Teufelsmord - Ein Fall für Julia Wagner: Band 1. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643060
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      „Und ob ich mich traue. Ich sag es genauso, wie es war: Sie hat dich abblitzen lassen und dir gedroht. Das hat dir ganz und gar nicht gepasst, also hast du ihr auch gedroht. Deshalb hat sie dich doch angerufen, ein paar Stunden bevor sie verhaftet wurde, richtig?“

      „Halt jetzt die Klappe, Eddie“, warnte Knut Hagen noch einmal.

      „Man könnte Kerstin ja viele Motive unterstellen“, sprach Eddie unbeeindruckt weiter. „Rache, Boshaftigkeit, Geld. Aber das hat sie alles gar nicht interessiert. Sie wollte einfach nur die Wahrheit. Die Wahrheit, weil’s halt mal die Wahrheit ist.“

      „Du bist wirklich ein kluger Mann, Eddie“, ätzte Raddatz. „Aber du bist auch ein Idiot.“

      „Ach was?“, zischte Eddie zurück. „Kann man mit der Wahrheit etwa keine Existenzen zerstören?“

      Einen Moment sahen sie sich in die Augen. Eddies Blick sagte: Ich weiß es. Und vielleicht werde ich mein Wissen irgendwann gegen dich einsetzen.

      Im selben Moment sahen sie es beide noch einmal vor sich: Jenen Tag, an dem Eddie unerwartet das Haus des Bürgermeisters betreten hatte. Zuvor hatte er geklopft und gerufen, aber er war nicht gehört worden. Gehört hatte dann Eddie – und zwar Kerstins Stimme, die klar und deutlich sagte: „Ich werde dich anzeigen, Wilhelm.“

      Wie erstarrt war Eddie stehen geblieben und vernahm dann Raddatz, der antwortete: „Stell dich doch nicht so an. Ich kann dir alles bieten, Kerstin, alles, was du willst. Mehr als dein Schlachter. Tausend Mal mehr als dein Schlachter.“

      „Ich will dich aber nicht, Wilhelm.“ Das war wieder Kerstin. „Dich nicht und dein schleimiges Geld will ich auch nicht. Ich habe dir gesagt, wenn du mich noch einmal anfasst, dann zeige ich dich an …“

      „Anzeigen? Und wer, meinst du, wird dir glauben? Ich bin ein angesehener Mann, Kerstin, und was bist du?“

      „Du fühlst dich auf der sicheren Seite, ja? Sei dir nicht zu sicher, Wilhelm. Ich weiß mehr, als du ahnst, und ich zögere nicht, von meinem Wissen Gebrauch zu machen. Geht das in deinen runden Schädel?“

      „Was kannst du schon wissen, womit du mir drohen könntest?“

      „Wenn ich es will, kann ich das ganze verdammte Dorf in die Luft fliegen lassen!“ In der nächsten Sekunde flog etwas anderes und zwar die Wohnzimmertür. Mit einem Knall donnerte sie gegen die Wand des Flurs und Kerstin stürzte heraus. Raddatz folgte ihr auf dem Fuß. „Du kleine, verdammte …“ Dann entdeckte er Eddie und sein eben noch hochrotes Gesicht wurde augenblicklich leichenblass.

      Kerstin schritt auf Eddie zu und man musste anerkennend feststellen, dass sie es mit sehr viel Würde tat. „Geh zur Seite, Eddie.“

      Er tat es, sie schritt an ihm vorbei und verließ das Haus.

      „Ich weiß nicht, was du gehört hast, Eddie …“, hatte Raddatz angesetzt, nachdem die Haustür hinter ihr zugeschlagen war.

      Eddie hatte sich vor ihm aufgebaut, sodass er nur noch mit etwa zwanzig Zentimeter Abstand zu seinem Gesicht sprach: „Genug, Wilhelm.“

      „Dann hast du es sicher falsch verstanden.“

      „Was hast du getan, Wilhelm? Sag’s mir. Wenn du es nicht tust, werde ich zu ihr gehen und sie persönlich danach fragen. Und glaub mir, sie wird es mir erzählen.“

      Raddatz räusperte sich laut. Es klang wie ein kranker Hund. „Ich habe nur versucht, sie zu küssen. Mehr nicht.“

      „Du hast nicht …?“

      „Was?“

      „Hast du sie vergewaltigt, Wilhelm?“

      „Nein!“

      „Wilhelm, ich kenne dich. Wenn du etwas unbedingt haben willst und es nicht bekommst …“

      „Ich hab ihr nichts getan. Ich hab versucht, sie zu küssen, sie wollte nicht, das war alles.“

      „Komisch, dass sie dem Jürgen noch nichts erzählt hat“, bemerkte Eddie nach ein paar Sekunden der Stille. „Ich meine, was glaubst du, was passiert, wenn sie ihm erzählt, dass du schon seit Monaten versuchst, ihr ins Höschen zu fassen?“

      Raddatz schaute zur Seite, was zeigte, dass er sich sehr wohl darüber im Klaren war, was passieren würde, wenn Jürgen davon erfuhr.

      Genau das geschah dann auch. Lediglich ein paar Stunden später. Jürgen Jakob kam in die Kneipe gestürmt und brüllte: „Du dreckiges Stück Scheiße! Ich bring dich um! Ich schneid dir den Schwanz ab und stopf ihn dir ins Maul! Du wagst es, meine Frau anzufassen?“

      In der Sekunde darauf hatte er Raddatz vom Stuhl gezerrt und zugeschlagen.

      „Wag dich nie wieder auch nur in ihre Nähe! Wenn du sie noch einmal anrührst, bring ich dich um! Aber vorher lass ich dich hochgehen. Ich ruinier dich! Ich ruinier dich so, dass du nie wieder auf die Füße kommst. Nie mehr. Hast du das kapiert, Wilhelm?“

      Jetzt, in diesem Moment, durchlebte der Bürgermeister das Ganze noch einmal, und er wusste genau, woran Eddie dachte. Kurz danach war Jürgen tot. Und Kerstin auch.

      „Niemandem hilft die Wahrheit“, sagte er mit einer Beiläufigkeit, als würde er einen Kaffee bestellen, was er niemals tat. „Auch dir nicht, Eddie. Schon gar nicht dir. Das solltest du niemals vergessen.“

      In diesem Moment wurde die Tür zur Kneipe geöffnet und alle drei blickten hin. Pastor Jordan trat ein. Und er war nicht alleine.

      Mit großen Augen stellten Raddatz, Eddie und Knut Hagen fest, dass er in Begleitung einer Frau war, die bisher noch keiner von ihnen gesehen hatte. Von der aber jeder instinktiv wusste, wer sie war.

      12. KAPITEL

      Wolf im Schafspelz

      Paula von Jäckle saß inzwischen wieder in ihrer Küche. Vor ihr stand ein Glas Rotwein, das sie noch nicht angerührt hatte, und bis auf ein paar Kerzen brannte im Haus kein Licht. Immer und immer wieder legte sie die Karten, und immer und immer wieder kam dasselbe dabei heraus: Gefahr und Tod.

      Paula hob das Glas an die Lippen und trank einen Schluck.

       Sie ist also zurück. Und sie wird für etwas verantwortlich gemacht, was sie selbst nicht einmal ahnt. Es gibt jemanden, der ihr schaden will, und im Zentrum steht der Tod ihres Vaters vor über zwanzig Jahren. Sie weiß von all dem nichts, und diese Unwissenheit ist gefährlich. Sie muss das Rätsel lösen und hat nicht viel Zeit.

      Paula seufzte leise.

       Ich hätte sie bitten sollen, bei mir zu bleiben. Aber wie soll ich ihr all das beibringen? Wie soll ich ihr beibringen, was ich hier vor mir auf dem Tisch liegen sehe?

       Nein, diese Frau war ein hoffnungsloser Fall. Sie würde es lächerlich nennen und sich weigern es anzunehmen.

      Paula hob den Kopf und sah ihr Spiegelbild im Fenster. Bei dem Anblick zuckte sie zusammen, woraufhin sich die Konturen im Glas verdoppelten. Als sie sich wieder gefasst hatte und erleichtert im Stuhl zurücklehnte, war das Gesicht immer noch da. Und es war nicht ihr eigenes. Es war das Antlitz des Teufels.

      Der Stuhl kippte um, als Paula erschrocken in die Höhe fuhr. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie blinzelte. Als sie dann das nächste Mal zum Fenster sah, war da nur die Schwärze der Nacht.

      Sie legte sich die Hand aufs Herz, ging vorsichtig in Richtung Fenster und sah hinaus. Da war nichts. Zu gerne hätte sie sich eingeredet, dass sie sich den furchtbaren Anblick nur eingebildet hatte, doch sie wusste es besser.

      Die Bedrohung war nahe.

      Ganz nahe.

      „Ich kenne Paula von Jäckle natürlich“, sagte Pastor Jordan. „Nun ja, sofern man von ‚kennen‘ sprechen kann. Keiner aus dem Dorf kennt sie wirklich. Man grüßt sich und geht dann seiner Wege. Sie ist eine nette und im Grunde sehr höfliche Frau,