Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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durchbohrte ihre Brust.

      «Miriam!» schrie Totila entsetzt und riß sein Pferd zurück.

      Doch Thorismut, der längst Argwohn geschöpft, zerhieb, rasch entschlossen, mit dem Schwert, durch das Gitter hindurch, das haltende Seil, an dem das Tor auf und nieder ging, daß es dröhnend vor Totila niederschlug.

      Ein Hagel von Speeren und Pfeilen fuhr durch das Gitter. «Auf das Gitter! Hinaus auf sie!» rief Johannes von ihnen: aber Totila wich nicht.

      «Miriam, Miriam», rief er in tiefstem Schmerz. Da schlug sie nochmal die Augen auf, mit einem brechenden, von Liebe und Schmerz verklärten Blick: – dieser Blick sagte alles, er drang tief in Totilas Herz. «Für dich!» hauchte sie und fiel zurück. – Da vergaß er Neapolis und die Todesgefahr. «Miriam», rief er nochmals beide Hände gegen sie ausbreitend.

      Da streifte ein Pfeil den Bug seines Pferdes, blitzschnell prallte das edle Tier hochschäumend zurück. Das Fallgitter fing an, sich zu heben: da faßte Thorismut nach Totilas Zügel, riß das Pferd herum und gab ihm einen Schlag mit der flachen Klinge, daß es hinwegschoß. «Auf und davon, Herr», rief er, «ja, sie müssen flink sein, die uns einholen.» Und brausend sprengten die Reiter auf der Via Capuana den Weg zurück, den sie gekommen; nicht weit verfolgte sie Johannes im Dunkel der Nacht und das Wegs unkundig. Bald begegnete ihnen die heranziehende Besatzung von Kastell Aurelians: auf einem Hügel machten sie halt, von wo man die Stadt mit ihren Zinnen, in dem Schein der byzantinischen Wachtfeuer auf den Wällen, liegen sah.

      Erst jetzt raffte sich Totila aus seinem Schmerz, aus seiner Betäubung auf. «Uliaris!» seufzte er, «Miriam! Neapolis, – wir sehen uns wieder.» Und er winkte zum Aufbruch gen Rom.

      Aber von Stund’ an war ein Schatten gefallen in des jungen Goten Seele: mit dem heiligen Recht des Schmerzes hatte sich Miriam in sein Herz gegraben für immerdar.

      Als Johannes mit den Reitern von seiner fruchtlosen Verfolgung heimkehrte, rief er, vom Pferde springend, mit wütiger Stimme: «Wo ist die Dirne, die ihn gewarnt? Werft sie vor die Hunde.» Und er eilte zu Belisar, das Mißgeschick zu melden.

      Aber niemand wußte zu sagen, wohin der schöne Leichnam geraten. Die Rosse hätten sie zertreten, meinte die Menge. Aber einer wußte es besser: Garizo, der Bajuvare. Der hatte sie im Tumult sachte, wie ein schlafend Kind, auf seinen starken Armen davongetragen in das nahe Gärtchen, hatte die Steinplatte von dem kaum geschlossenen Grabe gewälzt und die Tochter sorglich an des Vaters Seite gelegt: dann hatte er sie still betrachtet.

      Aus der Ferne scholl das Getöse der geplünderten Stadt, in der die Massageten Belisars; trotz seines Verbots, brannten und mordeten und sogar die Kirchen nicht verschonten, bis der Feldherr selbst, mit dem Schwert unter sie fahrend, Einhalt schuf. –

      Es lag ein edler Schimmer auf ihrem Antlitz, daß er nicht wagte, wie er so gern gewollt, sie zu küssen. So legte er denn ihr Gesicht gegen Osten und brach eine Rose, die neben dem Grabe blühte, und legte sie ihr auf die Brust. Dann wollte er fort, seinen Teil an der Plünderung zu nehmen. Aber es ließ ihn nicht fort: er wandte sich wieder um. Und er hielt die Nacht über, an seinen Speer gelehnt, Totenwacht am Grabe des schönen Mädchens.

      Er sah auf zu den Sternen und betete einen uralten heidnischen Totensegen, den ihn die Mutter daheim an der Luisacha gelehrt. Aber es war ihm nicht genug: andächtig betete er noch dazu ein christlich Vaterunser. Und als die Sonne emporstieg, schob er sorgfältig den Stein über das Grab und ging.

      So war Miriam spurlos verschwunden.

      Aber das Volk in Neapolis, das im stillen warm an Totila hing, erzählte, schönheitstrahlend sei ein Schutzengel herabgestiegen, ihn zu retten, und wieder aufgefahren gen Himmel.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der Fall von Neapolis war erfolgt wenige Tage nach der Versammlung zu Regeta.

      Und Totila stieß schon bei Formiä auf seinen Bruder Hildebad, den König Witichis mit einigen Tausendschaften schleunig abgesandt hatte, die Besatzung der Stadt zu verstärken, bis er selbst mit einem größeren Heere zum Entsatz herbeieilen könne. Wie jetzt die Dinge standen, konnten die Brüder nichts anderes tun, als sich auf die Hauptmacht, nach Regeta, zurückzuziehen, wo Totila seinen traurigen Bericht von den letzten Stunden von Neapolis erstattete. Der Verlust der dritten Stadt des Reiches, des dritten Hauptbollwerks Italiens, mußte den ganzen Kriegsplan der Goten verändern.

      Witichis hatte die zu Regeta versammelten Scharen gemustert, es waren gegen zwanzigtausend Mann. Diese, mit der kleinen Schar, die Graf Teja eigenmächtig zurückgeführt, waren im Augenblick die ganze verfügbare Macht: bis die starken Heere, die Theodahad weit weg nach Südgallien und Noricum, nach Istrien und Dalmatien entsendet, wiewohl sofort zur schnellen Rückkehr aufgefordert, einzutreffen vermochten, konnte ganz Italien verloren sein.

      Gleichwohl hatte der König beschlossen, sich mit diesen zwanzig Tausendschaften in die Werke von Neapolis zu werfen und hier dem durch den Zufluß der Italiener auf mehr als die dreifache Übermacht angeschwollenen Heere der Feinde bis zum Eintreffen der Verstärkungen Widerstand zu leisten. Aber jetzt, da jene feste Stadt in Belisars Hand gefallen, gab Witichis den Plan, sich ihm entgegenzustellen, auf. Sein ruhiger Mut war ebensoweit von Tollkühnheit wie von Zagheit entfernt.

      Ja, der König mußte seiner Seele noch einen andern, schmerzlicheren Entschluß abringen. Während in den Tagen nach dem Eintreffen Totilas in dem Lager vor Rom sich der Schmerz und der Grimm der Goten in Verwünschungen über den Verräter Theodahad, über Belisar, über die Italier Luft machte, während schon die kecke Jugend hier und da anhob, auf das Zaudern des Königs zu schelten, der sie nicht gegen diese Griechlein führen wolle, deren je vier auf einen Goten gingen, während der Ungestüm des Heeres schon über den Stillstand grollte, gestand sich der König mit schwerem Herzen die Notwendigkeit, noch weiter zurückzuweichen und selbst Rom vorübergehend preiszugeben.

      Tag für Tag kamen Nachrichten, wie Belisars Heer anwachse: aus Neapolis allein führte er zehntausend Mann – als Geiseln zugleich und Kampfgenossen –, von allen Seiten strömten die Welschen zu seinen Fahnen: von Neapolis bis Rom war kein Waffenplatz fest genug, Schutz gegen solche Übermacht zu gewähren, und die kleineren Städte an der Küste öffneten dem Feind mit Jubel die Tore.

      Die gotischen Familien aus diesen Gegenden flüchteten in das Lager des Königs und berichteten, wie gleich am Tage nach dem Falle von Neapolis Cumä und Atella sich ergeben, darauf folgten Capua, Cajeta und selbst das starke Benevent. Schon standen die Vorposten Belisars, hunnische, sarazenische und maurische Reiter, bei Formiä. Das Gotenheer erwartete und verlangte eine Schlacht vor den Toren Roms.

      Aber längst hatte Witichis die Unmöglichkeit erkannt, mit zwanzigtausend Mann einem Belisar, der bis dahin hunderttausend zählen konnte, im offnen Feld entgegenzutreten. Eine Zeitlang hegte er die Hoffnung, die mächtigen Befestigungen Roms, das stolze Werk des Cethegus, gegen die byzantinische Überflutung halten zu können, aber bald mußte er auch diesen Gedanken aufgeben.

      Die Bevölkerung Roms zählte, dank dem Präfekten, mehr waffenfähige und waffengeübte Männer denn seit manchem Jahrhundert, und stündlich überzeugte sich der König, von welcher Gesinnung diese beseelt waren. Schon jetzt hielten die Römer kaum noch ihren Haß wider die Barbaren zurück, es blieb nicht bei feindlichen und höhnischen Blicken: schon konnten sich Goten in den Straßen nur in guter Bewaffnung und großen Scharen blicken lassen: täglich fand man vereinzelte gotische Wachen von hinten erdolcht.

      Und Witichis konnte sich nicht verhehlen, daß diese Elemente des Volksgeistes gegliedert und geleitet waren von schlauen und mächtigen Häuptern: den Spitzen des römischen Adels und des römischen Klerus. Er mußte sich sagen, daß, sowie Belisar vor den Mauern erscheinen werde, das Volk von Rom sich erheben und mit dem Belagerer vereint die kleine gotische Besatzung erdrücken würde.

      So hatte Witichis den schweren Entschluß gefaßt, Rom, ja ganz Mittelitalien aufzugeben, sich nach dem festen und verlässigen