Wyatt hatte sich die Beschreibung immer wieder durch den Kopf gehen lassen und war schließlich ganz sicher, daß er keinen Mann kannte, der so aussah.
Sie führten die Pferde langsam zur Mainstreet hinauf.
Oben an der Ecke war ein großer Mietstall. Als sie die Tiere durchs Tor führten, kam ein Mann heraus. Er war mittelgroß, untersetzt, hatte einen massigen blauroten Schädel und gewaltige Arme, an denen zwei regelrechte Tatzen hingen. Handschaufeln von einem Ausmaß, wie sie die beiden Dodger nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatten.
Der Mann war schon vorbei, machte noch zwei Schritte und blieb plötzlich stehen.
Wyatt hatte das Aussetzen der Schritte sofort bemerkt, blieb stehen und sah sich um.
Vier Yard vor ihm stand der bullige Mensch und fixierte ihn scharf.
»He, sind Sie Lewis Nordland?« rief er dem Marshal zu.
Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein.«
Trotzdem blieb der Mann stehen und sah ihn an.
Wyatt führte weiter sein Pferd in den Mietstall hinter dem Spieler her.
Als er den Sattel abschnallte, warf er noch einen Blick auf die Straße und sah eben noch, wie der Mann um die Torecke blickte.
Von jetzt an tat der Missourier, als habe er keinerlei Argwohn geschöpft und den Mann nicht bemerkt.
Als sie die Pferde zum Stalltor führten, meinte der Spieler:
»Er ist noch immer da.«
»Ich weiß.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nein.«
»Der Bursche gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht. Aber das will ja nichts besagen.«
»Nein, aber der Kerl gefällt mir ganz besonders schlecht«, beharrte der Spieler. »Mir scheint, daß Ihr Auftauchen ihn irgendwie erschreckt hat.«
»Richtig, den Eindruck habe ich auch.«
Sie gaben die Pferde ab und verließen den Mietstall.
Kaum waren sie auf dem Vorbau der Mainstreet angelangt, als Holliday sagte:
»Ein Mann aus der ersten Schenke folgt uns.«
»Ein Cowboy?«
Holliday nickte.
Wyatt lehnte sich an einem Vorbaupfeiler und zündete sich eine Zigarette an.
»Habe ich bemerkt. Gehen Sie weiter.«
Der Spieler schritt weiter über die Stepwalks, und Wyatt blieb bei dem Vorbaubalken.
Der Mann in der Cowboytracht kam heran und blieb stehen.
Da wandte sich der Missourier um.
»Suchen Sie mich, Amigo?«
»Sie? Nein.«
»Das ist gut.« Wyatt wandte sich wieder um.
Der Cowboy ging weiter.
Hinten überquerte Doc Holliday die Straße.
Jetzt folgte Wyatt ihm unauffällig.
Holliday verschwand gerade zwischen den Pendeltüren einer großen Schenke.
Der Cowboy folgte ihm, blieb dann aber stehen.
Wyatt beobachtete, wie der Mann sich sichernd nach allen Seiten umsah.
Dann ging er langsam auf die Schenke zu, schob erst einen der hölzernen Schwingarme der Tür zur Seite und dann den anderen. Dann verschwand auch er in dem Saloon.
*
Doc Holliday hatte sich sofort, als er die Schenke betreten hatte, links an einen Tisch gesetzt.
Der Cowboy ging prompt an ihm vorbei.
Da tat der Gambler etwas, was er sonst nie tat. Er stand auf und verließ die Schenke.
Als der Cowboy schließlich auch herauskam, um sich nach dem Mann, dem er gefolgt war, umzusehen, sah er zunächst niemanden, dann aber, als er sich umsah, entdeckte er die beiden Männer neben der Tür.
Sie lächelten ihn an.
Der Cowboy stieß einen Fluch aus.
Da war Holliday auch schon bei ihm.
»Was hast du auf dem Herzen, Boy?«
»Ich?«
»Ja. Ich spreche mit dir, wenn ich mich nicht irre. Und ich rate dir, das nicht zu vergessen.«
Der Mann war noch ziemlich jung, hatte grünliche Augen und da, wo andere Männer einen Bart trugen, einen dünnen weichen Flaum auf der Oberlippe. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Jungengesicht.
»Es ist verrückt, Mister, und jetzt ist es mir auch wirklich peinlich, daß ich Ihnen gefolgt bin. Aber einer der Männer unten in der Schenke sagte, Sie wären Doc Holliday.«
Der Spieler sah sich nach dem Marshal um.
»So? Sagte er das?« Wyatt Earp kam heran. »Wer war der Mann?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Junge, sei vorsichtig«, mahnte ihn der Marshal.
Der Cowboy wurde einen Ton bleicher im Gesicht.
»Ich kenne ihn wirklich nicht, Mister. Aber jetzt, da ich Ihr Gesicht ansehe, bilde ich mir ein, daß ich Sie schon einmal gesehen habe.«
»Das kann schon sein. Ich komme viel herum. – Sag mir, wie der Mann aussah.«
»Er war groß, kräftig…«
»Wie alt?«
»Fünfzig vielleicht.«
Holliday fragte: »War es der Mann, der neben dir an der Theke stand?«
»Ja. Seiner ledernen Jacke nach könnte er ein Felljäger sein.«
»Und weshalb bist du mir gefolgt?« fragte Holliday.
Eine purpurne Röte übergoß das Gesicht des Burschen.
»Well…, eh…, mein Name ist Jefferson, Cliff Jefferson. Ich arbeite auf der Ranch meines Vaters, acht Meilen vor der Stadt…«
»Ich habe dich nicht gefragt, wo du arbeitest, Cowboy, sondern weshalb du mir gefolgt bist.«
»Weil der Mann sagte, das war Doc Holliday, der eben hier stand. Die anderen Männer an der Theke lachten ihn aus. Da schlug er mit der Faust auf das Tropfblech, daß die Gläser tanzten, und meinte: ›Ich wette zwanzig Dollar, daß es Doc Holliday war.‹ Dann fing eine Riesenstreiterei an, und möglicherweise zanken
sie sich noch herum. Ich bin gegangen.«
»Hinter mir her.«
Der Cowboy nahm seinen Hut ab und drehte ihn unsicher wie ein Junge in den Händen, um schließlich stockend hervorzubringen: »Sind Sie Doc Holliday?«
Der Spieler nickte. »Noch was?«
»Nein, Sir. Es ist nur… Ich habe schon so viel von Ihnen gehört, und da dachte ich mir, daß ich Sie unbedingt sehen müßte, wenn Sie wirklich hier sind.«
»All right«, versetzte Holliday kühl, »das ist ja nun geschehen. So long, Cowboy.«
»So long, Doc!«
Wyatt Earp blieb noch neben dem Cowboy stehen.
»Du wirst das für dich behalten, Boy.«
»Was?«
»Daß Doc Holliday in der Stadt ist.«
»Aber selbstverständlich, Mister –?«
»Earp«,