Der Glücksbecher von Willerstein. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570203
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schmückten den Rand und saßen da in ihrem tiefen Rot wie erstarrte Blutstropfen.

      „So einen Becher haben wir daheim“, sagte Anne und zeigte auf das goldene, stark gedunkelte Gefäß. Und wie zu sich selbst, setzte sie hinzu: „Daß es noch ein zweites derartiges Stück gibt — — —“

      Aber vielleicht waren sich bei genauem Betrachten die Becher doch nicht völlig gleich. Sie neigte sich ein wenig, um genauer zu sehen. Möglich, daß es doch einen Unterschied gab zwischen diesem Becher, der hier im Schaufenster des Antiquars stand, und dem Becher, den man daheim sorgfältig in einem Schränkchen aufbewahrte und der nur herausgeholt wurde, wenn sich ein Mitglied der Familie verlobte oder Hochzeit hielt. Das Brautpaar mußte daraus trinken, das bedeutete eine glückliche, gute Ehe.

      Schon ein paar hundert Jahre sollten es die Zettingens so gehalten haben, und die Ehen sollten auch alle glücklich gewesen sein.

      Lorenz Hammerschlag betrachtete den Becher.

      „Ein reizvolles, eigenartiges Stück, ich habe auch eine große Vorliebe für dergleichen.“

      Annes Blick hing sehnsüchtig an dem goldenen Becher, und für einen Menschenkenner stand deutlich auf der reinen klaren Mädchenstirn geschrieben: Wie gerne kaufte ich den Becher!

      Und das las Lorenz Hammerschlag und zugleich, daß wohl die Geldbörse solche Ankäufe verbot.

      Schade, daß er es nicht wagen durfte, dem hübschen Geschöpf ein Geschenk zu machen.

      Und Anne dachte wirklich, wie bedauerlich es doch sei, den Becher nicht erstehen zu können, der ein Zwillingsbruder des Bechers daheim zu sein schien. Ein und dieselbe Meisterhand mußte beide gefertigt haben. Von dem Becher daheim hieß es, ein berühmter Goldschmied, der zu Nürnberg ausgangs des sechzehnten Jahrhunderts gelebt, sei der Schöpfer. — Ach ja, nett wäre es, immer so viel Geld in der Tasche zu haben, um ohne Skrupel in einem Laden fragen zu können, was das kostete, wonach man Begehr trug, und es kaufen zu können.

      Sie wandte sich fast ungestüm ab und streifte dabei ihre hinter ihr stehende Begleiterin.

      „Verzeihung“, bat Anne.

      Die Ältere sagte ein rasches „Bitte“, schaute auch flüchtig das Schaufenster an, doch da ihr nichts darin besonderer Aufmerksamkeit wert schien, irrten ihre Augen wieder ab.

      „Anne, wir müssen uns vor der Oper noch umkleiden, auch den Tee im Hotel nehmen.“

      Leichte Ungeduld gab den Worten etwas Drängendes, Hastiges.

      „Auf einige Minuten kann es doch nicht ankommen.“

      Anne ging ein paar Schritte neben Lorenz Hammerschlag her. Dann blieben beide wie von einem Gedanken bewegt stehen. Sie befanden sich auf dem Römerberg.

      „Wenn hier gerade niemand vorübergeht, der durch die jetzige Kleidung die Illusion zerstört, so könnte man sich um einige Jahrhunderte zurückversetzt fühlen“, meinte Anne, und sie las von einem der Giebel die Jahreszahl 1562 ab. In dem vollen Sonnenglanze, der über allem wie eine weitmaschiggewobene Golddecke lag, traten die Häuser, die ringsum den Platz säumten, lebendiger hervor.

      „Stolze Patrizier haben einstens neben dem Römer gewohnt“, sagte Lorenz Hammerschlag, „und man meint fast, die Fenster müßten sich öffnen und ein schönes Fräulein in Miederkleid und gebundenen Puffenärmeln herausschauen. Man meint fast, vom Wasser her, vom Main drunten müßte ein Troß reisiger Knechte den Römerberg herauflärmen, oder Kaufleute, die zur Messe heranzogen, müßten ihre Waren hier aufbauen.“

      Tiefes Glockenklingen kam plötzlich über die Häuser her. Schwer und gewaltig.

      „Die Domglocken“, sagte Lorenz Hammerschlag, und er sprach davon, daß er sich als Junge beim Klange der Domglocken immer ausgemalt habe, nun würde ein deutscher Kaiser gekrönt, und unter der feierlichen, melodischen Begleitung der Glocken gehe er in Purpurmantel und juwelenbesetzter Krone mit seinem Gefolge vom Dom zum Römer und alles Volk am Wege jubele laut.

      Anne sah den Mann mit verstehenden Augen an.

      „Unser Heim, in dem wir wohnen, hat auch schon Jahrhunderte überdauert, und die zwei Freundinnen Geschichte und Sage hocken darin auf allen Gängen.“

      Er wollte fragen: Wo leben Sie? Aber er tat es doch nicht, vielleicht weil die ältere Dame gerade in diesem Augenblick ihre Stummheit aufgab.

      „Anne, dort kommt ein Wagen, wir müssen ihn nehmen, wenn wir nicht auf die Oper verzichten wollen.“

      Anne reichte dem Manne die schmale, in einem hellen Handschuh steckende Rechte.

      „Leben Sie wohl und vielen Dank.“

      „Wofür?“ wollte er fragen und kam doch nicht dazu, denn schon fuhr der Wagen, den die alte Dame herangewinkt, vor.

      „Leben Sie wohl“, er drückte die kleine Hand und einem raschen Gefühle nachgebend, fügte er leise hinzu: „Auf Wiedersehen!“

      Sie schüttelte leicht den feinen Kopf, und in den braunen Augen lag es wie Bedauern, aber sie sprach kein Wort, neigte nur noch einmal das Haupt wie zum Gruße, während ihre Begleiterin steif nickte.

      „Ich habe die Ehre, Frau Brinken!“

      Der Wagen rollte davon. Und mitten auf dem Römerberg stand Lorenz Hammerschlag und lächelte einem wunderhübschen kleinen Erlebnis nach.

      Habe nie Zeit gehabt, mich bisher um Frauen zu kümmern, sann er, aber so lieb und fein war auch noch keine von denen, die ich im Leben traf, sonst wäre sie mir aufgefallen. Und dann dachte er: Zwanzig Jahre ist sie, zwanzig Jahre. Was gingen seine achtunddreißig Jahre die knospenzarten zwanzig dieses Mädchens an.

      Zweites Kapitel

      Ein leichter Jagdwagen harrte an der Station. Der Kutscher stand daneben, und die blanken Knöpfe mit der neunzackigen Krone machten vergessen, daß der dunkelblaue Rock schimmerte, als habe man ihm schon zu viel Behandlung mit Wasser und Bürste angedeihen lassen. Der Zug von Frankfurt fuhr eben ein.

      Mit angezogenem Hut öffnete ein Diener ein Abteil erster Klasse und nahm aus den Händen der Frau von Brinken den Gepäckschein entgegen.

      Anne stand mit zwei raschen Schritten auf dem Bahnsteig. Eine kleine Mißmutsfalte saß zwischen ihren Augenbrauen.

      „Ach, Frau von Brinken, nun kehren wir wieder ins Exil zurück.“

      Sie seufzte ganz laut auf.

      Der Bahnvorsteher, der achtungsvoll in einiger Entfernung stand und dem Zugführer eben das Zeichen zum Weiterfahren gab, riß vor Schreck die Augen weit auf. Eine leibhaftige Komtesse seufzte so laut! Da mußte doch ein großer Kummer dahintersitzen.

      Er grüßte ehrerbietig und strahlte, da ihm Anne lächelnd zunickte. Seine Haltung straffte sich, und er dachte: Gott sei Dank, sie scheint wieder vergnügt. Er schwärmte für die junge Komtesse, wie alle, die sie kannten, und keiner begriff recht, warum diese liebliche Mädchenblume nicht längst von irgendeinem vornehmen Herrn geholt worden war. War doch gewiß eines der schönsten Komteßchen, die es im deutschen Lande gab — nur arm war Komteß Anne. Doch das mochte wohl auch ihr einziger Fehler sein.

      Frau von Brinken sagte halblaut:

      „Sie dürfen sich nicht so gehen lassen, Komtesse, man seufzt doch nicht derartig, noch dazu, wenn jemand in der Nähe ist.“

      Anne lachte.

      „Aber Frau von Brinken, wenn mir so trostlos zumute ist wie eben, dann kann ich doch nicht damit warten, bis ich allein bin.“

      Die Damen schritten nebeneinander dem Jagdwagen zu. „Komtesse Ilse befolgte alle meine Hinweise, und jedermann behauptet von ihr, daß sie das Muster einer vornehmen Frau werden wird“, sagte Malvine von Brinken.

      „Meine Schwester Ilse ist zuweilen unausstehlich langweilig, ihre Seele läuft dann wie in einem mit Stahlstangen gepanzerten Leibchen umher.“

      Frau