Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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Ein Wahn! Ah, ist’s ein Wahn, daß sich’s schwer atmet hier unten? Ein Wahn, daß unsre hochgewachsenen, weißen Goten klein und braun geworden hier unten im Tal? Ist es ein Wahn, daß alles Unheil von jeher von Süden hergekommen, von diesem weichen, falschen Tal? Woher kommen die Bergstürze über unsre Hütten? Von Süden her. Von wo kommt der giftige Wind, der Mensch und Vieh verdirbt? Von Süden. Warum stürzt mir Kuh und Schaf, wann sie am Südhang grasen? Warum starb deine Mutter, wie sie das erstemal von unserm Berge nach Bolsanum herabkam, in der schwülen Stadt? Ein Bruder von dir stieg auch herab, trat in des Königs Theoderichs Waffenschar zu Ravenna: erstochen haben ihn die Welschen beim Wein. Warum taugt kein Knecht mehr was, der je hier in den Süden herabstieg auch nur auf einen Winter? Wo hat unser großer Held Theoderich das verfluchte Regieren gelernt, mit Steuern und Folter und Kerker und Schreiben? Was haben unsre Väter von all dem gewußt?

      Von woher kommt aller Trug, alle Unfreiheit, alle Üppigkeit, alle Unkraft, alle List? Von hier: aus dem Welschtal, aus dem Süden, wo die Menschen zu Tausenden beisammen nisten, wie unsauber Gewürm, und einer dem andern die Luft vergiftet. Und da kommt mir so einer auf meinen Fels und holt mein frisches Kind herab in dieses Land des Unsegens! Dein Eheherr hat was Gutes und Klares, ich leugn’ es nicht; und hätte er sich droben bei mir ein Gehöft gebaut, ich hätte ihm gern mein Kind und das Joch der besten Ochsen dazu gegeben. Aber nein! Da herunter mußte er sie führen ins heiße Sumpftal. Und er selbst bückt den Kopf in goldnen Sälen zu Rom und in der Rabenstadt. Wohl hab’ ich mich lang gewehrt –»

      «Aber endlich gabst du nach

      «Was wollt’ ich machen? War doch mein kernfrisches Mädel ganz herzenssiech geworden nach dem Unglücksmann.»

      «Und zehn Jahre hat der Unglücksmann dein Kind beglückt.» – «Wenn’s nur auch wahr ist!» – «Vater!» – «Und wahr bleibt. Es wäre das erstemal, daß Glück von Süden käme. Sieh, mein Abscheu ist so groß vor der Ebne, daß ich die sieben Jahr nicht niederstieg, gar mein Enkelkind nie gesehn habe. Wenn ich es jetzt doch getan, hat’s schweren Grund.»

      «Also nicht die Liebe? Nicht dein Herz?»

      «Freilich! Doch mein banges Herz! Ein böses Zeichen ist geschehen. Du denkst doch noch der freudigen Buche, die am Felsbache stand, rechts vorm Hause? Ich pflanzte sie, nach altem Brauch, an dem Tag, da du geboren wardst. Und prächtig, wie du selbst, gedieh der Baum. In dem Jahr, da du fortzogst freilich, fand ich, er sehe krank und traurig aus. Aber die andern sahen es nicht und lachten mich aus.

      Nun, sie erholte sich wieder und war frisch und grün. Doch in der letzten Woche kam des Nachts ein Hochgewitter, so wütig, wie ich’s selten gehört da droben in den Felsen, und als wir am Morgen vor das Tor treten – ist der Stamm vom Blitz zerspalten, und die Krone hat der Gießbach mit sich fortgerissen – nach Süden.»

      «Schad’ um den lieben Baum! Doch kann dich das ängstigen?»

      «Es ist nicht alles. Traurig grub ich am Abend, nach dem Tagewerk, den armen Stamm aus der Erde und warf ihn ins Herdfeuer, daß er nicht verunehrt und elend am Wege stehe, der meinem Kinde ein Bild und Zeichen war. Und ich nahm mir’s sehr zu Herzen, und ich sann und sann mit schweren Sorgen über deinen Mann, und meine Zweifel an ihm kamen dicht und dichter. Und ich sah ins Feuer, drin der Stamm verkohlte.

      So schlief ich ein, und im Traum sah ich dich und Witichis. Er tafelte im Goldsaal unter stolzen Männern und schönen Frauen in Glanz und Pracht gekleidet. Du aber standest vor der Tür, im Bettlerkleid, und weintest bittre Tränen und riefst ihn beim Namen. Er aber sprach: ‹Wer ist das Weib? Ich kenne sie nicht!› – Und es ließ mich nicht mehr droben in den Bergen. Herab zog’s mich: ich mußte sehen, wie mein Kind gehalten ist im Tal; und überraschen wollt’ ich ihn – deshalb wollt’ ich nicht durchs Tor ins Haus.»

      «Vater», sprach Rauthgundis zornig, «dergleichen soll man selbst im Traume nicht denken. Dein Mißtrauen –»

      «Mißtrauen! Ich traue niemand als mir selbst. Und in dem Blitzschlag und in dem Traumgesicht hat sich’s mir deutlich gemeldet: dir droht ein Unglück! Weich ihm aus! Nimm deinen Knaben und geh mit mir in die Berge! Nur auf kurze Zeit. Glaub’ mir, du wirst es bald wieder schön finden in der frischen Luft, wo man über aller Herren Länder hinwegsieht.»

      «Ich soll meinen Mann verlassen? Niemals.» – «Hat er nicht dich verlassen? Ihm ist Hof-Königsdienst mehr als Weib und Kind. So laß ihm seinen Willen.»

      «Vater», sprach jetzt Rauthgundis, seine Hand heftig fassend, «kein Wort mehr! Hast du denn meine Mutter nicht geliebt, daß du so reden kannst von Ehegatten? Mein Witichis ist mir alles. Luft und Licht des Lebens. Und er liebt mich mit seiner ganzen treuen Seele. Und wir sind eins.

      Und wenn er für recht hält, fern von mir zu schaffen, zu wirken, so ist es recht. Er führt seines Volkes Sache. Und zwischen mich und ihn soll kein Wort, kein Hauch, kein Schatten treten. Und auch ein Vater nicht.»

      Der Alte schwieg. Aber sein Mißtrauen schwieg nicht. «Warum», hob er nach einer Pause wieder an, «wenn er am Hof so wichtige Geschäfte hat, warum nimmt er dich nicht mit? Schämt er sich der Bauerntochter?» und zornig stieß er seinen Stock auf die Erde.

      «Der Zorn verwirrt dich! Du grollst, daß er mich vom Berg ins Tal der Welschen geführt – und grollst ebenso, weil er mich nicht nach Rom mitten unter sie führt!»

      «Du sollst’s auch nicht tun! Aber er soll’s wollen. Er soll dich nicht entbehren können. Aber des Königs Feldherr wird sich des Bauernkindes schämen.»

      Da, ehe Rauthgundis antworten konnte, sprengte ein Reiter an das jetzt verschlossene Hoftor, vor dem sie eben standen. «Auf, aufgemacht!» rief er, mit der Streitaxt an die Pfosten schlagend. – «Wer ist da draußen’» fragte der Alte vorsichtig. – «Aufgemacht! So lang läßt man einen Königsboten nicht warten!»

      «Es ist Wachis», sprach Rauthgundis, den schweren Riegelbalken im Ring zurückschiebend, «was bringt dich so plötzlich zurück?»

      «Du bist es selbst, die mir öffnet!» rief der treue Mann, «o Gruß und Heil, Frau Königin der Goten! Der Herr ist zum König des Volks gewählt. Diese meine Augen sahen ihn hoch auf den Heerschild gehoben. Er läßt dich grüßen: und entbietet dich und Athalwin nach Rom. In zehn Tagen sollst du aufbrechen.»

      In allem Schrecken und in aller Freude und zwischen allen Fragen durch konnte sich Rauthgundis nicht enthalten eines freudig stolzen Blicks auf ihren Vater. Dann warf sie sich an seine Brust und weinte. «Nun», fragte sie endlich sich losmachend, «Vater, was sagst du nun?»

      «Was ich sage? Jetzt ist das Unglück da, das mir geahnt! Ich gehe noch heute nacht zurück auf meinen Berg.»

      Zweites Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Während die Goten bei Regeta tagten, umklammerte in weit geschwungenem Halbkreis das mächtige Heerlager Belisars die hart bedrängte Stadt Neapolis.

      Rasch, unaufhaltsam wie ein Brand in getrocknetem Heidegras, hatte sich das Heer der Byzantiner von der äußersten Südostspitze Italiens bis vor die Mauern der pathenopeischen Stadt gewälzt, ohne Widerstand zu finden. Denn dank den Befehlen Theodahads waren nicht hundert Gotenkrieger in jenen Gegenden zu finden.

      Das kurze Vorpostengefecht am Passe Jugum war der einzige Aufenthalt, auf den die Griechen stießen. Die römische Bevölkerung vor Bruttien mit den Städten Regium, Vibo und Squyllacium, Tempsa und Croton, Ruscia und Thurii, von Calabrien mit den Städten Gallipolis, Tarentum und Brundisium, von Lucanien mit den Städten Vella und Buxentum, von Apulien mit den Städten Acheruntia und Canusium, Salernum, Nuceria und Campsä, und viele andere Städte nahmen Belisar mit Jubel auf, als er ihnen im Namen des rechtgläubigen Kaisers Justinian die Befreiung von dem Joche der Ketzer und Barbaren verkündete. Bis an den Aufidus im Osten, bis an den Sarnus im Südwesten war Italien den Goten entrissen, und erst an den Wällen von Neapel brach sich der Ungestüm dieser feindlichen Wogen.

      Und