Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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doch die Tante ganz anders, die erinnert mich so an die Mutter!«

      »Ja, bei ihr wäre gewiß auch Klärchen am liebsten.«

      »Also, wenn über uns beschlossen wird, sagen wir: Am liebsten bleiben wir, wo wir sind, und wenn das nicht geht, möchten wir zu Onkel und Tante Kuhn hinaus in die Vorstadt; jedenfalls aber wollen wir drei beisammen bleiben.«

      »Ja,« sagte Heinrich, »und das müssen sie uns erlauben.«

      Es schlug zwölf Uhr.

      »So spät schon,« sagte Konrad.

      »Ich gehe,« sagte Heinrich; mit einem Satz war er wieder in seinem Bereich und nach kurzer Zeit wurde es still im Schlafzimmer, beide Brüder schliefen.

      Während die Brüder im Schlafzimmer Beratung hielten, wurde ohne daß sie es wußten, in ihres verstorbenen Vaters Zimmer schon über ihr Schicksal entschieden. Drei Personen saßen da zur Beratung beisammen: der Vormund, Rat Stahlhammer; seine Schwester, Fräulein Stahlhammer, und Frau Professor Kuhn, die Schwester der eben verstorbenen Mutter. Diese hatte sich, auch im Namen ihres Mannes, bereit erklärt, die beiden Knaben zu sich zu nehmen und mit ihren eigenen Kindern und Kostgängern zu erziehen. Gerne hätte sie auch die kleine Schwester dazu genommen, doch war es neben der großen Knabenschar nicht möglich.

      Der Vormund hatte mit verbindlichem Dank das Anerbieten für die zwei Knaben angenommen und die Überzeugung ausgesprochen, daß seine Schwester, Fräulein Stahlhammer, die in dem nahen Städtchen Waldeck ein Häuschen besaß und die Patin der Kleinen war, diese mit Vergnügen aufnehmen würde. Aber Fräulein Stahlhammer, eine große, stattliche Gestalt von ernstem Aussehen, erklärte zu des Bruders Erstaunen, daß sie seinen Wunsch nicht erfüllen könne. Das kam dem Vormund sehr unbequem. »Ich kann nicht begreifen,« sprach er zu seiner Schwester, »warum du dich weigerst, dein Patenkind zu dir zu nehmen. Du lebst ganz allein mit deinem Dienstmädchen, du kannst frei über deine Zeit verfügen, du hast Platz im Hause; Ausgaben würde das Kind dir nicht machen, denn seine Eltern haben ja genug hinterlassen ...«

      »Ach wegen des Geldes wäre es mir ja nicht,« antwortete Fräulein Stahlhammer.

      »Weswegen willst du das Kind dann nicht zu dir nehmen?« sagte Herr Stahlhammer etwas ungeduldig. »Jedermann kann es von dir erwarten.«

      »Es ist ein herzig liebes Ding,« warf die Tante dazwischen.

      »Bei allen möglichen Vereinen und wohltätigen Anstalten bist du, da tust du Gutes, und hier, wo du die Nächste dazu wärst, willst du nicht. Was ist der Grund?«

      »Bruder, du weißt es doch. Ich habe schon einmal eine traurige Erfahrung gemacht mit zwei Waisenkindern, die ich bei mir hatte; ich habe genug darunter gelitten und will nicht noch einmal solch bittere Enttäuschung erleben.«

      »Das ist nun viele Jahre her, inzwischen bist du erfahrener geworden und wirst die Sache geschickter anstellen als damals,« sagte der Rat. Aber seine Schwester wollte nicht nachgeben. »Nicht jedermann versteht es mit Kindern,« sagte sie, »ich habe sie lieb, aber sie schließen sich nicht an mich an.«

      »Unsinn, darauf kommt’s nicht an; du hattest damals solch törichte Gedanken, daß du vor allem ihre Liebe gewinnen wolltest und dergleichen. Hättest du sie mit gehöriger Strenge von Anfang an behandelt, so wären sie nicht so nichtsnutzig geworden. Übrigens werde ich als Vormund meine Pflicht nicht versäumen. Ich werde so oft als möglich zu dir hinausfahren, nachsehen und der kleinen Person den Kopf zurechtsetzen, und es wäre doch lächerlich, wenn wir zwei Leute, die größten weit und breit, mit dem kleinen Ding nicht zurecht kämen. Und sage selbst, wer soll denn das Kind nehmen? Du kannst es doch mir, dem einsamen Junggesellen, nicht zumuten?«

      Eine lange Pause entstand. Fräulein Stahlhammer schien wankend zu werden. »Wenn du sie mir auf Probe geben willst,« sagte sie endlich, »dann will ich mich dazu verstehen, sie auf ein halbes Jahr zu mir zu nehmen, für mehr verpflichte ich mich nicht.«

      »Freilich, freilich, wenn du sie nur zunächst einmal nimmst, dann kann man ja später weiter sehen,« rief Herr Stahlhammer sichtlich erleichtert. Noch hatte er einen kleinen Kampf zu bestehen, denn die Schwester erklärte, daß sie am nächsten Morgen mit dem ersten Zug heimreisen müsse; nach einigen Tagen wollte sie wiederkommen, um das Kind abzuholen. Diesem Vorschlag stimmte auch die Tante der Kinder bei, aber der Vormund war der Meinung, daß das Kind gleich am nächsten Tag zu seiner Patin reisen sollte.

      Schließlich fügte sich die Schwester auch in diesem Punkt und so wurde beschlossen, daß der Vormund am nächsten Morgen das Kind abholen und es ihr an die Bahn bringen sollte. Er gab selbst noch dem Dienstmädchen die nötigen Aufträge und dann verließen alle drei das Trauerhaus.

      Herr Stahlhammer und seine Schwester, die heute sein Gast war, verabschiedeten sich von Frau Professor Kuhn. Diese sah den großen Gestalten, die sich ernst und schweigend miteinander entfernten, nach, und leise sprach sie vor sich hin: »Armes Klärchen, könnte ich dich doch bei uns aufnehmen!«

      Der Vormund war sehr befriedigt von den Besprechungen des Abends, die Sorge für seine drei Mündel war ihm nun abgenommen. Und seine Schwester?

      Während sie schweigend in nächtlicher Stunde neben dem Bruder durch die Straßen schritt, dachte sie zurück an eine bittere Stunde ihres Lebens, wo der Waisenhausvater gekommen war, ihre zwei Waisenkinder wieder abzuholen, weil sie auf schlimme Wege geraten waren, und sie hörte wieder die Worte, die er ihr gesagt: »Nicht jedermann versteht es mit Kindern!«

      II.

      »Wach’ auf, Klärchen, Herzchen, hörst du mich nicht? Wach’ auf, wach’ auf, ich sage dir etwas.«

      Mit diesen Worten bemühte sich am nächsten Morgen in aller Frühe Rike, das Dienstmädchen, Klärchen zu wecken. Das Kind schlug endlich die Augen auf und sah erstaunt auf Rike, die neben ihrem Bett stand und ihr schon die Strümpfe herreichte. Klärchen ging noch nicht in die Schule und so hatte sie bisher ausschlafen dürfen, und es war für sie etwas ganz Ungewohntes, geweckt zu werden. Sie war noch recht kindlich für ihr Alter, ein herziges Mädchen, der Liebling von allen im Haus und selbst voll Liebe für alle, die sie umgaben. »Warum weckst du mich, Rike?« fragte die Kleine ganz neugierig.

      »Steh’ nur geschwind auf, ich sag’ dir’s schon, Herzenskind. Aber wir müssen schnell machen,« und nun half Rike dem Kind, das bald ganz munter war, beim Waschen und Ankleiden.

      »Aber jetzt sag’ mir doch, Rike, was es gibt?« fragte Klärchen.

      »Gestern abend hat der Herr Vormund gesagt, ich soll dich wecken, du sollst mit seiner Schwester abreisen.«

      »Mit meiner Patin?«

      »Ja.«

      »Warum denn?«

      »Weil die Mama gestorben ist.«

      »Wie lange soll ich bei der Patin bleiben?«

      Hatte Rike die Frage überhört? Sie gab keine Antwort darauf, sie knüpfte eifrig Klärchens Stiefelchen zu und beugte sich so darüber, daß Klärchen ihr Gesicht nicht sehen konnte. Plötzlich aber fiel ein Tropfen herunter auf die Stiefel und Rike wischte die Augen. Da blickte Klärchen sie teilnehmend an, strich ihr schmeichelnd mit ihren runden Kinderhändchen über die Backen und sagte: »Gelt, Rike, du bist traurig wegen der Mama.«

      Rike konnte nur nicken, griff nach Klärchens schwarzem Kleid, ließ sie hineinschlupfen und sagte dann: »Komm nur schnell, ich habe dir schon dein Frühstück gerichtet, du hast gar nicht mehr lange Zeit.«

      »Wo ist der Konrad und der Heinrich?«

      »Die schlafen noch.«

      »Gehen sie denn nicht mit mir?«

      Rike konnte wieder nur mit dem Kopfe schütteln.

      In diesem Augenblick klingelte es unten an der Haustüre. Rike sah hinunter. »Wahrhaftig, das ist schon der Herr Vormund. Du sollst herunter kommen, es sei höchste Zeit. Schnell deinen Mantel, so, und