Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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bezwungen? Wenn ich euch aufrufe, Mann für Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius – wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?»

      «Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!» riefen die Jünglinge begeistert.

      Nach einer Pause begann der Jurist: «Ich heiße Scävola. Wo römische Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken mögen in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie die jungen Toren, hast du einen Plan?» –

      «Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen also, fallen sie alle, auf einen Schlag, in meine Hand.»

      «Wie? Dreißig Tage sollen wir noch warten?» fragte Lucius.

      «Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre warten müssen!»

      Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub – sie murrten.

      Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. «Nein, Cethegus,» rief er, «so lang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet, als er muß. Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen können die Waffen Belisars in Italien blitzen.»

      «Oder sollen wir vielleicht», fragte Scävola, «Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?»

      «Ihr sprecht von Wünschen», lächelte dieser, «nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich wäre der erste, mich ihm anzuschließen. Aber er wird nicht landen. Das ist’s ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser hält nicht Wort.»

      Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders.

      «Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du meinst. Belisar liegt bei Sizilien.»

      «Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar.»

      Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange, und eilfertig stürzte Albinus herein:

      «Triumph», rief er, «Freiheit, Freiheit!»

      «Was bringst du?» fragte freudig der Priester.

      «Den Krieg, die Rettung. Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.»

      «Freiheit, Krieg!» jauchzten die Jünglinge.

      «Es ist unmöglich!» sprach Cethegus, tonlos.

      «Es ist gewiß!» rief eine andre Stimme vom Gange her – es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuß gefolgt – «und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sizilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.»

      «Freiheit!» rief Marcus Licinius.

      «Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis.»

      «Es ist erlogen, alles erlogen!» sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern.

      «Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend Mann.» – «Ein Verräter, wer noch zweifelt», sprach Scävola. – «Nun laß sehen», höhnte Silverius, «ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?»

      Vor Cethegus’ Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, seine Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten Feind alles getan, was er getan.

      Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos, überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitre Streben ermüdet aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der Schlag sein Ohr, und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße, ihr einen Seufzer nachzusenden, denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloß, eine zweite zu schaffen.

      «Nun! Was wirst du tun?» wiederholte Silverius.

      Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: «Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt, ich gehe in sein Lager.» Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber.

      Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern, aber er verstummte, da ihn der Blick des Präfekten traf: «Frohlocke nicht, Priester», schien er zu sagen, «diese Stunde wird dir vergolten.»

      Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn.

      Neuntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen.

      Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siziliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eigenen Lebens zuerst verhängnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben hatte.

      Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt.

      Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Güte, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen, und ihren vereinten Einflüssen gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht «barbarisch» schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit der hellenischen und römischen Literatur kannte und würdigte und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der Alten Welt bewunderte.

      Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offenen Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte die Nacht verhaßt, so war für Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratisch-republikanischen Opposition wider das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die alt-republikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt. In dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fernhalten. Es kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich gelegenen Güter, hingerichtet