»Warten!«, sagt Gott. »Warten, bis wir zusammen sein können. Weißt du, Freude und Trauer, die sind ein Ehepaar, das ein Gemach teilt. Schläft die eine, dann ist die andere ruhig. Aber wehe, eine weckt den andere!«
Gott scheint zu lachen.
»Und jetzt?«
Gott schweigt. Johanna möchte fliegen wie die Vögel, lachen und Gott preisen, oder sie möchte ein Baum sein, aber nur im Frühjahr, nicht des grünen Gewandes beraubt. Die silbernen Strahlen des Himmels sollen herunterkommen und ganz nah auf ihrem Haupt landen als Seil, als Verbindung! Johanna will tanzen wie eine Elfe und aus der Vogelperspektive das Moos und die Goldfische betrachten, die weit unter ihr schwimmen, auf dem Grund des Teichs. Und die Schlieren aus Schlamm zählen, die Blätter und Algen. Ja, von nichts bedeckt als von Luft und Gott! Wie schön der Wind die herrlichsten Formationen aus den Wolken formt. Wie sie Bilder darstellen, Umrisse aus Engeln sind, wieder zerrinnen, manchmal auch als dunkle Berge, Schreine und Kapellen hinter der rot glühenden Sonne. So will sie immer sein, an den Himmel gelehnt! Dass sogar zu Beginn des Winters noch die Fichten grünen, mutet Johanna seltsam an, und sieht darin Gottes Macht. Und wenn der Schnee kommt, beugen sie auch ihre Äste nie ganz seiner Kraft! Sie tanzen mit Gottes Kraft.
Mit einem Mal ist es, als habe ihr Übermut Gott wieder verjagt. Sie will sich schon umwenden und heimwärts laufen, da kommt sie noch einmal, die Stimme:
»Du wirst in den Krieg ziehen, Johanna! Also lerne zu kämpfen!«, rauscht es in ihr. Dann Stille.
Kämpfen also, hat Gott gesagt und von jetzt an tanzt sie nicht nur mit den Mädchen, sondern spielt auch mit den Knaben. Tollt mit ihnen in den Nadelbüschen umher. Auf den Fußspitzen gehen die Knaben schon bald, haben Angst vor ihr. Denn Johanna kann wüten. Wieder wird es Frühling und Johanna lernt im Spiel mit den Knaben zu ringen. Oft tollt man umher auf den Dachböden, wo es dämmrig ist. Spinngewebe hängen magisch da. Johanna betrachtet die Gesichtchen der Knaben und fühlt sich stark. Und dann kommt wieder der Sommer. Viel Arbeit wartet dann am Feld, Johannas Körper schmerzt. Die Geranien wachsen im Garten und immer wieder muss Johanna sie schneiden. Doch Johanna will Blumentöpfe zerschmettern und sich mit den Scherben aufritzen, weil sie sieht, dass die Großmutter bald sterben wird.
Die Erwachsenen indes erschrecken über Johannas Schönheit, über die Tiefe, die seit dem Tag am Feenbaum, an dem Gott mit ihr sprach, in ihren Augen wohnt. Gepaart mit einer Art fremden Wildheit, die man kaum kennt. Sie kann sich über die Knaben werfen, ihnen Gesicht und Schläfen versehren, erzählt man sich im Dorf. Ja, Johanna ist eine Kämpferin.
»Rühr mich nicht an!«, sagt eines Tages ein Knabe.
Er ist arm, er hat Knochenarme. Seine Augen sind fremdartig, fast sieht er aus wie eine Pflanze. Was tut Johanna da? Sie schlägt ihn. So erzählt man es sich jedenfalls im Dorf. Und dass sie gesagt hätte, diese Idee käme von Gott! So eine störrische kleine Magd! Und auch die Eltern berichten, dass Johanna hin und wieder tobt. Vor allem, wenn man sie frisieren will. Denn abends ist Johannas Haar widerspenstig. Sie hat zu viel gerauft. In einem Knoten muss es schließlich gefesselt werden. Das mag das Kind nicht.
Doch damit nicht genug. Johanna kann auch sehr rechthaberisch sein.
»Das Abendgebet!«, ruft Johanna eines Abends aus, als sie dem Priester des Dorfes auf der Straße begegnet.
»Ja?«, meint der und sieht das Mädchen fragend an.
»Sie haben die Glocke nicht geläutet!«, sagt das Mädchen stramm.
»Ehrlich?«
»Ja! Sonst kehre ich nämlich immerzu um, Herr Pfarrer, und lauf zu ihnen.«
Der Pfarrer lächelt. Nun muss er sich sogar von einem Kind ausschelten lassen! Seltsam, denkt er und betrachtet die kleine Johanna.
»Ich schenke Euch Wolle, wenn Ihr in Zukunft Eurer Pflicht besser nachkommen wollt!«, verspricht Johanna. Erstaunt betrachtet er die junge Frau. In der Kirche liegt sie manchmal mit dem Gesicht zum Boden gewandt da, seltsam verdreht. Die Augen auf das Bild des heiligen Christus gerichtet.
In dieser Zeit entdeckt Johanna ihre Magie. Sie hat mit der Großmutter zu tun und mit dem Feenbaum und Gottes Stimme. Doch sie ist ein Geheimnis. Eines, das es vor den Freunden und der Familie zu verbergen gilt. Johanna wallfahrtet zur Kathedrale, gemeinsam mit ihrer Schwester Catherine. Kerzen nehmen sie mit, entzünden sie unter dem Gnadenbild. Das liebt Johanna, sie liebt es ganz besonders. Doch sie muss ihre Stimme schützen und auch die Heiligen, von denen die Großmutter ihr immer erzählt hat. So berichtet sie niemandem davon. Gott kann immer nur heimlich sein, weiß Johanna inzwischen Bescheid. Und auch die Heiligen. Drei besuchen sie jetzt mit ihrer Stimmen: Barbara, Katharina und Margaretha. Von ihnen hat schon die Großmutter erzählt und sie sind Johanna inzwischen sehr lieb. Aber auch über ihre Stimmen wird geschwiegen. Süß ist der Duft, der Johanna entgegenstrebt, wenn sie an diesen besonderen Tagen beim Feenbaum sitzt und nachdenkt. Sie riecht schon die Engel, die jetzt noch Vorhänge sind. Später werden sie realer und realer sein. Irgendwann wird Johanna sagen: »Ich sah sie mit den Augen meines Körpers, so deutlich, wie ich euch sehe!« Das wird sie denen sagen, die sie anklagen. Jetzt aber wartet Johanna, denn die Stimmen sind noch weit weg und offenbaren sich nur langsam. Zu unklar und unreif ist alles noch, zu unfrei die kleine Johanna. Sie muss erst erwachsen werden, muss kämpfen lernen und reden in der Sprache der Menschen. Johanna aber ist ungeduldig, wenn sie auf die Stimme Gottes wartet.
Im darauffolgenden Winter stirbt die Großmutter, in Johanna lebt sie weiter. Und Johanna tut es dem Wind und dem Winter gleich, lernt von ihm, wie sie von Gott lernt: Wind, Sturm, Schneeweiß sind jetzt ihre heimlichen Namen. Und Winterstille liegt da, wo der Wind steht, es ist ein Raum in Johanna. Da geht die Jungfrau jetzt hin, betet und singt. Das Gebet des Winters ist der nächste Weg zum Licht, denkt Johanna.
»Alles wird wieder heil, lieber Gott, oder?«
Und manchmal kommt eine Antwort:
»Ja!«
5. Lernen
Bald befragt man Johanna zu ihrer Familie.
»Deine Eltern …«, will Cauchon wissen.
Johanna zieht eine Augenbraue in die Höhe, sie sieht jetzt wieder stärker aus. Es ist, als hätte das Brot sie zu Kräften kommen lassen.
»Ja?«, fragt Johanna.
»Warum hast du ihnen von der Abreise nichts gesagt, Johanna?«, will der Bischof wissen, während er seine glänzenden Ringe betrachtet, die er sich an die schwieligen Finger geheftet hat.
»Damals, als du aufgebrochen bist, um in die Schlacht gegen die Engländer zu ziehen?«
Johanna hat etwas von einem Jüngling. Gleichsam knabenkühn erscheint sie ihm. Loyseleur muss lächeln.
»Die Stimmen haben mir kein Stillschweigen auferlegt, nein«, entgegnet Johanna zögerlich. Ihr Widerstand scheint gewichen.
Ob es damit zu tun hat, dass er ihr das Brot angeboten hat?
»Hattest du keine Angst?«, will Cauchon wissen.
Johanna schüttelt den Kopf.
»Aber die Burgunder …«, fährt sie dann zögerlich fort.
Warwicks Gockelhals hüpft. Nun ergreift er das Wort.
»Was?«, geifert er mit hackender Stimme.
Und da geschieht es, mit einem Mal. Johanna wendet ihm den Blick zu, sieht ihn an und lächelt.
Fast sanft ist sie geworden, ganz plötzlich. Ihre Stimme ist voller Aufrichtigkeit, als sie fortfährt:
»Vor denen hatte ich Angst. Ihr versteht.«
»Ja?«
»Und besonders