«Gute Nacht, Miriam, lebe wohl!» rief eine melodische Stimme.
Und fast erschrocken blickte sie auf: und sah noch des Goten weißen Mantel vor der Treppe um die Ecke verschwinden. Uliaris ging nach der entgegengesetzten Seite. Rasch sprang sie die Stufen hinan und sah dem weißen Mantel, der silbern im Mondlicht glänzte, nach, lang, lang, bis er verschwand im fernen Schatten.
Viertes Kapitel
Alle Tage zweimal traten so Uliaris und Totila zusammen, berichteten ihre Erfolge, ihre Verluste und prüften ihre Aussichten zur Rettung der Stadt.
Aber am zehnten Tage der Belagerung etwa rasselte Uliaris vor Tagesanbruch auf das Verdeck von Totilas «Admiralschiff», eines morschen Muränenfängers, wo der Seegraf von Neapel, von einem zerfetzten Segel gedeckt, schlief. «Was ist?» rief Totila auffahrend, noch im Traum, «der Feind? Wo?» – «Nein, mein Junge, diesmal ist’s noch Uliaris, nicht Belisar, der dich weckt. Aber lange, beim Strahl, wird’s nicht mehr dauern.» – «Uliaris, du blutest – dein Kopf ist verbunden!» – «Bah, war nur ein Streifpfeil! Zum Glück kein giftiger. Ich holt’ ihn mir heut’ nacht. Du mußt wissen: die Dinge stehen schlecht, schlechter als je seit gestern. Der blutige Johannes, Gott hau’ ihn nieder, gräbt sich wie ein Dachs an unser Kastell Tiberii, und hat er das, dann gute Nacht, Neapolis! Gestern abend hat er eine Schanze auf dem Hügel über uns vollendet und wirft uns Brandpfeile auf die Köpfe. Ich wollt’ ihn heute nacht aus seinem Bau werfen, ging aber nicht. Sie waren sieben gegen einen, und ich gewann nichts damit als diesen Schuß vor meinen grauen Kopf.»
«Die Schanze muß weg», sagte Totila nachsinnend.
«Den Teufel auch, aber sie will nicht!
Allein mehr. Die Bürger, die Einwohner fangen an, schwierig zu werden. Täglich schießt Belisar hundert stumpfe Pfeile mit seinem ‹Aufruf zur Freiheit› herein. Die wirken mehr noch als die tausend scharfen. Schon fliegt hier und da ein Steinwurf von den Dächern auf meine armen Burschen. Wenn das wächst – –! – Wir können nicht mit tausend Mann vierzigtausend Griechen draußen abhalten und dreißigtausend Neapolitaner drinnen: drum meine ich» – und sein Auge blickte finster –
«Was meinst du?»
«Wir brennen ein Stück der Stadt nieder! Die Vorstadt wenigstens…» –
«Damit uns die Leute lieber gewinnen? Nein, Uliaris, sie sollen uns nicht mit Recht Barbaren schelten. Ich weiß ein besser Mittel – sie hungern: ich habe gestern vier Schiffsladungen Öl und Korn und Wein hereingeführt, die will ich verteilen.» – «Ö1 und Korn, meinethalben! aber den Wein, nein! Den fordre ich für meine Goten, die trinken schon lang Zisternenwasser, pfui Teufel!» – «Gut, durstiger Held, ihr sollt den Wein für euch haben.» – «Nun? Und noch keine Botschaft von Ravenna? Von Rom?» – «Keine! Mein fünfter Bote ist gestern fort.» – «Gott hau’ ihn nieder, unsern König.»
«Höre Totila, ich glaube nicht, daß wir lebendig aus diesen wurmstichigen Mauern kommen!»
«Ich auch nicht!» sagte Totila ruhig und bot seinem Gast einen Becher Wein.
Uliaris sah ihn an, dann trank er und sagte: «Goldjunge, du bist echt und dein Cäkuber auch. Und muß ich hier umkommen, wie ein alter Bär unter vierzig Hunden, mich freut’s doch, daß ich dich dabei so gut kennengelernt: dich und deinen Cäkuber.» Mit dieser rauhen Freundlichkeit stieg der graue Gote vom Verdeck.
Totila schickte den Leuten im Kastell Wein und Korn, und sie labten sich herzlich daran. Als aber Uliaris am andern Morgen aus dem Turm des Kastells lugte, rieb er sich die Augen. Denn auf der Hügelschanze wehte die blaue gotische Fahne. Totila war in der Nacht im Rücken der Feinde gelandet, und hatte das Werk in kühnem Anlauf genommen.
Aber diese neue Keckheit reizte den ganzen Zorn Belisars. Er schwur, den verwegnen Planken ein Ende zu machen um jeden Preis. Höchst erwünscht trafen ihm zur Stunde die vier Kriegsschiffe von Sizilien her auf der Höhe von Neapolis ein. Er befahl, sie sollten sofort in den Hafen von Neapolis dringen und den Seeräubern das Handwerk legen. Stolz rauschten noch am Abend des gleichen Tages die vier mächtigen Trieren heran und legten sich an der Einfahrt des Hafens vor Anker, Belisar selbst eilte mit seinem Gefolge an die Küste und freute sich, die Segel von der Abendsonne vergoldet zu sehen: «Die aufgehende Sonne sieht sie in den Hafen der Stadt fahren trotz jenem Tollkopf», sprach er zu Antoniana, die ihn begleitete, und wandte seinen Schecken zurück nach dem Lager.
Noch hatte er am andern Morgen das Feldbett nicht verlassen – Prokopius, sein Rechtsrat, stand vor ihm und las ihm den entworfenen Bericht an Justinian – da erschien in seinem Zelt Chanaranges, der Perser, der Führer der Leibwächter, und rief: «Die Schiffe, Feldherr, die Schiffe sind genommen.»
Wütend sprang Belisar aus den Decken und rief: «Der soll sterben, der das sagt.»
«Besser wäre es», meinte Prokopius, «der stürbe, der es getan.» – «Wer war es?» – «Ach Herr, der junge Gote mit blitzenden Augen und dem leuchtenden Haar.» – «Totila!» sprach Belisar, «schon wieder Totila.»
«Die Bemannung lag zum Teil am Strand, bei meinen Vorposten, zum Teil schlaftrunken unter Deck. Plötzlich, um Mitternacht, wird’s lebendig ringsum, als wären hundert Schiffe aus der Tiefe des Meeres getaucht.» – «Hundert Schiffe! Zehn Nußschalen hat er!» – «Im Augenblick und lang, eh’ wir vom Strand zu Hilfe kommen können, sind die Schiffe geentert, die Leute gefangen, eine der Trieren, deren Ankertau nicht rasch zu kappen war, in Brand gesteckt, die andern drei nach Neapolis geführt.»
«Sie sind noch früher in den Hafen gekommen, als du dachtest, o Belisar», sprach Prokopius. Aber Belisar hatte sich jetzt wieder ganz in der Gewalt. «Nun hat der kecke Knabe Kriegsschiffe! Nun wird er unerträglich werden. Jetzt muß ein Ende werden.» Er drückte den prächtigen Helm auf das majestätische Haupt: «Ich wollte die Stadt, die römischen Einwohner schonen: es geht nicht länger. Prokopius, geh und entbiete hierher die Feldherrn Magnus, Demetrius und Constantianus, Bessas und Ennes, und Martinus, den Geschützmeister; ich will ihnen zu tun geben vollauf. Sie sollen ihres Sieges nicht froh werden, die Barbaren, sie sollen Belisar kennenlernen.»
Alsbald erschien im Zelte des Oberfeldherrn ein Mann, der trotz des Brustpanzers, den er trug, mehr einem Gelehrten als einem Krieger glich. Martinus, der große Mathematiker, war eine friedliche, sanfte Natur, die lange im stillen Studium des Euklid ihre Seligkeit gefunden. Er konnte kein Blut sehen und keine Blume knicken. Aber seine mathematischen und mechanischen Studien hatten ihn eines Tages dahin geführt, eine neue Wurfmaschine von furchtbarer Schleuderkraft, wie im Vorbeigehen, zu erfinden; er legte den Plan Belisar vor, und dieser, entzückt, ließ ihn gar nicht mehr in sein Studierzimmer zurück, sondern schleppte ihn sofort zum Kaiser und zwang ihn, «Geschützmeister des Magister Militum per Orientem», d. h. eben Belisars, zu werden;