Frau von Brinken folgte ergebungsvoll.
Die Damen wechselten nur ab und zu ein Wort, und in flottem Trabe ging es die breite Landstraße entlang. Rechts und links zeigte Buchenwald sein erstes sattes Grün, und die Bergkette, die sich fern am Horizont hinzog, war wie in bläulichen Nebel gehüllt. Mauern tauchten auf, und bald fuhr der Wagen durch das weit offenstehende schmiedeeiserne Gittertor ein.
Zu beiden Seiten, auf den breiten Sandsteinsäulen, saßen mächtige Löwen als Schildträger, in den erhobenen grimmen Tatzen das Wappen der Zettingen-Willerstein tragend. Im Felde zwei Lilien und einen Dolch. Darunter auf einer breiten Fläche der Wappenspruch: Fortem fortuna adjuvat. (Dem Mutigen hilft das Glück.)
„Wie dicht die Blätter der Kastanien in den paar Tagen geworden sind, seit wir abreisten“, sagte Anne, da der Wagen die Kastanienallee hinunterfuhr, die gerade auf Schloß Willerstein zuführte.
Frau von Brinken nickte.
„Wenn die Kastanien blühen, dann feiert Ilse schon Hochzeit.“
Anne wandte ungeduldig den Kopf.
„Nun, zunächst ist ja erst die Verlobung“, sagte sie kurz.
Ilse, immer wieder Ilse!
Schließlich war eben jeder, wie ihn der liebe Himmelsvater geschaffen. Ilse war das Muster einer echten Komtesse, wie sie dem Geschmack der Frau von Brinken entsprach, sie selbst aber das Gegenteil davon. Das war nun einmal so und ließ sich nicht ändern.
Ein trotziger Zug hing um den Mädchenmund, und die braunen Augensterne leuchteten tiefdunkel.
Der Wagen hielt vor der Brücke, die hinüberführte über den breiten Wassergraben, der das Schloß umgab. Weiß und hoch und schlicht war das Schloß, nur zwei kleine Türme und das massige Wappen über dem Eingang gaben ihm eine gewisse Feierlichkeit.
Anne sprang aus dem Wagen und eilte auf den breitschultrigen Herrn in einfacher Jagdjoppe zu, der eben vor dem Hause erschien.
„Grüß Gott, Papa, da sind wir wieder.“
Sie lachte den Vater an und drückte ihm kräftig die Hand. „Wir haben alle Besorgungen in Frankfurt gut erledigt und uns auch noch ein bissel vergnügt.“
Frau von Brinken war inzwischen herangekommen. Sie grüßte. „Guten Tag, Erlaucht.“
„Tag, Frau von Brinken, na, ist alles gut gegangen?“
„Gewiß, Erlaucht, gewiß, unsere Reise war sehr hübsch und angenehm.“
„Freut mich“, nickte er, und Frau von Brinken kannte den Tonfall des Grafen zu genau, um nicht zu wissen, wenn er so sprach, hieß das, sie konnte nun gehen.
Sie war froh darüber, denn sie fühlte das Bedürfnis, sich den Reisestaub abzuwaschen und ein anderes Kleid anzuziehen. Das tat sie denn auch schleunigst, um sich dann, da ein dreimaliger Gongton auflärmte, in den Speisesaal zu begeben. Man saß, wenn kein Gast zugegen war, immer zu vier Personen bei Tisch, aber obgleich es mittags, abgesehen von Feiertagen, außer Suppe nur einen Gang und nicht einmal immer Nachtisch gab, so mußten doch zwei Diener die Speisen reichen. Erlaucht wünschte das so.
„Mir schmeckt es sonst nicht“, äußerte er sich zu Anne, die gelegentlich eine Bemerkung darüber hinwarf. Ilse war wie der Vater. Großzügig mußte alles sein, in einen prächtigen Rahmen eingespannt. Wie sehr man auch dafür zur Einschränkung gezwungen war. Aber darum hatte sich niemand zu kümmern. Und dabei wußten doch die meisten, die Seine Erlaucht Ferdinand Willerstein kannten, daß er schon seit Jahren ein Stück des prächtigen Waldbestandes nach dem anderen verkaufte, weil er Geld brauchte und nicht deshalb, weil ihm die Verwaltung, wie er behauptete, zu zeitraubend und umständlich war.
Bei Tisch drehte sich die Unterhaltung um die Reise, die Anne in Begleitung von Frau von Brinken gemacht, die seit zwei Jahren als Gesellschafterin der beiden mutterlosen Komtessen im Schlosse weilte.
Man hatte Besorgungen für Ilses Verlobung erledigt, bei denen Ilses Gegenwart nicht nötig war.
„Wunderhübsch hat es mir diesmal in Frankfurt gefallen“, sagte Anne und nahm wie zur Bekräftigung ihrer Worte einen ordentlichen Schluck des leichten Tischweines. Ilse, deren Gesicht immer wie von Spott überhaucht war, fragte in ihrer langsamen Art:
„Und weshalb gerade diesmal?“
Anne wiegte den Kopf ein paarmal hin und her.
„Tja“, das kam zögernd heraus, als wollte sie ausdrücken: du verstehst mich ja doch nicht! Aber dann fuhr sie rasch fort: „Die Gassen in Altfrankfurt haben mir so prachtvoll gefallen, und der Römerberg mit all den altehrwürdigen Giebelhäusern. — Die paarmal, die ich vordem in Frankfurt war, bin ich niemals dort in die Gegend gekommen.“
Sie brach ab und dachte an einen hochgewachsenen Mann mit ernstem, stolzem Gesicht, der neben ihr hergegangen durch die alten Gassen, und in dessen Nähe ihr so eigen gewesen, als ob sie ihn schon lange, lange kenne. Und war ihm doch niemals vordem im Leben begegnet — und würde ihn, aller Voraussicht nach, auch wohl niemals wiedertreffen.
Frau von Brinken saß wie auf glühenden Kohlen, hoffentlich fing Anne nicht von dem Menschen an zu erzählen, der gar keinen Hehl daraus gemacht hatte, woher er stammte, trotzdem das doch gar nicht nötig gewesen wäre, denn angesehen hätte man es ihm wirklich nicht, so vornehm war er gekleidet.
Nein, gottlob, Anne unterschlug die Bekanntschaft, sie wußte ja schließlich auch, wie peinlich Erlaucht in solchen Dingen war.
Die Zettingen-Willersteins waren früher reichsunmittelbar gewesen und gehörten jetzt zu den mediatisierten Geschlechtern. Da galt es tausend Rücksichten zu nehmen, man durfte nicht tun, was Hinz und Kunz tun durften. Malvine von Brinken war so stolz auf die gräfliche Familie, als gehöre sie durch Bande des Blutes dazu.
„Wird Frau Rank mein Kleid rechtzeitig zur Verlobung senden?“ fragte Ilse.
„Ja“, antwortete Anne, „und auch alle die anderen Dinge werden pünktlich eintreffen, es ist alles in bester Ordnung, doch werde ich dir nach Tisch ausführlichen Bericht erstattten, jetzt möchte ich Papa nicht damit langweilen.“
„Bist sehr vernünftig, Mädelchen“, lachte der Graf, „hab‘ sowieso schon zu oft von Ilse hören müssen, wie geschmackvoll das Muster des Kleides sei, und daß die Rank in Frankfurt, als sie das letztemal zum Anpassen dort war, gesagt habe, nur Damen mit so schimmerndem kupferfarbenem Haar dürften mattes Grün tragen.“
Sein Lachen hatte etwas Dröhnendes, Urwüchsiges, und derb wie sein lautes Sprechen und Lachen wirkte auch das Äußere des Grafen. Sein Gesicht von gutem Schnitt war stark gerötet vom vielen Aufenthalt in frischer Luft. Fast ständig befand sich der Graf unterwegs, gleichviel ob zu Fuß oder zu Pferde. Im Aussehen stellte er so recht den Typus eines vornehmen Landjunkers dar und kümmerte sich doch dabei schon seit Jahren nicht mehr um den Gutshof, den er verpachtet hatte.
Er war niemals damit zurechtgekommen. Die rassigen Hände von Großvater und Vater hatten niemals das Geheimnis des Geldfesthaltens ergründet, und er quälte sich deshalb erst gar nicht damit ab, es zu lösen, denn was den Vätern nicht gelang, würde auch ihm nicht gelingen.
„Ich habe die Bestellungen für die Wirtschaft bei Peschler und Hermann in Frankfurt aufgegeben, Erlaucht“, begann Frau von Brinken, doch eine ungeduldige Geste des Grafen wehrte ihr, weiterzusprechen.
„Erzählen Sie das der Wirtschafterin, liebste Brinken. Daß ich den Kaviar und alle die anderen Delikatessen, die bei Ilses Verlobung gegessen werden, bezahlen muß, genügt mir vorläufig zum Glück!“
Malvine Brinken sagte mit dem liebenswürdigsten Lächeln, dessen sie fähig war:
„Wie Erlaucht wünschen.“
Bei sich aber dachte sie: Wenn Seine Erlaucht nur nicht diesen auf die