«Halt» rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen «wer seid ihr, und was wollt ihr?» – «Das habe ich zu fragen!» entgegnete der Führer der Reiter in derselben Sprache. – «Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein Vaterland gegen Räuber.»
Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung. «Freund», sagte er etwas zurückweichend, «so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gib Raum und laß uns durch.» Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: «Wer bist du, und wer sendet dich?» – «Ich heiße Johannes: die Feinde Justinians nennen mich ‹den Blutigen›, und ich führe die leichten Reiter Belisars. Alles Land von Regium bis hierher hat uns mit Jubel aufgenommen: hier ist das erste Hemmnis; längst wären wir weiter, hätt’ uns nicht ein Hund von einem Goten in den dicksten Sumpf geführt, drin je ein guter Gaul versank. Köstliche Zeit ging uns verloren. Halt’ uns nicht auf, Leben und Habe ist dir gesichert, und reicher Lohn, wenn du uns führen willst. Eile ist der Sieg. Die Feinde sind betäubt: sie dürfen sich nicht besinnen, bis wir vor Neapolis stehen, ja vor Rom. ‹Johannes›, sprach Belisar, zu mir, ‹da ich’s dem Sturmwind nicht befehlen kann, vor mir her durch dieses Land zu fegen, befehl ich’s dir.› Also fort und laßt uns durch –.» Und er spornte sein Pferd.
«Sag Belisar, solange Genius Valerius lebt, soll er keinen Fußbreit vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!» – «Verrückter Mensch! Du hältst es mit den Goten gegen uns?» – «Mit der Hölle – wenn gegen euch.»
Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: «Höre», sprach er, «du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, sollst du leben. Weichst du nicht, so laß dich erst schinden und dann pfählen!» Und er hob die Fackel, nach einer Blöße spähend.
«Zurück», rief Valerius. «Schieß’, Freund!» Und eine Sehne klirrte, und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. «Warte,» rief dieser und spornte sein Tier zurück. «Absitzen», befahl er, «alle Mann!» Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. «Wie Herr? Absitzen!» fragte einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann rührte sich nicht. «Absitzen!» donnerte er nochmals; «wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schlüpfen?» Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: «Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwärts.» Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze.
Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Paß. «Ergebt euch!» rief er. – «Kommt an», riefen die Goten.
Da winkte Johannes, und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich.
Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel; einer der Schützen auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Lücke rannte.
Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück.
Da konnte sich’s der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur Rechten des Felspasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schuldlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen.
Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnäbeln wieder zurück-und hinauszustoßen. Er ging zurück, einen neuen Pfeilregen zu befehlen.
Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen.
Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: «Das Schiff! Herr das Schiff! Sie sind gelandet; sie fassen uns im Rücken! Flieh, wir wollen euch tragen – ein Versteck in den Felsen. –»
«Nein», sprach Valerius, sich aufrichtend, «hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und –»
Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten, und eine Schar von dreißig Goten stürmten in den Paß, Totila an ihrer Spitze. Sein erster Blick fiel auf Valerius: «Zu spät, zu spät!» rief er schmerzlich. «Aber folgt mir! Rache! Hinaus!»
Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel, und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel stürzten Mann und Roß die Felsen hinab.
Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. «Verfluchter Flachskopf», schrie er, «so bist du nicht ersoffen?»
«Nein, wie du siehst!» rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt.
Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. «Valerius», rief er, «Vater! Scheide nicht! Scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds.» Der Sterbende schlug die Augen auf
«Wo sind sie?» fragte er. «Geschlagen und geflohn.» – «Ah, Sieg!» atmete Valerius auf; «ich darf im Siege sterben. Und Valeria – mein Kind – sie ist gerettet?»
«Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eines meiner Schiffsboote nahm sie auf und führte sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher, dich zu retten – ach, nur zu rächen!» Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust.
«Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir dank’ ich es.» Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings. «Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten – trotz Belisar und Narses. Du kannst es – du wirst es und dein Lohn sei mein geliebtes Kind.» – «Valerius! Mein Vater!» – «Sie sei dein! Aber schwöre mir’s» – und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge –, «schwöre mir’s beim Genius Valerias: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner trägt.»
«Ich schwör’ es dir», rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, «ich schwör’s beim Genius Valerias!»
«Dank, Dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben – grüße sie und sage ihr: dir hab’ ich sie empfohlen und anvertraut: sie – und Italien.»