Valerius sah voraus, was kommen werde, und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes, und gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung erspart.
Aber jener fuhr fort: «Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte geschäftlich abtun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gib mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermögen – nur zum Teil: denn es ist viel größer, als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb’ ich, wie groß sie sei, das Doppelte…»
«Furius!» unterbrach der Vater.
«Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Königin soll sie beneiden. Ich will sie hochhalten: höher als meine Seele.» Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend.
Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schönes, bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. «Furius Ahalla», sprach er rasch und hastig, «ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen – nun biete ich mich selbst –: ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur»
«Mein Freund», hob der Alte an, «wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz…» –
«Sie liebt einen andern:» knirschte der Korse, «wen?» Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß, und wollte den Namen nicht nennen. – «Wer kann es sein?» fragte halblaut der Wütende. «Ein Römer? Montanus? Nein! O nur – nur nicht er – sag’ nein, Alter, nicht er» – Und er faßte ihn am Gewande.
«Wer? Wen meinst du?»
«Der mit mir landete – der Gote: doch ja, er muß es sein, es liebt ihn ja alles: Totila!»
«Er ist’s!» sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen.
Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf rüttelte den ehernen Leib des starken Korsen, er streckte beide Hände starr vor sich hin, als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut lachend.
Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. «Es ist aus», sagte er dann mit bebender Stimme. «Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal – hart vor der Erfüllung! Und jetzt – ich weiß es –, Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: ich wäre anders geworden – – besser. Und sollte es nicht sein» – hier funkelte sein Auge wieder –, «nun, so wär’ es fast das gleiche Glück gewesen, den Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen – und nun ist er es!
Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet und welchen Dank» – – Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. «Valerius», rief er dann plötzlich sich aufraffend, «ich weiche keinem Mann auf Erden – ich hätt’ es nicht getragen, hinter einem andern zurückzustehen – doch Totila! – Es sei ihr vergeben, daß sie mich ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb’ wohl, Valerius, ich geh’ in See, nach Persien, Indien – ich weiß nicht, wohin – ach, überallhin nehm’ ich diese Stunde mit.» Und rasch war er hinaus, und gleich darauf entführte ihn sein pfeilgeschwindes Boot dem kleinen Hafen der Villa.
Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben.
Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panoramus: jeden Tag könnte die Landung auf Sizilien, in Italien selbst erfolgen, und trotz all seines Drängens sende der König keine Schiffe. In den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sizilien, sich Gewißheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt, und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen: vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachtschiffes zurückbringen.
Es war dunkler Abend geworden, als er dort ankam, ein Nebelschleier verhüllte die Dinge in nächster Nähe.
Da scholl Ruderschlag von Westen her, und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges.
Totila lauschte und fragte seine Wachen: «Segel zur Linken! Was für ein Schiff? Was für Herr?»
«Schon angezeigt vom Mastkorb» – hallte es wider – «Kauffahrer – Furius Ahalla – lag hier vor Anker.»
«Fährt wohin?»
«Nach Osten – nach Indien!» –
Zehntes Kapitel
Am Abend des dritten Tages, seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein unerträglicher Gedanke, daß «Griechen» das teure Italien in Waffen betreten sollten. «Auch ich wünsche den Frieden», sprach Valeria, nachsinnend – «und doch –» «Nun?» fragte Valerius. «Ich bin gewiß, du würdest», vollendete das Mädchen, «im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.» – «Ja», sagte Julius, «es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.» – «Ich kenne Größeres», antwortete Valerius.
Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atrium klirrende Schritte, und der junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger, trat hastig ein.
«Valerius», sprach er schnell, «laß die Wagen anschirren, die Sänften in den Hof – ihr müßt fort.»
Die drei sprangen auf: «Was ist geschehn – sind sie gelandet?» – «Rede»,