Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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lange Nächte hab’ ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: o ein Meer von Rache will ich trinken.»

      Händeringend erhob sich Amalaswintha: «Rache! Wofür? Woher dieser tödliche Haß?»

      «Ha, du fragst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen, und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die Ersten unter ihren Gespielinnen. Beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spiels wählen, und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch; und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei, von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt. Und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere» –

      «Halt ein, o schweig, Gothelindis.»

      – «Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde, und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.»

      «Verzeih, vergib, Gothelindis!» jammerte die Gefangene. «Du hattest mir ja längst verziehn.»

      «Verzeihen? Ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich dir verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich, sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen.

      Und Jahre vergingen.

      Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunklen Auge und der weichen Seele; und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld – denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet –, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte.

      Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz, weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest.

      Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen; und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man auch mir einen Amaler: – Theodahad, den elenden Feigling!»

      «Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich –»

      «Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? Oh, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt – alles hätt’ ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Zepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht – Rache, Rache für ihn.»

      Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: «Rache! Rache!»

      «Zu Hilfe!» rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang.

      «Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab’ ich so lang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab’ ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor einer Stunde an deinem Bette, hab’ ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: – denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.»

      «Entsetzliche!»

      «Oh, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.»

      «Was willst du tun?» rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend.

      «Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich, und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen. In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: – in diesem Bade sollst du sterben!»

      Und sie drückte auf eine Feder.

      Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen.

      «Denk’ an mein Auge!» rief Gothelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit.

      Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder, sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi. Das erquickte ihre Seele, sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen, schon rauschten sie an den Stufen der Galerie.

      «Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!» rief Gothelindis grimmig, «denk’ an die drei Herzoge!» Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren.

      Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: «Gothelindis, ich vergebe dir! Töte mich, aber verzeih auch du meiner Seele.». Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. «Ich dir vergeben? Niemals! Denk’ an Eutharich!»

      Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte.

      Wenn sie die hier angebrachte Sprungdecke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen. Schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: «Höre mich, Gothelindis! Meine letzte Bitte! Nicht für mich – für mein Volk, für unser Volk: – Petros will es verderben und Theodahad…» –

      «Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese törichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht, und niemand ist, der sie warnt.»

      «Du irrst, Teufelin, sie sind gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!»

      Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen.

      Gothelindis blickte starr auf die