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Randi füllte einen Pappbecher mit Kaffee und nahm ihn mit zum Auto.

      Sie sprachen nicht miteinander. Cato Isaksen konzentrierte sich auf einen vagen Schmerz im Zwerchfell. Vielleicht war er ja nur hungrig. Die weiße Sonne beleuchtete die Straßen und zeigte, dass eine dünne Staubschicht das Armaturenbrett überzog.

      »Das mit Preben ist so unwirklich«, sagte Randi Johansen plötzlich, als sie die Majorstukreuzung überquerten. »Irgendwie ärgere ich mich über ihn, wenn du verstehst.« Sie trank einen Schluck Kaffee aus ihrem Pappbecher. »Das war so typisch für ihn, nach Thailand zu fahren. Warum konnte er nicht zu Hause bleiben?«

      »Ich kann jetzt einfach nicht über Preben sprechen«, sagte Cato Isaksen müde und umfasste das Lenkrad fester.

      »Dieser Gedanke lässt mir aber keine Ruhe«, beharrte Randi Johansen. »Du weißt doch, Preben war Preben.«

      Die Begegnungen mit den Angehörigen waren meistens eine arge Belastung. Oft lud Cato Isaksen sich ihren Schmerz und ihre Angst auf und trug sie noch viele Tage mit sich umher. Ab und zu ertappte er sich dabei, dass er sich freute, dass nicht er oder jemand aus seiner Familie mit diesen Entsetzlichkeiten zu tun hatten. Aber obwohl er Training darin besaß, seine Gefühle auszusperren, war es anstrengend. Es konnte lange dauern, bis sie einen Fall geklärt hatten. Und je länger diese Zeit währte, um so ungeduldiger und angespannter wurde er.

      Er hielt vor einer Frau, die bei Rot die Straße überquerte. Zugleich lief eine SMS bei ihm ein.

       Kann nicht auf Georg aufpassen. Hab um 12 Dienst. Bente.

      Er gab eine Antwort ein, während er sich auf die Straße konzentrierte. Er schrieb, er könne sich einfach nicht freimachen, sie hätten Alarmbereitschaft und sie müsse jemanden finden, der sich um Georg kümmern könnte. Gard oder Vetle müssten einspringen. Gleich darauf kam eine Antwort. Cato Isaksen schaltete sein Telefon aus.

      Am Straßenrand vor dem weißen Lattenzaun hatte der Frost das wilde Gras gelb gefärbt. Die Ermittler fuhren zwischen den Torpfosten durch und hielten vor der offenen Doppelgarage, in der ein dunkelblauer Golf stand.

      Das weiße Einfamilienhaus mit den schwarzen glasierten Dachziegeln stammte aus den 20er Jahren und hatte Säulen neben dem Eingang. Die Fenster waren hoch, mit kleinen Sprossen, und der Garten, der ungefähr 150 Hektar maß, war mit Bäumen und Sträuchern in verschiedene Plateaus unterteilt. Der Rasen war graugrün und stellenweise von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Auf den Blumenbeeten vor der Wand lag das Eis wie eine dünne Decke zwischen den beschnittenen Rosensträuchern. Einige verfaulte bräunliche Pflaumen bildeten einen Kreis um einen blattlosen Baum.

      Die Tür wurde von einem Polizisten geöffnet, noch ehe Cato Isaksen mit der Fernbedienung das Auto abgeschlossen hatte. Hinter dem Polizisten stand ein junges Mädchen. Sowie er Maiken Blad gesehen hatte, wusste er, dass es ihre Mutter war, die erstochen auf dem gefrorenen Boden bei den U-Bahn-Gleisen gefunden worden war. Das junge Mädchen hatte den gleichen etwas kräftigen Körperbau und die gleichen hellblonden Haare. Ihr Gesicht war vom Weinen gefleckt. Ihre schwarze Wimperntusche war in Streifen über ihre Wangen verschmiert.

      Randi Johansen und Cato Isaksen gingen in die große Diele. Eine offene Tür führte in eine helle Küche. Cato Isaksen registrierte den gediegenen Glastisch und den großen Leuchter unter der Decke. Am Rand der hohen Fenster waren dünne weiße Gardinen arrangiert wie Brautschleier.

      »Mama legt ihre Bratsche immer hier ab«, sagte Maiken Blad. In der einen Hand hielt sie einen Klumpen aus Küchenpapier.

      Randi Johansen musterte sie mitfühlend. »Wollen wir uns ins Wohnzimmer setzen?«, fragte sie und legte dem Teenager die Hand auf den Arm.

      Cato Isaksen führte ein kurzes und leises Gespräch mit den Kollegen, die zur Wache zurückfahren sollten, dann folgte er Maiken Blad und Randi in das geräumige Wohnzimmer, in dem zwei dreisitzige rote Sofas vor dem größten Fenster ein Quadrat bildeten. Neben dem prachtvollen Kamin stand eine alte Kredenz. Ihm fiel auf, dass einige halbverbrannte Holzscheite ein Kreuz bildeten. Auf dem Boden lagen große Perserteppiche. Auf dem Esstisch standen einige Gläser und benutzte Kaffeetassen. Ein Stapel Zeitungen und Zeitschriften füllte einen Sessel, an den Wänden hingen Gemälde. Keine alten mit Goldrahmen, sondern große Leinwandstücke, modern und mit gelben und rötlichen Motiven.

      Maiken Blad saß auf der Kante des einen Sofas, die Gäste setzten sich nebeneinander auf das andere.

      Das Ticken einer alten Standuhr verkündete unbarmherzig, dass die Zeit trotz allem doch nicht stehengeblieben war.

      »Ich habe versucht, meinen Vater anzurufen«, schluchzte Maiken Blad. »Aber der antwortet nicht. Er hat sein Handy nicht eingeschaltet. Mama kommt immer nach Hause. Ich habe bei einer Freundin übernachtet, aber Mama hatte zu Hause sein wollen. Sie hatte gestern einen Auftritt, aber danach hatte sie nichts mehr vor. Ihr Telefon ist ausgeschaltet, und das tut sie sonst nur, wenn sie spielt.« Ihr Weinen verstummte mit einem schrillen kleinen Ton.

      Cato Isaksen musterte sie.

      »Mama kann nicht tot sein. Tote sind doch immer alt. Was ist mit ihren Kleidern? Und sie wollte mir heute Abend bei den Englischaufgaben helfen.«

      »Wir müssen mit deinem Vater sprechen«, sagte Randi Johansen.

      »Mein Vater wohnt nicht mehr hier, er ist im September ausgezogen.« Maiken Blad wischte sich eine schwarze Träne von der einen Wange.

      Cato Isaksen fiel auf, dass schon alle Weihnachtsdekoration aus diesem Haus entfernt worden war. Auf einem kleinen Tisch stand ein gerahmtes Foto. Der Rahmen wies kleine Facetten auf. In jede Ecke war eine weiße Muschel geklebt. Cato Isaksen erkannte Maiken zwischen der Frau, die er nachts tot gesehen hatte, und einem hochgewachsenen grauhaarigen Mann. »Ist das deine Mutter?«, fragte er. Maiken Blad streckte die Hand nach dem Foto aus. »Ja«, sagte sie und musterte es. Ihre Mutterwar nur ein Bild. Ihr blaues Kleid löste sich auf und sah aus wie Wasser. »Und mein Vater«, fügte sie traurig hinzu. »Bei meiner Konfirmation draußen im Garten. Da hat er noch zu Hause gewohnt.« Sie reichte das Bild Cato Isaksen, der es entgegennahm. Siv Ellen Blad trug ein blaues Kleid, blaue Schuhe und um den Hals ein großes blaues Herz aus Glas. Die Blautöne bildeten einen starken Kontrast zum rosa Kleid der Tochter und dem dunklen Anzug und Schlips des Ehemannes.

      Cato Isaksen reichte das Bild an Randi weiter und fragte, wo Maiken Blads Vater jetzt wohne, da er nicht mehr zu Hause lebe.

      Das Mädchen drückte sich den zerfetzten Rest Küchenpapier an die Nase. »Ein Stück weiter die Straße rauf. Er ist zu ihr gezogen«, sagte sie bitter. »Oder sie zu ihm, genauer gesagt. Papa hat ein Haus oben beim Slemdalscenter gemietet.«

      »Und wer ist sie?«

      »Beth, sie arbeitet im Schuhgeschäft.«

      »Er hat also ein Schuhgeschäft, dein Vater?«

      Maiken Blad wandte sich ab. Sie starrte die Wand an, fand einen Punkt, an dem die Farben verschwanden. Plötzlich wurde sie vom Schmerz überwältigt. Der war zu stark. Ich habe niemanden. Ich hatte Angst vor ihr und war wütend auf sie. Aber jetzt habe ich niemanden mehr.

      »Vielleicht solltest du noch einmal versuchen, deinen Vater anzurufen«, sagte Randi Johansen.

      Maiken Blad hatte jetzt etwas Roboterhaftes. Sie erhob sich und holte ihr Telefon aus der Küche. Sie kam zurück, gab ihre Nummer ein und starrte mit leerem Blick über die Köpfe der anderen hinweg hinaus in den kalten Garten.

      »Papa«, sagte sie, während ein kleiner trauriger Ton sich durch ihren Hals nach oben presste. Sie wandte sich halbwegs ab. »Kannst du kommen, Mama ist verschwunden und hier sind zwei Leute von der Polizei. Sie sagen, dass sie tot ist.«

      Cato Isaksen erhob sich und nahm ihr das Telefon ab. Er erklärte dem geschockten Vater mit ruhiger Stimme die Lage, aber der wollte ihm nicht glauben. Cato Isaksen betonte, die Tote sei noch nicht identifiziert, es handele sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach um Siv Ellen Blad.

      Die Ermittler wollten Maiken Blad mit zur Wache