Der arme Jack. Фредерик Марриет. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Фредерик Марриет
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711447673
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dass wir uns nie wieder sehen.‘

      „‚Haltet noch ein wenig‘, sagte er; ‚verlasst mich nicht in dieser Weise. Ach! ich sehe wie es ist — Ihr haltet mich für einen Mörder.‘

      „‚Nein, das thu’ ich nicht‘, versetzte ich; ‚nicht gerade — dennoch wird’s kein Schade sein, wenn Ihr Eure Bibel lest.‘

      „Und so stand ich auf und verliess das Zimmer — denn siehst Du, Jack, obgleich er vielleicht in der Sache entschuldigt werden kann, so mochte ich doch nicht in der Gesellschaft eines Menschen bleiben, der meine eigene Mutter aufzehren half!“

      Ben hielt inne und seufzte tief. Ich war so erschüttert durch seine Erzählung, dass ich kein Wort sprechen konnte. Endlich fuhr Ben fort:

      „Ich konnte nicht mehr in der Stube — nicht mehr im Werkhaus — nicht mehr in der Stadt bleiben. Ehe die Sonne unterging, war ich fort, und seitdem bin ich nicht mehr dort gewesen. Aber jetzt muss ich hineingehen; Jack — vergiss nicht, was ich Dir gesagt habe, und lerne die Bibel lesen.“

      Ich versprach ihm dies und erhielt noch am nämlichen Abend von Peter Anderson meinen Unterricht. Dies ging so lange fort, bis ich lesen konnte. Dann lehrte er mich Schreiben und Rechnen; aber bis es zu dem letzteren kam, trugen sich viele Vorfälle zu, die ich dem Leser mitteilen muss.

      Elftes Kapitel.

      In welchem der Doktor einige sehr neue Kurmethoden namhaft macht, die von dem besten Erfolge begleitet sind.

      Seit meinen früheren Erinnerungen hat sich Greenwich dermassen verändert, dass es mir etwas schwer fallen wird, den Leser bezüglich der Lokalitäten gebührend zu unterrichten. Enge Strassen sind niedergerissen und schöne Häuser aufgebaut worden; die kleinen Wirtshäuser haben neuen Gasthöfen Platz gemacht; die Hökerbuden, welche nur die Bedürfnisse der Matrosen befriedigten, sind prächtigen Läden gewichen. Früher waren die gewöhnlichen Mittel für den Reiseverkehr lange Postkutschen mit einem Korb hinten, in dem sechs Personen sitzen konnten, und Diligencen, die an den Elefanten mit dem Schlosse erinnerten — jetzt hat man Eisenbahnen und Omnibusse. Früher brachte das Fährboot den Marinere) und sein Weib mit seiner Seekiste nach dem Landungsplatz hinunter — jetzt speien Dampfboote ihrer Hunderte zumal aus. Selbst der Gesamtanblick von Greenwich hat sich sehr verändert und ist da und dort durch hohe Türme, die Magazine für Kugeln und Fabrikwaren, oder durch ein in der Ferne kühn sich erhebendes Gebäude unterbrochen, während die prächtige Gestalt des Dreatnought fast den halben Strom ausfüllt und nun, nachdem er früher mit seinen schrecklichen Zähnereihen Tod und Verderben verbreitete, die menschlichere Bestimmung der Hilfe und des Beistandes erhalten hat.

      Ich erwähne dies, weil das Haus, in welchem früher Doktor Tadpole wohnte und das ich dem Leser besonders zu schildern wünsche, nicht mehr existiert.

      Als ich im Jahre 1817 oder 1818 Greenwich verliess, stand es noch, freilich in einem sehr verfallenen Zustand. Ich will eine kleine Skizze davon geben, da sich sein Bild tief meinem Gedächtnis eingeprägt hat.

      Es war ein schmales Gebäude von dunkelroten Ziegeln, viel verziert und wahrscheinlich zur Zeit der Königin Elisabeth gebaut. An jeder Seite der Thür standen zwei Bänke, denn ehe es in Doktor Tadpoles Besitz kam, war es ein Bierhaus gewesen, das sich eines starken Zuspruches von seiten der Matrosen erfreute. Der Doktor hatte die Bänke nicht wegschaffen lassen; sie boten bei schönem Wetter denjenigen, welche auf Arzneien oder ärztlichen Rat warteten, grosse Bequemlichkeit; auch war er ein heiterer, geselliger Mann, der es gern sah, wenn sich die Leute vor seinem Hause niederliessen und er mit ihnen plaudern konnte. In der That trug dies viel dazu bei, ihm Ruf zu verschaffen; er wurde dadurch unter den niedrigen Klassen so bekannt, dass niemand, der Arznei oder Rat brauchte, an jemand anders, als an Doktor Tadpole dachte. Dabei war er sehr freigebig und wohlwollend, weshalb kaum eine arme Person in der Stadt war, die nicht in seiner Schuld stand, weil er die Unbemittelten selten wegen der Bezahlung beunruhigte. Er hatte glücklicherweise ein kleines Vermögen, da er sonst kaum die vielen Verluste in seinem Geschäfte geduldig hätte hinnehmen können. In früherer Zeit war er Wundarzt in der Flotte gewesen und man sagte ihm (vermutlich mit Recht) nach, dass er sehr geschickt in seiner Kunst sei. Als er sich gegen einen Akt der Bedrückung von seiten seines Kapitäns rechtfertigte (denn in jenen Zeiten war der Dienst ganz anders, als heutzutage), hatte er das Missfallen des Flottenkollegiums auf sich gezogen und deshalb den Dienst verlassen. Seine Feinde (denn sogar der Doktor hatte seine Feinde) behaupteten, sein Amt sei ihm abgenommen worden, während seine Freunde sagten, er habe dasselbe aus Widerwillen aufgegeben — im Grunde eine Frage von sehr geringer Bedeutung. Der Doktor ist nun tot und hat in der Stadt Greenwich den Ruf der Mildthätigkeit und des Edelmutes zurückgelassen, dessen ihn niemand berauben kann. Er wurde auf dem Kirchhofe zu Greenwich begraben; und selten wohl ist eine Leiche unter einer zahlreicheren, freiwilligen Trauerbegleitung der Erde zurückgegeben worden. Der Arme zahlte ihm voll die Schuld der Dankbarkeit, wenn er auch seine anderen Posten unentrichtet liess, und als das Testament des Doktors eröffnet wurde, stellte sich heraus, dass der Verstorbene sämtliche in letztere Kategorie gehörende Forderungen erlassen hatte. Friede sei mit ihm und Ehre seinem Andenken!

      Doktor Tadpoles Laden war in einer sehr seltsamen Weise ausgestattet und erregte viel Bewunderung. Während seines Flottendienstes hatte er unterschiedliche, naturhistorische Gegenstände gesammelt, die er für sich präpariert hatte. Die untere Reihe von Flaschen in dem Fenster war mit Schlangen, Eidechsen und andern Reptilien gefüllt, die zweite bestand aus Bouteillen, wie man sie auch noch jetzt gewöhnlich sieht — grosse Kugeln, die blaue und gelbe Mixturen enthielten und vorn mit goldenen Hieroglyphen bezeichnet waren; aber zwischen denselben stand stets ein ausgestopftes Tier, in der Regel ein kleiner Affe oder etwas der Art. Die dritte Flaschenreihe war die unbegreiflichste, niemand konnte sagen, was sie enthielt, und wenn der Doktor gefragt wurde, so pflegte er zu lachen und den Kopf zu schütteln. Dies machte die Leute besonders neugierig. Ich glaube, es waren hauptsächlich Präparate des Magens und anderer tierischer Eingeweide; aber der Doktor sagte stets, dies sei eine Reihe voll „Geheimnissen“, und er pflegte sich damit zu belustigen, dass er auf die Fragen des andern Geschlechts ausweichende Antworten gab. Von der Decke herunter hingen einige grössere, naturhistorische Exemplare, hauptsächlich Schädel und Knochen von Tieren, und auf den inneren Simsen lagen unterschiedliche Steine, Kiesel und Marmorfigurenbruchstücke, die der Doktor während seines Aufenthaltes im mittelländischen Meere gesammelt hatte. Mit einem Worte, der Laden enthielt ein seltsames Gemisch und die Leute konnten nicht genug die Augen aufsperren, wenn sie eintraten. Der Doktor hielt sich eine alte Frau, welche für ihn kochte und das Haus reinigte, sonst hatte er keine weitere Bedienung, als den bereits erwähnten Knaben Tom. Letzterer war ein gutmütiger Junge, nur, wie sein Meister sagte, ein allzu grosser Freund des Bärendrecks; übrigens pflegte der Doktor, wenn Tom nicht dabei war, nur darüber zu lachen, indem er sagte: ‚’s ist zwar wahr, dass Tom mir meinen Bärendreck stibitzt; übrigens kann ich ihm nachsagen, dass er sehr ehrlich in betreff der Jalappe und des Rhabarber ist, denn von letzterem habe ich noch nie auch nur einen Gran vermisst.‘

      Neben dem Doktor wohnte eine andere Person, die ein kleines Tabaksgeschäft hatte — ein Lieblingszufluchtsort der Pensionäre und anderer Leute. Es war eine Irländerin mit starkem Provinzialdialekt und ihrer Aussage nach Witwe. Wer ihr Gatte gewesen, hatte nie genügend ermittelt werden können, denn wenn ihr die Frage vorgelegt wurde, wusste sie der Antwort stets auszuweichen. Sie sagte nur, er habe St. Felix geheissen und kein besonderes Gewerbe betrieben. Sie war ungefähr zwei- oder dreiundzwanzig, sehr schön und von angenehmen Manieren, was vielleicht mit eine Ursache der lästersüchtigen Vermutungen war, mit denen man sich so gerne trägt. Einige sagten, ihr Mann sei noch am Leben, andere behaupteten, er sei auf sieben Jahre deportiert worden, und viele (unter denen sich auch meine Mutter befand) wollten wissen, dass sie kein „Verehelichungsdokument“ vorzuzeigen habe. In der That nahmen derartige böswillige Gerüchte kein Ende, wie es stets zu gehen pflegt, wenn Männer unglücklicherweise einen Ruf haben oder Weiber hübsch sind. Aber die Witwe schien sich durchaus nicht daran zu kehren, was die Leute sagten; sie war stets lebhaft und heiter und ausserdem bei den Männern sehr beliebt, was auch die Weiber ihr nachsagen mochten. Doktor Tadpole hatte ihr, seit sie sich in Greenwich niedergelassen, den Hof gemacht, sie waren die besten Freunde, obschon die