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Ich will dich nicht verlieren!
Was war das für ein Geräusch gewesen?
Professor Werner Auerbach lauschte angestrengt. Aber da war nichts mehr. Er hatte sich offensichtlich geirrt. Oder aber er hatte etwas hören wollen, weil die Stille im Haus unerträglich für ihn war.
Er war heimgekehrt wie immer, und wenn er ehrlich war, dann hatte er erwartet, dass man ihn begrüßen würde wie einen von einer langen Reise heimgekommenen Prinzen. So war es doch immer gewesen. Inge hatte sich gefreut, etwas Leckeres für ihn gekocht, und Pamela, das Nesthäkchen, war ihm lachend um den Hals gefallen.
Heute war es anders.
Von Inge keine Spur, sie hatte nichts gekocht, Pam war nur kurz hereingeschneit, hatte ihn kurz begrüßt und ihm gesagt, dass sie bei den Großeltern schlafen würde. Das hatte er bereits von seiner Schwiegermutter erfahren. Doch das wäre nicht nötig gewesen. Er war doch da.
Er hatte auch die bittere Wahrheit erfahren, dass Inge weggefahren war, nicht zu übersehen, mit einer kleinen Reisetasche.
Als wenn das nicht schon genug wäre, hatte ihm auch noch seine Tochter Ricky ganz gehörig die Leviten gelesen und hatte ihm vor Augen geführt, was für ein egoistischer Macho er doch war.
Und sie hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass das längst überfällig gewesen war, sie habe sich schon gewundert, warum ihre Mutter nicht schon viel früher gegangen sei.
Dabei hatte er von ihr doch nur erfahren wollen, ob sie eine Ahnung hatte, wohin Inge gefahren sein könnte.
Werner Auerbach, der große Professor, war fix und fertig.
Inge gehörte zu seinem Leben!
Er liebte sie!
Gut, er hatte vielleicht ein wenig übertrieben, und er hätte, ganz wie versprochen, hin und wieder auch mal etwas mit seiner Frau unternehmen können. Doch er betrachtete sie doch nicht als so etwas wie eine unbezahlte Haushälterin. Was hatte Ricky sich eigentlich dabei gedacht, ihm so etwas an den Kopf zu werfen!
Es war schon bitter, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Das Bild, das er da sah, das gefiel ihm überhaupt nicht.
Wenn er nur wüsste, wohin sie gefahren war. So etwas passte nicht zu Inge. Sie war sein Fels in der Brandung, sie war das sichere Floß, auf dem er mit ihr zusammen durch das stürmischste, gefährlichste Wasser kam. Sie hatte ihm immer den Rücken freigehalten, sie war an seiner Seite gewesen, wenn er seine Verwirklichung an verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern gesucht hatte. Sie hatte die Kinder erzogen, und wie prachtvoll sie alle geworden waren, auch Hannes, obschon der nicht den Weg eingeschlagen hatte, den er sich für diesen Sohn gewünscht hatte. Aber sie waren alle ehrliche Menschen geworden, die ihr Herz auf dem rechten Fleck hatten.
Inge … Inge … Inge … Wie blind war er eigentlich gewesen, nicht zu sehen, welch prachtvolle Frau er da an seiner Seite hatte?
Werner wurde von seinen Schuldgefühlen beinahe erdrückt, doch noch stärker war die Panik in ihm, sie könnte für immer gegangen sein.
Da war wieder ein Geräusch.
Diesmal hatte er sich nicht geirrt.
Ein Einbrecher?
Die kamen doch nicht, wenn jemand sich im Haus befand, oder? Wenn man allerdings den Medien Glauben schenken durfte, da nahmen einige von diesen Verbrechern darauf keine Rücksicht, im Gegenteil. Die quälten ihre Opfer, um Geheimverstecke für Geld, Gold und Schmuck zu erfahren. Und manchen gab es auch feinen Kick, die Angst in den Augen ihrer Opfer zu sehen.
Du liebe Güte, wohin verirrten sich denn seine Gedanken?
Der Professor war wirklich vollkommen durcheinander, so sehr, dass er seinem gesunden Menschenverstand nicht mehr vertraute.
Werner Auerbach stand auf, schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück, als könne das einen Einbrecher abschrecken und zur Flucht veranlassen, dann ging er in die Diele, denn von dorther war das Geräusch eindeutig gekommen. Er machte das Licht an, und dann blieb er für einen Augenblick vollkommen überrascht stehen, ganz so, als sähe er einen Geist. Dann jedoch kam Leben in ihn.
»Inge, mein Herz, warum stehst du denn im Dunklen da?«, rief er.
Es war wirklich Inge Auerbach, die da stand, stumm, mit der Reisetasche in der Hand, beinahe so, als wisse sie nicht, was sie tun solle.
Seine Überraschung hielt nur kurz an. Zeit für Erklärungen war jetzt nicht notwendig. Es gab nur eines, was jetzt zählte … Seine Inge war wieder da!
Werner hätte nicht zu sagen gewusst, wann er sich zum letzten Mal so sehr, so aufrichtig gefreut hatte.
Er rannte auf seine Frau zu, nahm ihr die Tasche aus der Hand, ließ sie achtlos zu Boden gleiten. Dann umarmte er sie wie ein Ertrinkender, der im allerletzten Moment das rettende Ufer erreicht hatte.
»Inge, Inge, mein Liebes …«
Er, der wortgewandte, stets souveräne Professor, war nicht in der Lage, mehr als immer wieder diese Worte zu stammeln. Er verstärkte den Druck seiner Arme so sehr, dass Inge kaum noch Luft bekam und aufstöhnte.
»Entschuldige, mein Herz.«
Er ließ sie los, starrte sie an, als habe er sie noch nie zuvor gesehen. Inge wusste nicht, was plötzlich mit ihrem Mann los war.
Er nahm sie bei der Hand, führte sie in die Küche, schob ihr einen Stuhl zurecht. Er blieb für einen Augenblick stehen, sah sie an, voller Liebe, in seinem Gesicht spiegelten sich die widerstreitendsten Gefühle wider.
Was war mit Werner los?
Ehe Inge ihm eine Frage stellen konnte, setzte er sich, und dann sprudelte es aus ihm nur so heraus. Er sprach von seiner Heimkehr, dem unangenehmen Gefühl, niemanden vorgefunden zu haben. Er erzählte von seinem Besuch nebenan, dass Pamela ihn kaum begrüßt hatte. Er ließ nicht aus, dass Ricky ihm vor Augen geführt hatte, dass er sich unmöglich und sehr egoistisch verhielt.
»Inge, ich hatte plötzlich riesige Angst, ich kann nicht ohne dich sein, du bist mein Leben …, ich … ich habe eine Einladung nach Oslo, auf die ich wirklich sehr gewartet habe, einfach zerrissen. Ich werde endlich mein Versprechen halten und mehr für dich da sein, denn du bist für mich das Wichtigste auf der ganzen Welt, die … die Blumen dort drüben, die sind für dich. Die Vase passt nicht so richtig, aber ich habe keine andere gefunden … Inge … Liebes, so sag doch was.«
Wie