Der Leiter des MI5 wollte Bond allerdings nicht so leicht davonkommen lassen. Ob der Commander sonst noch etwas über Codename Foxtrott – Franco wisse?
Bond nickte erneut. »Natürlich. Er ist ein internationaler Terrorist. Er steht auf der Fahndungsliste der meisten europäischen Länder und auch auf denen einiger Länder im Nahen Osten. Ein Gesuch verlangt, dass er in den Vereinigten Staaten festgehalten wird, obwohl er unseres Wissens bisher nie in oder aus ihnen operiert hat. Sein vollständiger Name lautet Franco Oliveiro Quesocriado, er wurde 1948 in Madrid geboren und ist gemischter Abstammung – sein Vater war Spanier, seine Mutter Engländerin. Ich glaube, sie hatte einen ganz gewöhnlichen Namen, wie Jones, Smith oder Evans …«
»Tatsächlich lautete ihr Name Leonard«, sagte der stellvertretende Deputy Commissioner Ross ruhig. »Mary Leonard.«
»Tut mir leid.« Bond schenkte ihm ein Lächeln, und der Polizist erwiderte es. Er wirkte wie ein moderner Gesetzeshüter, fand Bond. Zweifellos einer von denen mit Universitätsabschluss – ruhig, mit einer tief in den Augen verborgenen Wachsamkeit und der Ausstrahlung einer gespannten Sprungfeder, die nur durch Vorsicht und Gelassenheit zurückgehalten wurde. Bond vermutete umgehend, dass er sich als sehr zäh und gefährlich herausstellen würde, wenn man ihn reizte.
Er wandte sich wieder an Sir Richard Duggan und fragte ihn, ob er fortfahren solle.
»Natürlich.« Richard Duggan war von einem ganz anderen Schlag, und Bond erkannte seine Herkunft sofort – das war schließlich Teil seiner Arbeit. Duggan war ein altmodischer Mitarbeiter des Innenministeriums. Seine Ausbildung hatte er in Eton und Oxford erhalten, dann folgte eine Karriere in der Politik, die nur von kurzer Dauer war, bis ihn schließlich das Innenministerium wegschnappte. Duggan war groß, schlank und gut aussehend, hatte dichtes helles Haar, von dem seine Feinde behaupteten, dass es gefärbt war, und erfüllte damit auch optisch alle Erwartungen, die man an einen jungen, reichen Befehlshaber in einer leitenden Position stellte. Bond wusste allerdings, dass diese Jungendlichkeit eine Illusion war und sich nur auf eine dem Glück geschuldete gute Gesichtsknochenstruktur zurückführen ließ.
Während der Leiter des MI5 sein »Natürlich« künstlich in die Länge zog, fing Bonds Blick kurz den von M auf, und er entdeckte darin einen winzigen Funken aufkeimender Belustigung. Sir Richard zählte nicht zu Ms Lieblingspersonen.
Bond zuckte mit den Schultern. »Franco«, fuhr er fort, »erregte unsere Aufmerksamkeit damals zum ersten Mal in Verbindung mit der Entführung zweier britischer Passagierflugzeuge – die Fluglinie hieß damals noch BOAC – in den späten 1960ern. Er scheint keine direkten politischen Zugehörigkeiten zu haben, und hat als Planer agiert, der manchmal an terroristischen Handlungen teilnimmt. In dieser Funktion war er für Gruppierungen wie den ehemaligen Baader-Meinhof-Komplex tätig und steht immer noch mit der sogenannten Roten Armee Fraktion in Verbindung. Er hat Kontakte zur PLO und zur IRA und einem ganzen Netzwerk aus Terroristengruppen.« Bond holte sein Zigarettenetui hervor, schaute zu M, um sich die Erlaubnis zum Rauchen einzuholen, und erhielt ein knappes Nicken.
»Man könnte ihn wohl am besten als Antikapitalisten beschreiben.« Bond zündete seine Zigarette an und ließ ein schnelles kleines Lächeln aufblitzen. »Das Paradoxe daran war immer, dass er für einen Antikapitalisten enorm wohlhabend zu sein scheint. Es gibt Beweise, dass er die Waffen, die bei zahlreichen terroristischen Handlungen zum Einsatz kamen, persönlich bezahlt und zur Verfügung gestellt hat. Er hat zweifellos Morde begangen und steht mit zwei politischen Entführungen in Verbindung – ganz zu schweigen von den Menschen, die bei von ihm geplanten Bombenattentaten ums Leben kamen. Er ist ein sehr gefährlicher und dringend gesuchter Mann, Sir Richard.«
Sowohl Duggan als auch Ross nickten zustimmend, und Ross murmelte etwas darüber, dass Bond sich bestens auskannte. Duggan tat seine Meinung etwas lauter kund und sagte, dass Bond diesen Mann ruhig noch ein wenig besser kennenlernen könne. Dann griff er wieder in seine Aktentasche und zog fünf weitere Mattfotografien heraus, die er in einer Reihe auf Ms Schreibtisch direkt vor Bond legte. Auf jedem Foto klebte in der unteren rechten Ecke ein kleiner Zettel, auf dem ein Datum stand.
Bond schaute zuerst auf die Daten, bevor er sich die Fotos ansah. Das aktuellste stammte vom heutigen Tag. Die anderen vier waren mit 4. und 23. April sowie 12. und 25. Mai datiert. Die Bilder waren offensichtlich Vergrößerungen von einer Videoaufzeichnung, und er betrachtete sie alle mit größter Sorgfalt. Der darauf abgebildete Mann war auf jedem Foto anders gekleidet und sah auch sonst immer anders aus – dicklich in Jeans und Jeansjacke mit langem Haar und einem Schnurrbart; glatt rasiert, aber mit schulterlangem blondem Haar und einer dunklen Brille in einem zerknautschten Rollkragenpullover und einer Freizeithose; grauhaarig und hager in einem grellen Karoanzug, mit Kameras behangen und einem fest umklammerten amerikanischen Pass, sodass es schien, als würde er erwarten, ihn jeden Moment aus der Hand gerissen zu bekommen; dann wieder glatt rasiert, aber mit dunklem, modisch geschnittenem Haar in einer eleganten dunklen Hose und einer teuren Windjacke mit Pelzkragen.
Das Foto von heute zeigte ihn mit kurz geschorenem Haar, einem ordentlichen Bart und einer Brille. Er trug einen Geschäftsanzug.
Die Tarnungen waren alle ausgezeichnet, und doch bestand für Bond kein Zweifel. »Franco«, sagte er laut, als wäre es ein Befehl.
»Natürlich.« Duggan klang ein wenig gönnerhaft und wies als Nächstes darauf hin, dass alle Fotos am Flughafen Heathrow entstanden seien.
»Fünf Mal in den vergangenen drei Monaten, und er wurde nie einkassiert?« Bond runzelte die Stirn.
Der stellvertretende Deputy Commissioner David Ross holte tief Luft und übernahm die Erläuterung. Bei einer Besprechung früher in diesem Jahr sei entschieden worden, dass gewisse »meistgesuchte« Terroristen wie Franco unter strenger Beobachtung gehalten werden sollten, falls sie scheinbar allein ins Land einreisten. »Große Fische, kleine Fische«, sagte er und grinste, als würde das alles erklären. »Als die Überwachungsteams in Heathrow ihn im April entdeckten – das erste Mal –, gab es natürlich einen Großalarm.«
»Natürlich.« Bond ahmte Sir Richard Duggans gedehnte Sprechweise recht gut nach. M beschäftigte sich damit, seine Pfeife zu stopfen, drückte den Tabak behutsam in den Pfeifenkopf und hielt den Blick wohlweislich gesenkt.
Ross wirkte ein wenig beschämt. »Ich fürchte, wir haben ihn beim ersten Mal aus den Augen verloren. Wir waren nicht auf ihn vorbereitet. Er ist uns in London entwischt.«
In Bonds Erinnerung regte sich etwas. Anfang April war das Polizeiaufgebot erhöht worden, und er erinnerte sich an die eingehenden Telegramme mit den Anweisungen, besonders wachsam zu sein. Alle sollten verstärkt auf verdächtige Päckchen und Briefe achten, die Sicherheitsmaßnahmen in der Botschaft wurden verschärft – die übliche Vorgehensweise bei einem Roten Terroralarm, wie die Polizei und Sicherheitsdienste es nannten.
Ross redete weiter: »Wir haben alle seine möglichen Kontakte überprüft und gewartet. Niemand hat gesehen, wie er das Land verließ.«
»Aber natürlich tat er das«, warf Duggan ein.
Ross nickte. »Wie Sie hier alle sehen können, kehrte er später im April noch einmal zurück und kam wieder in Heathrow an. Dieses Mal fanden wir heraus, dass er London direkt wieder verließ und sich mit ziemlicher Sicherheit Richtung Norden bewegte.«
»Sie haben ihn wieder verloren«, stellte Bond fest. Ross nickte ruckartig, bevor er hinzufügte, dass sie beim ersten Besuch im Mai mehr Glück gehabt hätten.
»Wir folgten ihm bis nach Glasgow. Dann schüttelte er uns ab. Doch auf seiner letzten Reise behielten wir ihn die ganze Zeit über im Auge. Er kam schließlich in einem Dorf namens Murcaldy an, das sich von Applecross aus ein Stück weiter ins Landesinnere am Fuß der nordwestlichen Highlands befindet.«
»Und wir glauben zu wissen, wer ihn dorthin eingeladen hat«, verkündete Duggan lächelnd. »Genau wie