Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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Professoren hatten von Heinrichs Worten nichts verstehen können, aber als sie sahen, daß sich allmählich eine ganze Anzahl Schüler neugierig um die Beiden sammelte und daß Heinrich seinen Geldbeutel hervorzog, machten sie der Sache ein Ende; Professor Kuhn rief seinen Neffen herauf, gerade in dem Augenblick, als das kleine Dienstmädchen durch den Torweg verschwand.

      Als Heinrich in fröhlicher Stimmung, dem Ruf seines Onkels folgend, die Treppe hinaufsprang, war er nicht wenig bestürzt, den ganzen Gang voll Professoren zu sehen, ja sogar den Rektor neben seinem Onkel und dem Klassenlehrer. Ihm ahnte nichts Gutes und sein Herz klopfte angesichts so vieler gestrenger Herren. Es begann auch sogleich ein peinliches Verhör. Der Rektor fragte zuerst: »Was hast du mit dem Mädchen im Hof gesprochen?«

      Einen Augenblick zauderte Heinrich. So gewissenhaft wie sein älterer Bruder war er von Natur nicht und nicht immer hatte er bei seinen Streichen der Versuchung widerstanden, sich ein wenig herauszuschwindeln. Diesmal aber, in dem Gefühl, daß er in bester Absicht gehandelt hatte und auch unter dem Eindruck der Würdenträger, die vor ihm standen, hielt er mit der Wahrheit nicht zurück, sondern sagte gerade heraus: »Ich habe das Mädchen gedungen für Fräulein Stahlhammer, bei der meine kleine Schwester ist.«

      »So war von dir diese Anzeige verfaßt?« fragte der Rektor.

      »Ja,« sagte Heinrich, »die ist von mir.«

      »Wer hat davon gewußt?«

      »Wem hast du es vorher mitgeteilt?«

      »Gar niemand.«

      »Heinrich!« sagte der Onkel vorwurfsvoll, »weder der Tante noch Konrad?«

      »Niemand,« sagte Heinrich, »sie wären doch alle dagegen gewesen.«

      »Damit gibst du zu,« sagte langsam und nachdrücklich Heinrichs Klassenlehrer, »daß du dir wohl einer unrechten oder törichten Handlung bewußt warst.«

      »Für unrecht habe ich’s nicht gehalten,« sagte Heinrich, »aber für anders als man’s gewöhnlich macht, und das wollen sie immer nicht.«

      »Sie wollen es nicht? Wer ›sie‹?« fragte der Klassenlehrer scharf. »Wen meinst du mit diesem geringschätzigen ›sie‹?«

      »Bloß die Menschen,« sagte Heinrich.

      »Ich verstehe den Zusammenhang nicht,« sagte der Rektor, sich an Professor Kuhn wendend, »was kann ihn veranlaßt haben, für andere Leute ein Mädchen zu dingen? War er beauftragt?«

      »Nein, es geschah offenbar aus Mitleid. Seine kleine Schwester wird in ihrem Kosthaus von dem Dienstmädchen allem Anschein nach nicht gut behandelt und beeinflußt; darüber waren die Brüder – und ich allerdings mit ihnen – sehr betrübt. Meine Frau und ich konnten uns aber der Verhältnisse wegen nicht einmischen, und so scheint er auf diesen Ausweg verfallen zu sein.«

      »Nun,« fragte der Rektor, »und was hast du denn ausgerichtet? es sind wie mir scheint mehrere gekommen.«

      »Ja, zwei waren nichts, aber die dritte ist fein, sie hat mir versprochen, daß sie nach Waldeck fährt.«

      »Man darf vielleicht,« sagte der Onkel, sich an den Rektor und den Klassenlehrer wendend, »die Anhänglichkeit der drei erst kürzlich verwaisten Geschwister als Entschuldigung für Heinrich ansehen. Er hat es gut gemeint mit seiner Schwester.«

      »Wenn Sie es so auffassen,« sagte der Rektor, »so schließe ich mich Ihnen an, Sie kennen die Verhältnisse. Ich sehe keine strafbare Handlung in dem Vorgefallenen; du kannst gehen, Heinrich.« Dieser ließ sich’s nicht zweimal sagen; wie ein Wiesel schlüpfte er zwischen den Herren hindurch, möglichst schnell, denn wer konnte wissen, ob die Sache nicht eine andere Wendung nehme; seinem Klassenlehrer traute er nichts Gutes zu, er sah ihn so ungnädig an. In der Tat sagte dieser auch etwas mißbilligend zum Rektor: »Er ist gut durchgekommen für diese unziemliche Handlung, fast zu gut.«

      »Ja,« sagte der Rektor, »schicken Sie ihn nach Schluß der Schule noch einmal allein in mein Zimmer.«

      Diese Worte waren sehr nach dem Sinn des gestrengen Lehrers; Heinrich aber war bestürzt, als er durch den Lehrer erfuhr, daß noch etwas nachkommen sollte. Er fand sich nach dem Schluß der Schule im Zimmer des Rektors ein. (Auf dem Tisch lagen die Hefte der IX. Klasse aus dem Jahrgang 88.) »Du bist heute ohne Strafe durchgekommen,« sagte der Rektor, »das verdankst du der Fürsprache deines Onkels. Mit väterlicher Treue ist er für dich eingetreten. Einen andern Mann an seiner Stelle hätte es gekränkt, daß du ohne sein Wissen solche Dinge unternimmst. Er hat bewiesen, daß er dich lieb hat. Hast du auch ihn lieb?«

      »Ja,« sagte Heinrich, und das kam von Herzen.

      »Dann beweise auch du es. Wie, das muß dir dein Herz sagen.«

      »Ich will’s tun,« sagte Heinrich.

      »Und noch etwas: du hast dich darüber beschwert, daß die Menschen nie etwas anders machen wollen, als man es gewöhnlich macht, und das war der Grund, warum du deine Absicht, ein Mädchen zu dingen, nicht vorher verraten hast, nicht wahr?«

      »Ja,« sagte Heinrich, »es heißt immer: das kann man nicht, oder: so macht’s niemand.«

      »Da hast du recht. Viele Menschen getrauen sich ihr ganzes Leben hindurch nicht, nach eigenen Gedanken zu handeln. Bei ihnen heißt es: so machen’s alle Leute.« »Ja, ja,« sagte Heinrich von Herzen zustimmend.

      »Es soll mich freuen, wenn du einmal nicht zu denen gehörst, sondern wenn du später als Mann sagst: Ich tue, was gut und verständig ist, ob’s nun andere auch so machen oder nicht. Aber wohlverstanden: erst als Mann. So lange du noch jung und unselbständig bist, darfst du dir nicht herausnehmen, nach eigenem Gutdünken zu handeln; kannst auch überzeugt sein, daß es meistens nicht gut ausfallen würde. Also für die nächsten Jahre: Vertraue alles deinem Onkel an, und was du ihm nicht sagen magst, das unternimm auch nicht. Und jetzt gehe und tue was recht ist.«

      Heinrich kam später als sein Onkel von der Schule heim. Inzwischen hatte dieser noch über die Sache nachgedacht und war ärgerlich über den Jungen. Wer konnte wissen, was der alles anstellen würde, nachdem er einmal angefangen hatte, hinter seiner Pflegeeltern Rücken solche Dinge zu unternehmen! Und wie sollte diese Sache ausgehen! Fräulein Stahlhammer ließ sich kein Mädchen aufdrängen, am wenigsten, wenn es von dieser Seite kam; Mine würde auch nicht gehen, und bei der ganzen Sache nichts herauskommen als Verstimmung. Der Professor saß eben vor seinem Schreibtisch, in dem er seine Hefte verwahrte, ehe er zu Tisch ging. Die Jugend versammelte sich schon im Eßzimmer, da ging die Türe auf und Heinrich sah herein. Er gehörte nicht zu denen, die ihre Empfindungen schwer über die Lippen bringen. Lebhaft ging er zu seinem Onkel und dessen Hand fassend sagte er: »Das war so fein von dir, Onkel, daß du mir geholfen hast. Mein Professor hätte mich ja am liebsten in den Karzer gesteckt, wenn du mir nicht zu Hilfe gekommen wärst, ich danke dir recht schön dafür! Sogar der Herr Rektor hat etwas von deiner väterlichen Fürsorge gesagt, es war etwas sehr Schönes.«

      Den Onkel freute Heinrichs Dankbarkeit, er sah schon wieder ganz freundlich auf seinen Neffen. »Die Hauptsache ist,« sagte er, »daß du nicht noch einmal so etwas tust.«

      »Nein, in den nächsten Jahren nicht mehr, das habe ich schon mit dem Herrn Rektor ausgemacht. Aber dann! Gehen wir jetzt zum Essen, Onkel? Ich habe in der Pause nichts essen können, bin furchtbar hungrig.«

      »So komm,« sagte der Onkel und sie gingen unwillkürlich Hand in Hand – es war wohl der Rektor, der diese Hände ineinandergelegt hatte.

      VIII.

      Am nächsten Sonntag, als Mine eben in ihrer Küche abspülte, klingelte es und ein Mädchen meldete sich. Sie sei aus der Stadt hierhergeschickt worden, weil man hier ein Dienstmädchen suche. Mine traute kaum ihren Ohren. »Das ist aber unerhört,« rief sie, »ich habe ja noch gar nicht gekündigt und mein Fräulein weiß von nichts. Wer hat Sie denn geschickt? Gewiß Frau Professor Kuhn?«

      »Nein,