Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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Seite: hochklopfenden Herzens stand Miriam am Fenster und sah schweigend hinaus in die brennende Stadt.

      Kaum hatte sich Totila überzeugt, daß die Verwundung ganz leicht, als er aufsprang und rief: «Du mußt fort! Sogleich! In dieser Stunde! In der nächsten vielleicht erstürmt Belisar die Wälle. Ich habe alle meine Schiffe nochmals mit Flüchtenden gefüllt, sie bringen dich nach Cajeta, von da weiter nach Rom. Eile dann nach Taginä, wo ihr Güter habt. Du mußt fort! Julius wird dich begleiten.»

      «Ja», sprach dieser, «denn wir haben einen Weg.»

      «Einen Weg? Wohin willst du?»

      «Nach Gallien, in meine Heimat. Ich kann den furchtbaren Kampf nicht länger mit ansehn. Du weißt es selbst: ganz Italien erhebt sich gegen euch, für eure Feinde: Meine Mitbürger fechten unter Belisar: soll ich gegen sie, soll ich gegen dich meinen Arm erheben? Ich gehe.»

      Schweigend wandte sich Totila zu Valeria.

      «Mein Freund», sagte diese, «mir ist: der Glückstern unsrer Liebe ist erloschen für immer! Kaum hat mein Vater jenen Eid mit vor Gottes Thron genommen, so fällt Neapolis, die dritte Stadt des Reichs.»

      «So traust du unserm Schwerte nicht?»

      «Ich traue eurem Schwert, – nicht eurem Glück! Mit den stürzenden Balken meines Vaterhauses sah ich die Pfeiler meiner Hoffnung fallen. Leb’ wohl, zu einem Abschied für lange. Ich gehorche dir. Ich gehe nach Taginä.»

      Totila und Julius eilten mit den Sklaven hinaus, Plätze in einer der Trieren zu sichern.

      Valeria erhob sich vom Lager: da eilte Miriam herzu, ihr die glänzenden Sandalen unter die Füße zu binden.

      «Laß, Mädchen! Du sollst mir nicht dienen», sprach Valeria. – «Ich tue es gern», sagte diese flüsternd. «Aber gönne mir eine Frage.» Und mit Macht traf ihr blitzendes Auge die ruhigen Züge Valerias. «Du bist schön und klug und stolz – aber sage mir, liebst du ihn? – Du kannst ihn jetzt verlassen! – Liebst du ihn mit heißer, alles verzehrender, allgewaltiger Glut, liebst du ihn mit einer Liebe wie –»

      Da drückte Valeria das schöne, glühende Haupt des Mädchens wie verbergend an ihre Brust: «Mit einer Liebe wie du? Nein, meine süße Schwester! Erschrick nicht! Ich ahnt’ es längst nach seinen Berichten über dich. Und ich sah es klar bei deinem ersten Blick auf ihn. Sorge nicht; dein Geheimnis ist wohl gewahrt bei mir; kein Mann soll darum erfahren. Weine nicht, bebe nicht, du süßes Kind. Ich liebe dich sehr um dieser Liebe willen. Ich fasse sie ganz. Glücklich, wer, wie du, in seinem Gefühl ganz aufgehen kann im Augenblick. Mir hat ein feindlicher Gott den vorschauenden Sinn gegeben, der stets von der Stunde nach der Ferne blickt. Und so seh’ ich vor uns dunklen Schmerz und einen langen, finstern Pfad, der nicht in Licht endet. Ich kann dir aber den Stolz nicht lassen, daß deine Liebe edler sei als meine, weil sie hoffnungslos. Auch meine Hoffnung liegt in Schutt. Vielleicht wäre es sein Glück geworden, die duftige Rose deiner schönen Liebe zu entdecken: denn Valeria, – fürcht’ ich – wird die Seine nie. Doch leb’ wohl, Miriam! Sie kommen. Gedenke dieser Stunde. Gedenke mein als einer Schwester und habe Dank, Dank für deine schöne Liebe.»

      Wie ein entdecktes Kind hatte Miriam gezittert und vor der Allesdurchschauenden fliehen wollen. Aber diese edle Sprache überwältigte die Scheu ihres Herzens: reich flossen die Tränen über die glühendroten Wangen und heftig preßte sie, vor Scheu und Scham und Weinen bebend, das Haupt an der Freundin Brust.

      Da hörte man Julius kommen, Valeria abzurufen.

      Sie mußten sich trennen: nur einen einzigen raschen Blick aus ihren innigen Augen wagte Miriam auf der Römerin Antlitz. Dann sank sie rasch vor ihr nieder, umfaßte ihre Knie, drücke einen brennenden Kuß auf Valerias kalte Hand und war im Nebengemach verschwunden.

      Valeria erhob sich wie aus einem Traum und sah um sich.

      Am Fenster in einer Vase duftete eine dunkelrote Rose.

      Sie küßte sie, barg sie an ihrer Brust, segnete mit rascher Handbewegung die trauliche Stätte, die ihr ein Asyl geboten, und folgte dann rasch entschlossen Julius in einer gedeckten Sänfte nach dem Hafen, wo sie noch von Totila kurzen Abschied nahm, ehe sie mit Julius das Schiff bestieg. Alsbald drehte sich dieses mit mächtiger Wendung und rauschte zum Hafen hinaus.

      Totila sah ihnen wie träumend nach.

      Er sah Valeriens weiße Hand noch Abschied winken: er sah und sah den fliehenden Segeln nach, nicht achtend der Geschosse, die jetzt immer dichter in den Hafen zu rasseln begannen. Er lehnte an einer Säule und vergaß einen Augenblick die brennende Stadt und sich und alles.

      Da weckte ihn der treue Thorismut aus seinen Träumen.

      «Komm, Feldherr», rief ihm dieser zu, «überall such’ ich dich: Uliaris will dich sprechen. – Komm, was starrst du hier in die See unter klirrenden Pfeilen?»

      Totila raffte sich langsam auf: «Siehst du», sagte er, «siehst du das Schiff? – Da fahren sie hin! –»

      «Wer?» fragte Thorismut.

      «Mein Glück und meine Jugend», sprach Totila und wandte sich, Uliaris zu suchen.

      Dieser teilte ihm mit, daß er, Zeit zu gewinnen, soeben einen Waffenstillstand auf drei Stunden, den Belisar, um Unterhandlungen zu führen, angetragen, angenommen habe. «Ich werde nie übergeben! Aber wir müssen Ruhe haben, unsere Wälle zu flicken und zu stützen. Kommt denn nirgends Entsatz? Hast du noch keine Nachricht auf dem Seeweg vom König?»

      «Keine.»

      «Verflucht! Über sechshundert von meinen Goten sind von den höllischen Geschossen gefallen. Ich kann gar die wichtigsten Posten nicht mehr besetzen! Wenn ich nur wenigstens noch vierhundert Mann hätte!»

      «Nun», sprach Totila nachsinnend, «die kann ich dir schaffen, denk’ ich. In dem Castellum Aurelians auf der Straße nach Rom, liegen vierhundertfünfzig Mann Goten. Sie haben bisher erklärt, vom König Theodahad den unsinnigen, aber strengen Befehl zu haben, nicht Neapolis zu verstärken. Aber jetzt in dieser höchsten Not! – Ich selbst will hin, während des Waffenstillstandes, und alles aufbieten, sie zu holen.»

      «Geh nicht! Du kommst erst nach Ablauf des Stillstandes zurück, und die Straße ist dann nicht mehr frei. Du kommst nicht durch.»

      «Ich komme durch, mit Gewalt oder mit List, halte dich nur, bis ich zurück bin! Auf, Thorismut, zu Pferd.»

      Während Totila mit Thorismut und wenigen Reitern zur Porta Capuana hinausjagte, war der alte Isak, der unermüdlich auf den Wällen ausgeharrt hatte, die Pause des Waffenstillstandes benutzend, in seine Turmklause zurückgekehrt, die Tochter wiederzusehen und sich an Trank und Speise zu laben. Als Miriam Wein und Brot gebracht hatte und ängstlich dem Bericht Isaks von den Fortschritten der Feinde lauschte, erscholl ein hastiger, unsteter Schritt auf der Treppe, und Jochem stand vor dem erstaunten Paar.

      «Sohn Rachels, wo kommst du her zu übler Stunde, wie der Rabe vor dem Unglück? Wie kommst du herein? Zu welchem Tor?» – «Das laß du meine Sorge sein. Ich komme, Vater Isak, noch einmal zu fordern deiner Tochter Hand: – zum letztenmal in diesem Leben.»

      «Ist jetzt Zeit zu freien und Hochzeit zu machen?» fragte Isak unwillig, «die Stadt brennt, und die Straßen liegen voll Leichen.»

      «Warum brennt die Stadt? Warum liegen voll Leichen die Straßen? Weil die Männer von Neapolis halten zu dem Volk von Edom. Ja, jetzt ist Zeit zu freien. Gib mir dein Kind, Vater Isak, und ich rette dich und sie. Ich allein kann’s.» Und er griff nach Miriams Arm.

      «Du mich retten?» rief diese, mit Ekel zurücktretend. «Lieber sterben!»

      «Ha, Stolze!» knirschte der grimmige Freier, «du ließest dich wohl lieber retten von dem blondgelockten Christen? Laß sehen, ob er dich retten wird, der Verfluchte, vor Belisar und mir. Ha, bei den langen, gelben Haaren will ich ihn durch die Straßen schleifen und spucken in sein bleich Gesicht.»

      «Hebe dich hinweg, Sohn Rachels», rief Isak, aufstehend und den Spieß fassend. «Ich merke, du