Der arme Jack. Фредерик Марриет. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Фредерик Марриет
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711447673
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etwas? Bedarfst Du eines Schlüssels für Deine Kiste oder eines ähnlichen Gegenstandes?“

      „Ich habe keine Kiste, Mutter, und brauche deshalb keinen Schlüssel.“

      „Aber vielleicht steht Dir etwas von den hübschen Sachen in meinem Laden an; Jungens haben stets gewisse Liebhabereien.“

      Ich lachte über die „hübschen Sachen“ in ihrem Laden, denn er enthielt nichts als altes Eisen, leere Flaschen, schmutzige Lumpen und Phiolen, und sagte ihr deshalb, dass ich nichts davon haben wolle.

      „Nun“, sagte sie, „so setz’ Dich doch ein wenig und sieh’ Dich um; es hat ja keine Eile. — So hat also Mrs. East wieder einen Knaben gekriegt? Schlimm genug für das Kirchspiel, da sie bereits sechs Kinder hatte! — Sieh Dich um und lass Dir Zeit. — Hast Du davon gehört, dass Peter James gestern Abend seinem Weibe die Augen blau geschlagen hat, wie sie ihn aus dem Bierhause holen wollte? Ich möchte wissen, von wem jener Brief ist, den Susanna Davis von der Post erhalten hat. Freilich, ich kann’s erraten — das arme Mädchen! sie hat seit einigen Wochen gar so elend ausgesehen. — Musst nicht so pressieren, Jack; sieh Dich um, es giebt viele hübsche Sachen in meinem Laden. — Davis, der Schlächter, ist also wegen schlechten Fleisches geriemt worden? Ich dachte mir’s wohl, dass es so kommen müsse, und freue mich darüber. — Sieh, da ist ein prächtiges Schloss samt Schlüssel, Jack; Du kannst’s an Deine Truhe legen, wenn Du einmal eine hast. Ich denke, Du solltest dieses nehmen. — Was treibt denn der Doktor? Man spricht allenthalben davon, dass er stets bei der Witwe sitze. — Verdient Deine Mutter hübsch Geld durch ihr Wäschestärken? Ich weiss, Deine Schwester hatte am letzten Sonntag ein gedrucktes Mousselinkleid an, und das muss etwas gekostet haben. — Da ist ein Spaten, Jack — sehr nützlich, um das Ufer damit aufzugraben. — Du kannst etwas finden — Geld vielleicht! Nimm den Spaten und dann bist Du mir noch sechs Pence schuldig. — Bill Freeman hat letzten Sonnabend das letzte Kleid seines Weibes verpfändet. — Dacht’s mir wohl, es werde darauf hinauslaufen, obschon er sagt, es geschehe nur deshalb, weil er bei dem schlechten Wetter keine Fische gefangen habe. Aber ich weiss mehr, als die Leute glauben. — Da ist eine schöne Glasflasche, Jack; willst Du sie nicht Deiner Mutter bringen, dass sie etwas darin einmachen kann? Du siehst, sie ist von weissem Glase. Schau umher, Jack; es giebt allerhand hübsche Dinge hier. — Und des Gouverneurs Tochter heiratet auch; wenigstens glaube ich so, denn ich sah sie letzthin mit einem jungen Gentleman ausreiten, und heutzutage machen vornehme Leute stets zu Pferde den Hof. — Nun, Jack, hast Du noch immer nichts gefunden?“

      „Nein, Mutter, und wenn Ihr mir nicht einen Shilling gebt, so gehe ich. Vielleicht wäret Ihr übrigens geneigt, mir zu dem zu verhelfen, was ich brauche, und dann gebe ich Euch das Tau umsonst.“

      „Du giebst mir das Tau umsonst?“ versetzte die alte Nanny. „Gut, nimm Platz und lass mich hören, was Du für ein Anliegen hast.“

      Ich dachte zwar, es werde mir nicht viel helfen, wenn ich mein Gesuch vorbringe, war aber einmal entschlossen, die Probe zu machen und setzte ihr deshalb meine Wünsche auseinander.

      „Hum!“ sagte sie, nachdem sie sich eine Minute besonnen hatte, „Du willst also drei und dreissig Shillinge, um Kleider kaufen und in die Kirche gehen zu können? Deine Mutter kleidet Deine Schwester in gedruckten Mousselin und lässt Dich in Lumpen laufen — willst Du nicht lieber warten, bis Dein Vater wieder nach Hause kommt?“

      „Das kann noch Jahre lang anstehen.“

      „Nun, Jack, ich gehe nicht zur Kirche — ich bin zu alt — und obendrein zu arm, um mich für die Kirche ankleiden zu können, selbst wenn ich so weit zu gehen im stande wäre. Und warum willst nun Du gehen?“

      „Ei, Mutter“, sagte ich, mich erhebend, „wenn Ihr meinen Wunsch nicht erfüllen wollt, so thut’s mir sehr leid, denn ich würde Euch ehrlich bezahlt und Euch noch zu manchem schönen Handel verholfen haben. Behüte Euch Gott!“

      „Nicht so eilig, Jack — setz’ Dich, setz’ Dich, Knabe. — Schau Dich im Laden um, und sieh, ob Du nichts finden kannst, was Dir zusagt.“

      Nun begann Nanny halblaut mit sich zu sprechen —

      „Drei und dreissig Shillinge? Das ist viel Geld — will mich ehrlich bezahlen — und noch etwas zum besten geben! Seine Mutter hat mich letzthin eine alte Katze geheissen — ich glaube der Anzug wäre wohlfeiler zu kriegen, den Knaben betrügt man sehr. — Es würde sie ärgern, wenn sie ihn reinlich gekleidet in der Kirche sehen würde — und ich glaube, der Knabe ist ehrlich. Ein Junge, der in die Kirche gehen will, muss ein guter Junge sein. — Aber Du mein Himmel, es ist so viel Geld!“

      „Ich will Tag und Nacht arbeiten, um Euch zu bezahlen, Nanny.“

      „Und wohl gemerkt, Jack, ich muss etwas obendrein haben. — Dieses Stück Tau geht drauf. — Du zahlst jede Woche etwas ab.“

      „Wenn ich etwas verdienen kann, Mutter, so dürft Ihr so sicher darauf rechnen, als ich hier sitze.“

      „Gut, die alte Katze wird mehr für Dich thun, als Deine eigene Mutter thun mag; Du sollst das Geld haben; aber Jack, ich muss wegen der Kleidungsstücke den Handel abschliessen.“

      „Ich danke Euch, Nanny, ich danke Euch!“ entgegnete ich, indem ich voll Wonne von meinem Sitze aufsprang.

      „Aber heute Abend können wir nichts mehr thun, Jack. Komm daher am Montag wieder zu mir, und wenn ich bis dahin nicht meinen Sinn geändert habe — —“

      „Den Sinn geändert?“ sagte ich bekümmert. „Ich glaubte, Ihr hättet mir’s eben für bestimmt versprochen.“

      „Nun ja, ich hab’s gethan — und — will mein Versprechen halten, Jack. Komm am Montag, und da Du morgen doch nicht zur Kirche gehen kannst, so sieh zu, ob Dir’s nicht möglich wird, Dir einiges Geld zu verdienen.“

      Ich vernachlässigte ihre Einschärfung nicht und war glücklich genug, ihr am Montag Morgen sechs Pence bringen zu können. Nanny ging mit mir in den Kleiderladen nnd dingte um die Kleider, bis sie dieselben auf acht und zwanzig Shilling herunter gemäkelt hatte; dann gab sie Auftrag, den Anzug für mich fertig zu machen, und verlangte, dass man ihn ihr ins Haus schicke. Ich verdiente in jener Woche nur wenig Geld; Nanny schien daher mehr als einmal sehr unglücklich zu sein und ihr freundliches Anerbieten zu bereuen. Als jedoch der Sonntag herbeikam, wurde sie ganz wohlgemut; sie wusch mich sehr sorgfältig und legte mir selbst die Kleider an. Ich kann die Wonne nicht ausdrücken, welche ich in dem Augenblicke empfand, als Nanny mir den Hut auf den Kopf drückte und sagte:

      „Nun, Jack, ich würde es in meinem Leben nicht geglanbt haben, dass Du ein so hübscher Junge bist. Du kannst jetzt keck neben Deiner Schwester einhergehen, sie wird sich Deiner nicht zu schämen haben, so hübsch sie auch ist. So, jetzt geh und zeige Dich; vergiss aber nicht, Jack, dass Du mir versprochen hast, Du wolltest mich bald wieder bezahlen und mir noch obendrein im Handel etwas zum besten geben.“

      Ich wiederholte mein Versprechen und eilte nach dem Hospital, um Peter Anderson aufzusuchen. Er kannte mich nicht, als ich mich ihm vorstellte. Ich teilte ihm mit, wie und auf welchem Wege ich zu den Kleidern gekommen sei, worauf er mich auf den Kopf pätschelte, mich einen guten Jungen nannte und mir versprach, er wolle mich nach der Hospitalkapelle mitnehmen, wo ich unter den Schulkindern Platz finden könne; er werde dies schon einleiten. Ich traf dann mit Ben und anderen zusammen, die alle nicht wenig erstaunt waren. In der Kapelle konnte ich freilich nicht alles hören, was der Pfarrer sagte, weil die Kanzel sehr entfernt war und die alten Pensionäre viel husteten; demungeachtet erbaute ich mich sehr, und ich hätte nur gewünscht, dass der Gottesdienst weniger lange gedauert hätte. Nach Beendigung desselben verfügte ich mich nach der Wohnung meiner Mutter und traf mit letzterer zusammen, als dieselbe eben mit der kleinen Virginia von der Stadtkirche zurückkehrte.

      „Da ist ein hübscher kleiner Knabe, Virginia“, sagte meine Mutter. „Willst Du nicht mit ihm gehen?“

      Meine Mutter kannte mich nicht, wohl aber Virginia, die sich augenblicklich losriss, mir in die Arme eilte, lachend sich an mich anklammerte und dann ausrief:

      „Ja,