, so sagt nichts von dem Schuß, – verschweigt auch, wohin ich gehe. Merkt es Euch!«
»Verlaßt Euch auf den alten Lederstrumpf«, versetzte der Jäger mit einem Blick des Verständnisses. »Er hat nicht fünfzig Jahre in den Wäldern gelebt, ohne von den Indianern schweigen zu lernen – verlaßt Euch auf mich, Junge, und vergeßt mir den alten Indianer John nicht.«
»Und Natty«, fuhr der Jüngling lebhaft fort, indem er immer noch den Schwarzen am Arm hielt, »sobald die Kugel herausgezogen ist, so bringe ich Euch ein Viertel von dem Bock zum Christfestessen.«
Er wurde jetzt von dem Jäger unterbrochen, der mit ausdrucksvoller Miene den Finger erhob, um ihn zum Schweigen aufzufordern, dann langsam an dem Saum des Weges weiterging und seine Augen unablässig auf die Zweige einer Rottanne geheftet hielt. Als er eine günstige Stellung gefunden, hielt er inne, spannte den Hahn seiner Büchse, ließ sich auf ein Knie nieder, streckte den linken Arm nach seiner ganzen Länge unter dem Gewehrlauf aus und begann die Mündung desselben langsam und in einer Linie mit dem Stamm des Baumes zu erheben. Die Augen der in dem Sleigh befindlichen Gruppen folgten natürlich der Bewegung der Büchse, und bald entdeckten sie den Gegenstand von Nattys Anschlag. Auf einem kleinen dürren Ast, der in einer Höhe von etwa siebzig Fuß waagerecht vom Stamm abbog, unmittelbar unter den lebendigen Zweigen des Baumes saß ein Vogel von jener Gattung, welche das Landvolk dieser Gegend ohne Unterschied mit dem Namen Fasan oder Rebhuhn belegt. Das Tier war nur wenig kleiner als ein gewöhnliches Haushuhn. Erschreckt durch das Bellen der Hunde und die Unterhaltung in der Nähe des Baumes, den er zum Ruheort erkoren, hatte sich der Vogel mehr gegen den Stamm hin zurückgezogen, wo er dasaß, Kopf und Hals so ausgereckt, daß sie mit den Beinen nur eine gerade Linie zu bilden schienen. Sobald das Opfer in der Ziellinie lag, drückte Natty ab und das Feldhuhn fiel mit solcher Gewalt von seinem hohen Standort herunter, daß es ganz vom Schnee begraben wurde.
»Leg dich, alter Schelm«, rief Lederstrumpf, Hektor mit dem Ladestock winkend, als dieser