»Ach, das Wild wird freilich immer seltener, Richter, je weiter diese Lichtungen und Verbesserungen um sich greifen«, erwiderte der alte Jäger mit einer Art erzwungener Resignation. »Es hat eine Zeit gegeben, wo ich dreizehn Hirsche, die Hirschkälber nicht mitgezählt, aus der Tür meiner Hütte schießen konnte! Und wenn’s einen nach einer Bärenkeule oder etwas der Art gelüstete, so durfte er nur eine Nacht wachen, um einen solchen Burschen beim Mondschein durch die Ritzen, welche die Baumstämme in den Wänden ließen, zu erlegen; es hatte dabei keine Gefahr mit dem Einschlafen; denn das Geheul der Wölfe konnte schon die Augen offenhalten. Da ist der alte Hektor –« er streichelte während dieser Worte einen hohen, schwarz-und gelbgefleckten Jagdhund mit weißem Bauch und weißen Beinen, der eben im Geleit der schon erwähnten Slut von einer Fährte zurückkehrte, – »sehen Sie, wie ihm die Wölfe die Kehle zerbissen haben – in jener Nacht, als ich sie von dem Wildbret vertrieb, das sie mir aus dem Rauchfang holen wollten. Der Hund ist zuverlässiger als mancher Christ; denn er vergißt nie einen Freund und hebt die Hand, die ihm sein Brot reicht.«
Es lag etwas Eigentümliches in dem Benehmen des Jägers, was die Aufmerksamkeit des jungen Mädchens auf sich zog, wie sie denn auch von dem ersten Augenblick an, seit sie seiner ansichtig geworden, sein Äußeres und seine Tracht mit der gespanntesten Aufmerksamkeit betrachtete. Er war groß und so mager, daß er sogar noch länger aussah als die sechs Fuß, die er genau vom Scheitel bis zur Sohle maß. Auf dem mit dünnen, schlichten, rötlichen Haaren bedeckten Kopf trug er eine Fuchsmütze, die der des Reisenden an Gestalt ähnelte, aber ihr an Eleganz weit nachstand. Sein Gesicht war fleischlos, fast abgezehrt, aber ohne Spur von Krankheit; denn im Gegenteil deutete alles bei ihm auf die kräftigste und ausdauerndste Gesundheit. Kälte und häufiger Aufenthalt in Wind und Wetter hatten seine Haut gleichförmig gerötet. Seine grauen Augen blitzten unter einem Paar zottiger Brauen hervor, in deren natürliche Farbe sich ziemlich viel Grau gemischt hatte. Der magere Hals war bloß und so rot wie sein Gesicht, und aus seinem Oberkleid sah der schmale Streifen eines gewürfelten Hemdkragens hervor. Eine Art Rock aus nicht enthaarten Hirschfellen wurde von einem Gürtel aus farbigem Wollzeug um seinen Körper zusammengehalten. An seinen Füßen hatte er Mokassins aus Hirschhäuten, die nach der Sitte der Indianer mit Schweinestacheln verziert waren, und an verschossene hirschlederne Hosen schlossen sich über den Knien Gamaschen von demselben Material an, – eine Kleidung, die ihm unter den Ansiedlern den Beinamen Lederstrumpf erworben hatte. Über seine linke Schulter lief ein Riemen von Hirschleder, an dem ein ungeheures Ochsenhorn hing, welches so dünn ausgeschabt war, daß man das darin enthaltene Pulver durchscheinen sehen konnte; sein breiteres Ende enthielt einen kunstvollen, sicher schließenden hölzernen Boden, während das andere sorgfältig mit einem kleinen Pfropfen verwahrt war. Vor ihm hing eine lederne Jagdtasche, aus welcher er bei seinen letzten Worten ein kleines Maß hervorzog, das er mit Pulver füllte, um dann seine Büchse, die von dem Schneeboden an fast bis zu der Spitze seiner Fuchskappe reichte, wieder zu laden.
Der Reisende hatte, während der Jäger in dieser Weise beschäftigt war, die Wunden des erlegten Hirsches sorgfältig untersucht und rief jetzt, ohne sich an die üble Laune des anderen zu kehren:
»Es wäre mir gar zu lieb, wenn ich die Ehre, dieses Tier erlegt zu haben, in Anspruch nehmen könnte; und gewiß, wenn der Schuß durch den Hals aus meinem Gewehr kam, so kann ich es mit Recht tun; denn der durchs Herz war unnötig – wir nennen etwas der Art einen Akt der Supererogation, Lederstrumpf.«
»Sie mögen es mit was immer für einem gelehrten Namen belegen, Richter«, sagte der Jäger, indem er die Büchse mit seinem linken Arm unterstützte, einen Messingdeckel in seiner Jagdtasche öffnete, ein kleines Stück gefetteten Leders herausnahm, eine Kugel darein wickelte und beides während des Sprechens mit kräftiger Faust in den Gewehrlauf auf das Pulver hinuntertrieb, »denn es ist weit leichter, irgendein Wort zu ersinnen, als einen Bock im Sprung zu schießen. Aber dieses Tier hier kam, wie ich bereits vorhin sagte, durch eine jüngere Hand als die Ihrige oder die meinige zu seinem Ende.«
»Was sagt Ihr dazu, mein Freund?« rief der Reisende, indem er sich scherzend gegen Nattys Begleiter umdrehte. »Wollen wir um die Ehre losen und diesen Dollar aufwerfen? Das Silber ist Euer, wenn Ihr verliert. Was sagt Ihr dazu, mein Freund?«
»Daß ich den Hirsch schoß«, sagte der junge Mann etwas stolz und legte den Arm auf seine Büchse, welche ziemlich dieselbe Form wie die seines Gefährten hatte.
»Hier sind zwei gegen einen«, sagte der Richter mit einem Lächeln, »ausgestochen – überstimmt, wie wir vor Gericht sagen. Der Aggy da darf als Sklave nicht zeugen, und Beß ist minderjährig – nun, so muß ich eben zum schlimmen Spiel eine gute Miene machen. Ihr verkauft mir aber doch das Wildbret? Ah, es müßte mit dem Henker hergehen, wenn ich nicht aus dem Tode dieses Hirsches ein gutes Geschichtchen drechselte.«
»Ich habe hier nichts zu verkaufen«, antwortete Lederstrumpf, ein wenig von dem hohen Ton seines Begleiters annehmend, »denn ich für mein Teil habe Tiere gesehen, die mit einem Halsschuß noch tagelang sprangen, und ich bin keiner von denen, welche irgend jemandem das abspannen möchten, was ihm rechtlich gebührt.«
»Ihr beharrt an diesem kalten Abend sehr zäh auf Eurem Recht, Natty«, entgegnete der Richter in unverwüstlich heiterer Stimmung. »Aber was sagt Ihr, junger Mann? Sind drei Dollar genug für den Bock?«
»Laßt uns zuerst die Rechtsfrage zur gegenseitigen Zufriedenheit abmachen«, antwortete der Jüngling bescheiden, aber mit Festigkeit und in einer Weise des Ausdrucks, die weit über seine unscheinbare Außenseite erhaben schien. »Mit wieviel Posten hatten Sie Ihr Gewehr geladen?«
»Mit fünfen, Sir«, sagte der Richter, durch das Benehmen des andern etwas verblüfft. »Sind fünf nicht genug, um einen Bock wie diesen zu erlegen?«
» Einer schon würde hinreichen; aber –« er bewegte sich nach dem Baum hin, hinter dem er hervorgetreten war – »Sie erinnern sich, Sir, daß Sie nach dieser Richtung abfeuerten. Hier stecken vier der Kugeln im Baum.«
Der Richter untersuchte die frischen Spuren in der Rinde der Tanne, schüttelte den Kopf und entgegnete mit Lachen:
»Ihr liefert den Beweis gegen Euch selber, mein junger Advokat. Wo ist die fünfte?«
»Hier!« sagte der Jüngling, indem er den groben Mantel, welchen er trug, zurückschlug und auf ein Loch in seinen Unterkleidern deutete, aus dem große Tropfen Blutes hervordrangen.
»Guter Gott!« rief der Richter entsetzt, »habe ich hier wegen einer wertlosen Großtuerei die Zeit vergeudet, während ein Mitmensch durch meine Hand leidet, ohne eine Klage laut werden zu lassen? Aber schnell – geschwind – in den Sleigh – es ist nur eine Meile bis zum Dorf, wo man wundärztlichen Beistand haben kann. Alles Nötige soll auf meine Kosten besorgt werden, und du sollst bei mir bleiben, bis deine Wunde geheilt ist – ja, und auch nachher noch – für immer!«
»Ich danke für die gute Absicht, aber ich muß das Anerbieten ablehnen. Ich habe einen Freund, der sich sehr beunruhigt fühlen würde, wenn er erführe, daß ich verwundet und fern von ihm bin. Die Beschädigung ist nur leicht und hat keinen Knochen verletzt; aber ich denke, Sir, Sie werden jetzt meine Ansprüche auf das Wild gelten lassen.«
»Gelten lassen?« wiederholte der bewegte Richter. »Ich gebe dir hiermit auf immer das Recht, Hirsche, Bären und was dir beliebt, in meinen eigenen Wäldern zu schießen. Lederstrumpf war bis jetzt der einzige Mann, dem ich dieses Privilegium erteilte, und die Zeit ist wohl nicht mehr fern, wo es von Wert sein wird. Aber ich will euch den Hirsch abkaufen – da, diese Note wird dich für deinen und meinen Schuß bezahlen.«
Der alte Jäger richtete sich während dieser Unterredung stolz auf, wartete jedoch, bis der andere ausgeredet hatte, und sprach