Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht kniend, die Hände hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod.
Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: «Wie ihr mir Treue, so schwör’ ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter König sein, des Rechtes walten und dem Unrecht wehren, gedenken will ich, daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte, und mein Leben, mein Glück, mein alles, euch will ich’s weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.»
Und den Dingschild vom Baume hebend, rief er: «Das Ding ist aus. Ich löse die Versammlung.»
Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder, und bunt und ordnunglos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie in Italien seit mehr als fünfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften.
Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres nach einem der Zelte zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren.
Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn.
«Der bin ich: was willst du mir, Römer?» sprach dieser sich wendend. «Nichts, Herr, als diese Vase überreichen. Seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt.» – «Was soll mir die Vase? Ich kaufe nichts dergleichen.» – «Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie euch zu geben. Ich bitt’ euch, nehmt.»
Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze, und er biß krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: «Mein König – König Witichis – eine Gnade!»
«Was ist dir, Teja, um Gott? Was willst du?»
«Urlaub! Urlaub auf sechs – auf drei Tage! Ich muß fort.» – «Fort, wohin?» – «Zur Rache! Hier lies – der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb – er ist es – den ich längst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand – es ist Theodahad! –»
«Er ist’s, es ist Theodahad», sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. «Geh denn! Aber zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom, er ist gewiß längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.»
«Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.»
«Du wirst ihn nicht finden.»
«Ich finde ihn, und müßt ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im Schoße des Himmelgottes suchen.»
«Er wird mit starker Bedeckung gelichtet sein», warnte der König.
«Aus tausend Teufeln hol’ ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb’ wohl, König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.»
Fünftes Buch:
Witichis Erste Abteilung
«Die Goten aber wählten zum König Witichis, einen Mann, zwar nicht von edlem Geschlecht, aber von hohem Ruhm der Tapferkeit.» Prokop, Gotenkrieg I.
Erstes Kapitel
Langsam sank die Sonne hinter die grünen Hügel von Fäsulä und vergoldete die Säulen vor dem schlichten Landhaus, in welchem Rauthgundis als Herrin schaltete.
Die gotischen Knechte und die römischen Sklaven waren beschäftigt, die Arbeit des Tages zu beschließen. Der Mariskalk brachte die jungen Rosse von der Weide ein. Zwei andre Knechte leiteten den Zug stattlicher Rinder von dem Anger auf dem Hügel nach den Ställen, indes der Ziegenbub mit römischen Scheltworten seine Schutzbefohlenen vorwärts trieb, die genäschig hier und da an dem salzigen Steinbrech nagten, der auf dem zerbröckelten Mauerwerk am Wege grünte. Andre germanische Knechte räumten das Ackergerät im Hofraum auf, und ein römischer Freigelassener, ein gar gelehrter und vornehmer Herr, der Obergärtner selbst, verließ mit einem zufriedenen Blick die Stätte seiner blühenden und duftenden Wissenschaft.
Da kam aus dem Roßstall unser kleiner Freund Athalwin im Kranze seiner hellgelben Locken. «Vergiß mir ja nicht, Kakus, einen rostigen Nagel in den Trinkkübel zu werfen. Wachis hat’s noch besonders aufgetragen! Daß er dich nicht wieder schlagen muß, wenn er heimkommt.» Und er warf die Tür zu. «Ewiger Verdruß mit diesen welschen Knechten!» sprach der kleine Hausherr mit wichtigem Stolz. «Seit der Vater fort ist und Wachis ihm ins Lager gefolgt, liegt alles auf mir, denn die Mutter, lieber Gott, ist wohl gut für die Mägde, aber die Knechte brauchen den Mann.» Und mit großem Ernst schritt das Büblein über den Hof.
«Und sie haben vor mir gar nicht den rechten Respekt», sprach er und warf die kirschroten Lippen auf und krauste die weiße Stirn. «Woher soll er auch kommen? Mit nächster Sonnwend bin ich volle neun Jahr: und sie lassen mich noch immer herumgehen mit einem Ding wie ein Kochlöffel.» Und verächtlich riß er an dem kleinen Schwert von Holz in seinem Gurt. «Sie dürften mir keck ein Weidmesser geben, ein rechtes Gewaffen. So kann ich nichts ausrichten und sehe nichts gleich.»
Und doch sah er so lieblich, einem zürnenden Eros gleich, in seinem kniekurzen, ärmellosen Röckchen von feinstem, weißem Leinen, das die liebe Hand der Mutter gesponnen und genäht und mit einem zierlichen roten Streifen durchwirkt hatte.
«Gern lief ich noch auf den Anger und brächte der Mutter zum Abend die Waldblumen, die sie so liebt, mehr als unsre stolzesten Gartenblumen. Aber ich muß noch Rundschau halten, ehe sie mir die Tore schließen, denn: ‹Athalwin›, hat der Vater gesagt, wie er ging, ‹halt mir das Erbe recht in acht, und wahre mir die Mutter! Ich verlaß mich auf dich!› Und ich gab ihm die Hand drauf. So muß ich Wort halten.»
Damit schritt er den Hof entlang, an der Vorderseite des Wohnhauses vorüber, durchmusterte die Nebengebäude zur Rechten und wollte sich eben nach der Rückseite des Geviertes wenden, als er durch lautes Bellen der jungen Hunde zur Linken auf ein Geräusch an dem Holzzaun, der das Ganze umfriedete, aufmerksam wurde.
Er schritt nach der bezeichneten Ecke hin und erstaunte, denn auf dem Zaune saß oder über denselben herein stieg eine seltsame Gestalt. Es war ein großer, alter, hagrer Mann in grobem Wams und ganz rauhem Loden, wie ihn die Berghirten trugen; als Mantel hing eine mächtige Wolfsschur unverarbeitet von seinen Schultern nieder, und in der Rechten trug er einen riesigen Bergstock mit scharfer Stahlspitze, mit welchem er die Hunde abwehrte, die zornig an dem Zaun hinaufsprangen. Eilends lief der Knabe hinzu. «Halt, du landfremder Mann, was tust du auf meinem Zaun? Willst du gleich hinaus und herab?»
Der Alte stutzte und sah forschend auf den schönen Knaben. «Herunter, sag’ ich!» wiederholte dieser. – «Begrüßt man so in diesem Hof den wegmüden Wandrer?» – «Ja, wenn der wegmüde Wandrer über den Hinterzaun steigt. Bist du was Rechtes und willst du was Rechtes, – da vorn steht das große Hoftor sperrangelweit offen: da komm herein.»
«Das weiß ich selbst, wenn ich das wollte.»