Der letzte Mensch. Mary Shelley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mary Shelley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159618371
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denen sie bestreut sind. Doch sie alle machen sich am Ende des Tages mit zerbrochenen Planken und zerrissener Leinwand zum Ufer auf und gehen entweder leck, bevor sie es erreichen, oder finden einen wellengepeitschten Hafen, einen verlassenen Strand, worauf sie geworfen werden und unbetrauert sterben.

      Ein Waffenstillstand mit der Philosophie! – Das Leben liegt vor mir, und ich stürze mich darauf, um von ihm Besitz zu ergreifen. Hoffnung, Ruhm, Liebe und untadeliger Ehrgeiz sind meine Führer, und meine Seele kennt keine Furcht. Das Vergangene, wenn es auch süß war, ist vorbei; die Gegenwart ist nur gut, weil sie in der Veränderung begriffen ist, und das Kommende gehört mir allein. Fürchte ich mich, weil mein Herz klopft? Hohe Bestrebungen bewirken den Fluss meines Blutes; meine Augen scheinen in das trübe Zwielicht der Zeit einzudringen und in den Tiefen ihrer Dunkelheit die Erfüllung all meiner Seelenwünsche zu erkennen.

      Nun still! – Während meiner Reise möchte ich träumen und mit kräftigen Schwingen den Gipfel des höchsten Gebäudes des Lebens erreichen. Nun, wo ich an seinem Fundament angelangt bin, sind meine Flügel gefaltet, die mächtige Treppe liegt vor mir, und Schritt für Schritt muss ich den wundersamen Bau erklimmen –

       Sprich! – Welche Tür wird geöffnet?

      Seht mich in einer neuen Funktion. Ein Diplomat: einer unter den Vergnügungssüchtigen einer munteren Stadt; ein verheißungsvoller Jüngling; der Liebling des Botschafters. Alles war seltsam und großartig für den Hirten aus Cumberland. Mit atemlosem Erstaunen trat ich in die heitere Gesellschaft ein, deren Akteure wie

       – die Lilien waren, prächtig wie Salomon,

      und weder werkten, noch spannen.

      Bald, viel zu bald, betrat ich den wirbelnden Strudel; vergessen waren meine Stunden des Studiums und der Gesellschaft Adrians. Leidenschaftliches Verlangen nach Zugehörigkeit und heißes Streben nach einem ersehnten Gegenstand zeichneten mich noch immer aus. Der Anblick von Schönheit bezauberte mich, und anziehendes Betragen in Mann oder Frau gewannen meine ganze Aufmerksamkeit. Ich hielt es für Verzückung, wenn ein Lächeln mein Herz erbeben ließ; und ich spürte, wie das Blut des Lebens durch meinen Körper brauste, wenn ich mich der Person näherte, die ich für eine Weile verehrte. Die vorbeiströmenden triebhaften Geister waren das Paradies, und am Ende der Nacht sehnte ich mich schon nach einer Erneuerung der berauschenden Täuschung. Das blendende Licht geschmückter Räume, reizende Gestalten in prächtigen Kleidern, die Bewegungen eines Tanzes, die schwelgerischen Töne exquisiter Musik umhüllten meine Sinne in einem nicht enden wollenden herrlichen Traum.

      Und ist dies nicht auf seine Weise Glück? Ich wende mich an die Moralisten und Weisen. Ich frage, ob sie in der Ruhe ihrer gemessenen Träumereien, wenn sie tief in Meditationen versunken ihre Stunden füllen, die Ekstase eines jungen Neulings in der Schule des Vergnügens fühlen? Können die ruhigen Blicke ihrer himmelsuchenden Augen den Blitzen verschiedenartiger Leidenschaft entsprechen, die ihn blenden? Oder stürzt der Einfluss trockener Philosophie ihre Seele in ein Entzücken, das dem seinem gleicht, wenn er

      In diesem Akt jugendlichen Vergnügens

      begriffen ist?

      Doch in Wahrheit vermögen weder das einsame Nachsinnen des Einsiedlers noch die berauschten Verzückungen des Nachtschwärmers, das Herz des Menschen zu befriedigen. Durch das eine sammeln wir rastlose Mutmaßungen, durch die anderen Übersättigung. Der Geist erbebt unter dem Gewicht des Gedankens und versinkt in der herzlosen Gesellschaft jener, deren einziges Ziel die Belustigung ist. Es liegt keine Erfüllung in ihrer hohlen Gefälligkeit, und unter den lächelnden Wellen dieser seichten Gewässer lauern schroffe Felsen.

      So empfand ich es, als Enttäuschung, Ermüdung und Einsamkeit mich dazu zwangen, die verlorene Freude wieder in meinem ausgedorrten Herzen zu suchen. Meine ermattenden Lebensgeister verlangten nach etwas Zuneigung, und da ich sie nicht fand, ließ ich mich fallen. So ist der Eindruck, den ich von meinem Leben in Wien habe, trotz der gedankenlosen Freude, die mich zu Beginn erwartete, ein schwermütiger. Goethe hat gesagt, dass wir in der Jugend nicht glücklich sein können, wenn wir nicht lieben. Ich liebte nicht; doch zehrte an mir der rastlose Wunsch, anderen etwas zu bedeuten. Ich wurde zum Opfer der Undankbarkeit und der kalten Koketterie – dann verzagte ich und gelangte zur Überzeugung, dass meine Unzufriedenheit mir das Recht gebe, die Welt zu hassen. Ich zog mich in die Einsamkeit zurück; ich las wieder in meinen Büchern, und meine Sehnsucht nach der Gesellschaft Adrians wurde zu einem brennenden Durst.

      Begeisterung, die in ihrem Übermaß fast die giftigen Eigenschaften von Neid annahm, versetzte diesen Gefühlen einen Stich. Zu dieser Zeit erfüllten der Name und die Heldentaten eines meiner Landsleute die Welt mit Bewunderung. Berichte dessen, was er getan hatte, und Vermutungen bezüglich seiner zukünftigen Handlungen waren die nie versagenden Themen der Stunde. Ich ärgerte mich nicht für mich selbst, sondern empfand es so, als ob das Lob, das dieses Idol erhielt, Blätter seien, die den für Adrian bestimmten Lorbeerkränzen entrissen wurden. Doch zuvorderst muss ich etwas über diesen Liebling der Gesellschaft berichten – diesen Günstling der wunderliebenden Welt.

      Lord Raymond war der einzige Überlebende einer adligen, aber verarmten Familie. Seit frühester Jugend war er über die Maßen stolz auf seinen Stammbaum gewesen und hatte bitter seinen Mangel an Vermögen beklagt. Sein größter Wunsch war eine Erhöhung, und welche Mittel zu diesem Zweck führten, waren zweitrangige Erwägungen. Er war hochmütig und erzitterte doch davor, den ihm gebührenden Respekt einzufordern, ehrgeizig, aber zu stolz, um seinen Ehrgeiz zu zeigen, willens, Ehre zu erlangen, aber ein Liebhaber des Vergnügens. So trat er in die Gesellschaft ein. An der Schwelle wurde er von einer Beleidigung getroffen, ob es nun eine wirkliche oder eine eingebildete war; eine gewisse Ablehnung, wo er sie am wenigsten erwartete; eine gewisse Enttäuschung, die für seinen Stolz schwer zu ertragen war. Er krümmte sich unter einer Verletzung, die er nicht rächen konnte; er verließ England und schwor, erst zurückzukehren, wenn es die Macht dessen fühlen könnte, den es jetzt verachtete.

      Er wurde ein Abenteurer in den griechischen Kriegen. Sein waghalsiger Mut und seine großen Begabungen brachten ihm Ruhm ein; er wurde der Lieblingsheld dieses aufstrebenden Volkes. Allein seine ausländische Geburt, denn er weigerte sich, seine Loyalität zu seinem Heimatland aufzugeben, verhinderte, dass er die obersten Posten im Staat besetzte. Doch obgleich andere in Titel und Zeremoniell höher rangierten, stand Lord Raymond über ihnen. Er führte die griechischen Armeen zum Sieg, all ihre Triumphe waren die seinen. Wo er erschien, schwärmten ganze Stadtbevölkerungen aus, um ihn zu sehen, ihren Nationalhymnen wurden neue Liedtexte gegeben, die von seinem Ruhm, seiner Tapferkeit und Freigebigkeit sangen.

      Ein Waffenstillstand wurde zwischen den Griechen und Türken geschlossen. Zur gleichen Zeit wurde Lord Raymond durch einen unerwarteten Zufall der Besitzer eines ungeheuren Vermögens in England, wohin er mit Ruhm gekrönt zurückkehrte, um den Ehrenlohn und die Auszeichnung zu erhalten, die ihm zuvor verweigert worden waren. Sein stolzes Herz rebellierte gegen die geänderte Behandlung. War er nicht noch immer derselbe, der einst verachtete Raymond? Wenn der Erwerb von Macht in der Gestalt von Reichtum diese Veränderung verursachte, sollten sie diese Macht als ein eisernes Joch fühlen. Macht war daher das Ziel all seiner Bestrebungen; die Erhöhung des Stands war das, worauf er stets abgezielt hatte. In offenem Ehrgeiz oder heimlicher Intrige war sein Ziel dasselbe: die oberste Stellung in seinem eigenen Land zu erreichen.

      Diese Sache hatte meine Neugier erregt. Die Ereignisse, die auf seine Rückkehr nach England folgten, verschärften meine Gefühle. Abgesehen von seinen anderen Vorzügen war Lord Raymond äußerst gut aussehend, jeder bewunderte ihn, Frauen liebten ihn. Er war höflich, konnte in süßen Worten sprechen – er war ein Meister der Verführungskunst. Was konnte dieser Mann in der geschäftigen englischen Gesellschaft nicht alles erreichen! Der Veränderung folgten weitere Veränderungen; die ganze Geschichte hat mich allerdings nicht erreicht, denn Adrian hatte aufgehört zu schreiben, und Perdita schickte stets nur kurze Nachrichten. Es ging das Gerücht, Adrian sei – wie das fatale Wort niederschreiben? – geisteskrank; dass Lord Raymond der Liebling der einstigen Königin sei und der von ihr für ihre Tochter bestimmte Ehemann. Mehr noch, dass dieser aufstrebende Adlige den Anspruch des Hauses Windsor auf die Krone wiederbelebe und dass die Stirn des ehrgeizigen Raymond, im Falle der Unheilbarkeit