»So wird es gemacht,« sagte der Prinzipal und zeigte den Kunstgriff. Hermann machte sich daran, als er aber die gesäuberten Fläschchen in die Apotheke brachte, in der schon die ersten Kunden standen, und der Apotheker einen Blick auf ihn warf, sagte er leise aber sehr kurz und unfreundlich: »Geh’ hinaus!« Warum? Draußen stand Hermann und besann sich und konnte das unfreundliche »hinaus« nicht verstehen. Eine Weile verging, da kam Mohr herein, aber nur auf einen Augenblick. »Wie siehst du aus! Du vertreibst mir die Kunden aus der Apotheke. Kleide dich um, schnell!«
Er war allerdings über und über naß und verschmiert, an den Hemdkragen sogar waren braune Spritzer gekommen, natürlich vom Putzen. Er hatte nie gedacht, daß sein eigenes Aussehen nicht ganz gleichgültig sei. Höchst verwunderlich kamen ihm diese Anforderungen an Reinlichkeit und Ordnung vor; aber er eilte in seine Kammer hinauf, richtete sich frisch her, warf all das nasse Zeug auf das Bett, um nur möglichst schnell wieder herunter in die Apotheke zu kommen, denn hier ging es nun lebhaft zu. Bauern und Bäuerinnen, Köchinnen mit dem Marktkorb am Arm drängten sich. Rezepte brachten sie, Dinge verlangten sie, die Hermann nicht einmal dem Namen nach kannte, aber jeder Wunsch konnte befriedigt werden, nirgends versagte die Adlerapotheke. Und der Apotheker hätte in dieser Stunde freilich einen besseren Gehilfen haben sollen, als Hermann war. Nichts, gar nichts konnte er ihm anvertrauen!
Draußen, auf dem Marktplatz, herrschte lautes Leben, Bauernwagen fuhren an mit Körben voll junger Schweinchen, die ein Geschrei verführten, als ginge es ihnen ans Leben. Auch seines Vaters Leiterwagen erkannte Hermann von ferne, Hollwangers Knecht brachte Frucht zu Markte. In langen Reihen saßen und standen die Verkäuferinnen mit Tauben und Hühnern, Butter, Eiern, Gemüse und Obst. Goldgelb schimmerten die Apfelsinen über den ganzen Platz, auf dem die Frauen mit ihren Markttaschen, die Dienstmädchen mit großen Körben und Netzen sich drängten und schoben.
»Hermann, hier!« rief der Apotheker, »einfüllen die Fläschchen, bis sie voll sind.« Flink war Hermann bei der Hand. Eine Kanne mit kräftig nach Wein duftender Arznei hatte ihm der Apotheker in die Hand gegeben, einen Trichter, dazu zwei leere Fläschchen. Hermann steckte den Trichter in das erste Fläschchen und goß rasch hinein. »Es läuft über, junger Herr, es läuft über,« rief eine Frau, die wartend dastand und ihm zugesehen hatte. Rasch stellte Hermann die Kanne ab, nahm den Trichter weg, ringsum floß der schöne Wein. Die gefällige Frau machte Miene, zu Hilfe zu kommen.
»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« sagte der Apotheker, besorgte selbst das Geschäft und Hermann flüsterte er zu: »Nimm deine nasse Manschette ab.« Die weiße Manschette hatte einen dunkelroten Flecken; wieder sprang Hermann in sein Zimmerchen hinauf, warf die Manschette zu den übrigen verunglückten Kleidungsstücken und erschien in der Apotheke wieder mit frischen.
Gegen Mittag leerte sich die Apotheke; draußen auf dem Markt waren nicht mehr die Köchinnen in den weißen Schürzen zu sehen, sie standen wohl alle in ihren Küchen und bereiteten zu, was sie eingekauft hatten. Die Marktweiber saßen ruhig in ihren Ständen und verzehrten das Essen, das ihnen in irdenen Töpfen gebracht worden war; manche Wagen waren schon abgefahren, andere standen vor den Wirtschaften, in denen ihre Besitzer am Mittagstisch saßen.
Um 1 Uhr war die Apotheke leer. Jetzt durfte auch droben im Eßzimmer die Frau Apotheker ihr Essen auftragen, um diese Zeit war es am ruhigsten in der Apotheke.
»Schließe die Türe und wische den Tisch ab, Hermann, und dann komme nach zum Essen,« sagte Mohr und ging voraus. Droben nahm er seine Frau beiseite. »Laß die Suppe noch draußen,« sagte er, »ich muß erst noch etwas mit dir reden. Ich meine, es ist am besten, ich schicke den Jungen gleich heute wieder fort, denn brauchen kann ich ihn doch nicht.«
»War er wieder so ungeschickt?«
»Freilich, die Kunden wollten ihm zu Hilfe kommen, er kann kein Fläschchen füllen, er kann kein Pulver einwickeln, er verschmiert seine Kleider – –«
»Ja, das brauchst du mir gar nicht zu erzählen,« sagte Frau Mohr, »sein nasses Zeug habe ich wohl gesehen, auf den frischen, weißen Bettüberwurf hat er es hingeworfen, obwohl ich ihm gerade die Ordnung ans Herz gelegt hatte. Und was ich dir nicht sagen wollte, um dich beim Essen nicht aufzuregen, jetzt muß ich dir’s doch sagen: einen eisernen Kloben hat er in die polierte Kommode geschlagen, du weißt doch, die alte Kommode mit den Messingknöpfen? Einen dicken eisernen Kloben und daran hat er das Staubtuchkörbchen gehängt!«
»Das ist stark!«
»Das ist einfach barbarisch! Die Kommode – –«
»Nun lasse nur die Kommode, wir wollen rasch das Notwendige besprechen. Es ist nämlich drüben auf dem Markt des Hollwangers Knecht mit dem Wagen, der könnte gleich Hermanns Koffer aufladen und Hermann selbst könnte mit heimfahren.«
»Hast du es dem Jungen schon gesagt?«
»Nein,« sagte Mohr, »er tut mir leid und es wird mir schwer, es ihm zu sagen; aber zum Apotheker ist er entschieden unbrauchbar, könnte mir die größten Unannehmlichkeiten machen. Darum ist’s am besten, man schickt ihn gleich fort, daß er keine Zeit verliert, andere Schritte zu tun.«
»Aber den Eltern müßtest du schreiben, daß er keinen schlechten Streich gemacht hat.«
»Freilich, ich kann ihm ja das beste Lob geben, ich werde schreiben, daß er gescheit ist; sie sollen ihn einen Professor werden lassen; auch sein eifriges und freundliches Wesen, das alles kann ich ihm bezeugen, nur gerade zu dem Beruf ist er zu ungeschickt.«
In diesem Augenblick kam Hermann eiligst herauf. »Es ist ein Mädchen da, wollte ein Stück Glycerinseife um zehn Pfennige. Ich hätte es ihr gern gegeben, aber weil Sie mir gesagt haben, ich solle gar nichts abgeben, so fragte ich sie, ob sie ein wenig warten könne. Da sagte sie, sie könne die Kleinigkeit auch in der neuen Apotheke mitnehmen; aber das wollte ich doch nicht, sie soll nur der Adlerapotheke treu bleiben. Darf ich ihr von der Glycerinseife geben, die vorn liegt im Glaskasten?«
»Ja, das kannst du hergeben.« Wie der Wind war Hermann verschwunden.
Der Apotheker und seine Frau sahen sich an.
»Er ist so liebenswürdig in seinem Eifer,« sagte die Frau, »er tut mir zu leid.«
»Ja, ein prächtiger Mensch, und wie klug, daß er gleich an die Kundschaft denkt; aber fort muß er doch, er ist keine Hilfe für mich, im Gegenteil!«
»Ich gehe hinaus, wenn du es ihm sagst, ich mag gar nicht dabei sein,« sagte Frau Mohr. Kurz darauf kam Hermann wieder, die Suppe wurde aufgetragen, aber kein harmloses Tischgespräch würzte die Mahlzeit.
Hermann allein war unbefangen. »Das werde ich mir merken,« sagte er, »daß ein Stück Glycerinseife das erste war, das ich verkauft habe.«
Bei sich selbst fügte der Apotheker hinzu »und das letzte«.
»Neulich habe ich gelesen,« plauderte Hermann weiter, »daß man das Glycerin zu Dynamit und zu andern Sprengstoffen verwendet. Da wundert man sich ganz, wenn man’s auch zu einem so unschuldigen Stückchen Seife gebraucht. Das Glycerin muß ein feiner Stoff sein, nicht wahr?«
»Ja,« sagte Herr Mohr einsilbig, ihm tat es jetzt nur weh, die Berufsfreudigkeit seines Lehrlings zu sehen, der nach dem Essen aufhören sollte, Lehrling zu sein.
Kaum hatte Hermann den letzten Bissen zu sich genommen, so sprang er auf, wieder in das Geschäft zu gehen.
»Komm ein wenig mit mir herein, Hermann,« sagte Mohr, ging voraus in den kleinen, neben dem Eßzimmer liegenden Empfangsraum und machte die Türe zu. »Ich wollte dir sagen, Hermann, daß ich es doch besser für dich finde, wenn du nicht Apotheker wirst, sondern Naturwissenschaften studierst, auf die Universität gehst und Chemiker und vielleicht Professor wirst, was ja eine viel angesehenere Stellung ist, als die des Apothekers.«
»Nein, nein,« sagte Hermann ganz ahnungslos, was damit gemeint war; »ich will viel lieber Apotheker werden. Ich weiß wohl, daß es höhere Stellungen gibt, aber mir ist eine Apotheke das liebste.«