Der Glücksbecher von Willerstein. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570203
Скачать книгу
mit größter Aufmerksamkeit bis hierher gefolgt war. Wie ein Kätzchen glitt die Kleine nun heran.

      „Aber Großpapa, wie kannste das nur vergesse habe!“ rief sie vorwurfsvoll, und ehe der Alte auch nur einen Ton herausbrachte, sprudelte das echte Frankfurter Mädelchen lebhaft mit einer gewissen Wichtigkeit heraus:

      „Ei höre Se, Fräulein, e arg großer Herr ist’s gewese, sei Gesicht war e bissi sehr rot und e kurze Vollbart hatt‘ er gehabt un e sehr laute Sprach.“

      „Rede doch keinen Unsinn, Kätche“, verwies der Alte der Kleinen die Einmischung.

      Doch sie war sich der Wichtigkeit, mehr zu wissen als der Großpapa, voll bewußt.

      „Ich bin doch dabei gesesse, als der Herr komme is“, ereiferte sie sich.

      Der Alte machte, ehe sie weiterschwatzen konnte, kurzen Prozeß, er faßte das schmale Kind um die Schultern und schob es durch eine Seitentür, die wohl in die Wohnung führte, hinaus.

      „Kinder haben sich nicht einzumischen, wenn Erwachsene reden“, sagte er mit einem kleinen Grollen in der Stimme.

      Da er die Enkelin zur Tür hinausbugsierte, achtete der alte Herr gar nicht auf Anne, und so entging ihm der jähe Farbenwechsel auf dem feinen Mädchengesicht, entging ihm ihr heftiges Zusammenzucken.

      Als sich der Alte ihr wieder zuwandte, hatte sie ihre Züge aber bereits so weit in der Gewalt, daß ihm nichts an ihr auffiel.

      „Das Kind schwatzt dummes Zeug“, sagte er und strich wieder an seinem Barte herum. „Übrigens ist’s ja möglich, das Äußere des Herrn war so, wie meine Enkelin es beschrieb. Ihnen wird es ja gleichgültig sein.“

      Anne dachte, wenn der alte Ladenbesitzer ahnte, wie wenig gleichgültig ihr bei der Beschreibung, die das Kind von dem Verkäufer des Bechers lieferte, zumute gewesen, denn die Kleine hatte mit wenigen Worten klar und deutlich einen Mann beschrieben, den sie sehr genau kannte, mit dem sie täglich beisammen war. Das Kind hatte durch seine kurze Beschreibung ein Bild ihres Vaters gegeben.

      Groß, rote Gesichtsfarbe, kurzer Vollbart, laute Stimme — es stimmte. Alles paßte genau auf Seine Erlaucht den Grafen Ferdinand Zettingen-Willerstein.

      „Ich hätte zu gerne gewußt, wer Ihnen den Becher verkaufte“, murmelte sie, unschlüssig, ob sie noch bleiben oder das Geschäft verlassen sollte. Eine kleine Hoffnung regte sich in ihrem Herzen, der Mann würde den Namen desjenigen nennen, von dem er den Becher gekauft, und dieser Name würde ein völlig anderer sein als der des Vaters.

      Der Antiquar verspürte der hartnäckigen Fragerin gegenüber leichte Ungeduld.

      Sie brachte ihn gewissermaßen mit seinem Geschäftsprinzip in Konflikt.

      Er hüstelte, ehe er wieder zum Sprechen ansetzte, es war ihm immerhin unangenehm, einer so wunderhübschen jungen Dame nicht gefällig sein zu dürfen. Aber Geschäft ist Geschäft! Auch hatte sie vorhin gemeint, man kaufe dergleichen wie den Becher nicht, ohne den Verkäufer genau zu betrachten. Damit hatte sie ihm eine Kränkung angetan, und er durfte darüber nicht so mir nichts dir nichts hinweggehen.

      „Es tut mir leid, Gnädigste, Ihnen nicht verraten zu dürfen, woher der Becher stammt.“ Er richtete seine kleine Figur stolz auf. „Ich weiß es allerdings, denn ich würde nie ein derartig wertvolles Stück, ohne daß sich der Bringer genügend legitimiert, kaufen, tat es also auch in diesem Falle nicht, aber ich sicherte dem Herrn vollste Verschwiegenheit zu, und gedenke mein Versprechen auch zu halten, da kein Grund vorliegt, es zu brechen. Dieser Grund wäre nur bei polizeilichen Nachforschungen gegeben. Ihr Privatinteresse berechtigt mich nicht dazu, möglicherweise jemand bloßzustellen, der in der Verlegenheit ein Wertstück veräußert. Sie wissen, dergleichen kann in den vornehmsten Familien vorkommen.“

      „Ja, dergleichen kann vorkommen“, nickte Anne, und es war, als wisse sie gar nicht, wo sie sei, denn sie ließ einen langen Blick durch den Laden schweifen, sich dabei gleichsam darauf besinnend.

      „Besten Dank“, sagte sie plötzlich kurz und dann „Guten Tag!“ und drehte sich darauf nach dem Ausgange um.

      Der Alte rief ihr nach:

      „Sie vergaßen das Löffelchen, das Sie gekauft.“

      Er trug es ihr nach.

      Sie dankte und mühte sich, Haltung zu bewahren. Wie oft hatte ihr Frau von Brinken gepredigt, eine Dame müsse es fertig bringen, in allen Lebenslagen ruhig zu erscheinen. „Kleine Leute dürfen sich gehen lassen, aber eine Dame muß vor der Welt noch lächeln können, und wenn ihr das Herz bricht.“ — Und das Herz brach ihr fast, da sie sich unerbittlich klarmachen mußte, niemand als ihr eigener Vater hatte den ‚Glücksbecher‘ genommen und veräußert.

      Haltung bewahren! rief sie sich selbst zur Ordnung und überschritt die Schwelle des Ladens.

      Nur mit ihren peinigenden Gedanken beschäfti{gt, wanderte sie aufs Geratewohl die Gasse hinunter.

      Der Vater mußte in sehr großer Bedrängnis gewesen sein, sonst wäre er nun und nimmer darauf verfallen, den Glücksbecher zu verkaufen. Aller Wald war doch noch nicht abgerodet, und es gab doch auch noch andere Gegenstände im Schlosse, deren Verkauf weniger bemerkbar gewesen wäre als just der Becher, aus dem zu trinken einem jungen Paare der Familie Glück bringen sollte. Wie konnte er nur das tun? Einer alten Tradition ein Ende machen, um dafür ein paar hundert Mark einzustecken, die er sich doch wohl auch auf anderem Wege hätte verschaffen können. Und dazu schrie er sie noch an, sie habe den Becher verräumt, anstatt die Sache totzuschweigen oder zu vertuschen.

      Unfaßbar war das alles und es paßte so gar nicht zu dem Charakterbild des Vaters.

      Und doch, kein anderer als er war der Verkäufer des Bechers, die Beschreibung der Kleinen war deutlich, und was der Antiquar noch geredet von der Verschwiegenheit, die er dem Herrn zugesichert, und die Bemerkungen, die er daran geknüpft, schlugen jeden wohltätigen Zweifel in die Flucht.

      Wie weh die Gedanken taten, wie unsäglich weh!

      Und das schmerzlichste war, sie durfte keinem Menschen ihr Herz ausschütten und selbst dem Vater gegenüber mußte sie schweigen, denn es ziemte der Tochter nicht, offen an dem Tun des Vaters Kritik zu üben, wenn sie auch innerlich nicht darüber hinwegkam.

      Und wiederum bedauerte sie den Vater. In welcher Zwangslage mußte er sich befunden haben, um solchen Ausweg zu wählen.

      Wie betäubt ging Anne und achtete kaum darauf, wohin sie steuerte, bis sie dann, gleich einer Schläferin, die man aufgeweckt, stehenblieb. Irgendeine laute Stimme klang an ihr Ohr: Diese kleine Straße führt den Namen ‚Hinter dem Lämmchen‘!

      Sie schaute auf. Ein paar Fremde, einen rotgebundenen Baedeker in der Hand, gingen vorüber. Sie lächelte plötzlich. Ein bißchen wehmütig und ein bißchen versonnen.

      Dort drüben befand sich das Haus „Zum alten Uhu“.

      Wie müde und arm es aussah. Gar nicht freundlich wie die frisch gestrichenen Häuser ringsum. Und aus dem Hause stammte Lorenz Hammerschlag.

      Sie meinte den hochgewachsenen Mann mit dem leichtgebräunten Gesicht wieder neben sich zu sehen. Aus dem armen dunklen Hause dieses Gäßchens stammte er und sah doch so vornehm und gebietend aus wie nur irgendein großer Herr, dessen Wiege in einem Schlosse gestanden. Lorenz Hammerschlag! Ihre Lippen formten den Namen und freuten sich der Kraft, die darin lag.

      Warum wußte sie so gar nichts außer seinem Namen von ihm? Und sie hätte ihn doch so gerne, ach so gerne noch einmal, nur ein einzigesmal, wiedergesehen. — Aber davon brauchte niemand zu wissen, ebensowenig wie von dem Bösen, was sie heute erfahren.

      Sie verfiel in einen schnellen Schritt und seufzte heimlich.

      Das Herz lag ihr ob der übergroßen Last gar zu schwer in der Brust.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст