Abbot ließ den Kopf hängen.
»Well, ich bin ein Bandit… aber ich habe die Frau nicht niedergeschossen! Marshal!« wandte er sich an den Missourier. »Ich kann mir nicht denken, daß Sie einen Mann wegen eines Mordes richten lassen wollen, den er gar nicht begangen hat.«
»Richten lassen?«
»Soll der Doc mich denn nicht niederschießen? Sie haben mich doch hier an die Fenz geschickt…«, stammelte der Mann bebend.
»Der Doc – ich schätze, daß ihm eine Kugel zu schade ist für so einen Halunken. Und aus meiner Nähe habe ich dich nur geschickt, weil du stinkst!«
»Ich habe eines seiner Hemden an!« rief Abbot zitternd. »Auch dafür ist er bezahlt worden. Er hat einen meiner beiden Revolver dafür bekommen, für ein lächerliches schäbiges altes Kattunhemd, dieser Strolch.«
»Und nun denkst du, wenn du den zweiten Revolver noch gehabt hättest«, schleuderte ihm Holliday entgegen, »stündest du jetzt nicht hier?«
»Ja! Nämlich, als Sie mir den Colt aus der Hand schossen, war ich ja waffenlos.«
Holliday trat von der Tür weg in den Hof, bis auf fünf Yards an den Banditen heran, hatte plötzlich einen seiner Colts aus dem Halfter gezogen und warf ihn dem Tramp zu.
»Er ist geladen, Abbot! Sechs Schuß. Sieh nach!«
Holliday hatte den anderen Revolver nicht etwa in der Hand.
Ruhig und furchtlos stand er da.
Abbot hatte den Revolver aufgefangen, ließ die Trommel routieren – und sah plötzlich auf.
Zu seinem Schrecken entdeckte er in der linken Faust des Missouriers einen großen sechseckigen Buntline-Revolver, dessen Mündung genau auf seine Brust zeigte.
»Steck den Colt ins Halfter, Abbot!« mahnte ihn der Marshal.
Der Verbrecher schob den Colt mit verbissenem Gesicht in den Lederschuh. Dann sah er auf.
Holliday war einige Schritte zurückgegangen.
Genau acht Yard lagen zwischen den beiden Männern.
Abbot durchmaß die Distanz mit den Augen, und plötzlich sah er in die eisblauen diamantharten Augen des Georgiers.
Ein kalter Schauer rann über seinen Rücken.
Damned! Da drüben stand Doc Holliday.
Der Mann, von dem es hieß, daß er der schnellste Schütze des Westens wäre. Der viele große Gunmen geschlagen hatte und den aus den Stiefeln zu schießen noch keiner geschafft hatte!
War er, Roy Abbot, denn irrsinnig geworden? Wie konnte er sich eine echte Chance gegen diesen Mann ausrechnen? War er doch tatsächlich nur ein einigermaßen guter Schütze.
Und der Mann da drüben hatte eine tödlich sichere Hand!
Aber ging es nicht um sein Leben?
War es nicht so oder so verwirkt?
Wenn der Marshal ihm diese Chance einräumte, dann war es eine – gegen den Galgen, der keine bot.
Trotzdem stieß Abbot durch die Zähne: »Sie werden mich hängen lassen, Marshal!«
»Der Mörder Jenny Blacks wird hängen!« sagte Wyatt ausweichend.
»Ich bin nicht ihr Mörder!«
»Wer ist es denn?«
»Ich habe doch gesagt, es ist Duncer!«
»Wo ist Duncer?«
»Ich weiß es nicht. Ich vermute aber, daß er nach Norden geritten ist, nach Colorado. Da kamen wir auch her…«
»Und da werdet ihr auch gesucht. Du wirst mir nicht erzählen wollen, daß ausgerechnet ein so gerissener Bursche wie Oregon Jack wieder dahin zurückreiten wird, woher er gekommen ist.«
»Ich weiß es nicht.«
»Er lügt«, sagte Holliday rauh.
Abbot hätte gern den Colt gezogen. Aber zu groß waren die Angst und der Respekt vor dem Georgier.
In einer Minute, ach, in einer halben Minute, in wenigen Sekunden würde er das tödliche Blei aus dem anderen Colt des Spielers in der Brust haben. Ohne den Revolver selbst auch nur halbhoch gebracht zu haben.
Was für ein unheimlicher Schütze war Morgen Earp gewesen. Er hatte selbst gesagt, daß Doc Holliday erheblich schneller wäre.
Wenn ein Mensch zu wählen hat, ob er in einer halben Minute sterben soll oder erst in einigen Tagen, dann wird er die halbe Minute ausschlagen.
Auch Roy Abbot schlug sie aus.
Sein Kopf sank plötzlich auf seine Brust, und dann glitt der Revolver aus seiner Hand und fiel auf den Boden.
»He, wie geht dieser Trampel mit meinem Revolver um?«
Doc Holliday kam auf ihn zu und hob die Waffe auf, wischte sie ab und schob sie ins Halfter zurück.
»Also an den Galgen«, sagte er schroff.
Prestly hatte die Szene mit jagenden Pulsen verfolgt. Er war tatsächlich einfältig genug gewesen, noch eine Hoffnung auf Abbot zu setzen. Vielleicht gelang es Roy ja, Doc Holliday zu erwischen.
Aber jetzt, da er sich kampflos geschlagen gab, sprang Presly vor und brüllte ihn an.
»Feiger Kerl! Elendes Großmaul! Jetzt hast du dir den Strick selbst verdient. Jawohl, verdient hast du ihn…«
»Ruhe!« donnerte ihn der Marshal an. Als er aber weiter fluchte, packte Wyatt ihn am Arm und schleuderte ihn zurück.
»Ruhe habe ich gesagt, Prestly.«
Der Franzose keuchte: »Ich war nicht dabei! Aber er wollte mich hineinreißen, dieser Skunk!«
»Ich hatte nicht den Eindruck, daß er dich hineinreißen wollte, Prestly. Aber er hatte seine Chance. Und hat auf sie verzichtet. Du sollst das gleiche Recht haben. Ich gebe auch dir eine Chance.«
Wyatt hielt ihm seinen Revolver hin, den er im rechten Halfter trug.
Prestly starrte sekundenlang auf die schwere Waffe und schüttelte dann den Kopf.
»Nein…, ich… ich bin kein so guter Schütze, als daß ich mir eine Chance gegen Sie ausrechnen könnte.«
»Ah, und ihn nanntest du einen Feigling. Ich stelle fest, daß auch du ein Großmaul bist, Prestly.«
Abbot rührte sich nicht mehr.
Wyatt fesselte ihm die Hände auf den Rücken, und dann wurde auch Prestly gefesselt.
Holliday holte die Pferde aus dem Stall.
Dann verließen sie den Hof.
Mrs. Sanders bekam den Mund vor Verwunderung nicht zu.
Was hatte das zu bedeuten? Prestly und sein Bekannter wurden gefesselt abgeführt… von den beiden Fremden.
Ein alter Mann mit eisgrauem Bart humpelte am Straßenrand entlang und flüsterte seinem kleinen Enkel zu, auf den er seinen rechten Arm gestützt hatte:
»Da, Jimmy, sieh dir den Mann an, der da auf dem Falben sitzt. Sieh ihn dir genau an. Weißt du, wer das ist?«
»Ein Richter?« riet der Junge.
»Nein, Jimmy. Es ist Wyatt Earp.«
»Wyatt Earp? Nein!«
»Doch. Ich habe dir doch erzählt, daß ich ihn oben in Dakota gesehen habe, in den Black Hills…«
Mit runden Kinderaugen blickte der Junge dem hochgewachsenen Reiter nach.
»Dann muß doch der Mann auf dem Rappen