Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
Скачать книгу
du das nicht selbst schon gemerkt?«

      »Freilich, aber ich bin doch erst ein paar Tage Lehrling und muß es drei Jahre bleiben, in so langer Zeit werde ich das schon lernen.«

      »Hermann, es tut mir leid, daß ich es dir sagen muß – ich kann dich nicht als Lehrling behalten, denn ich brauche einen geschickten Jungen, der mir von der ersten Woche an helfen kann. Um’s kurz zu machen, kehre du heute abend nach Hause zurück und besprich es mit deinem Vater, daß ich dir dringend zu einem andern Berufe rate. Euer Knecht ist wohl noch nicht heimgefahren, er kann den Koffer mitnehmen. Es ist mir leid, Hermann, ich hätte dich sehr gern behalten, ich habe dich lieb gewonnen.«

      Hermann war blaß geworden vor Schrecken bei diesen Worten. Ganz starr sah er auf den Mann, der so zu ihm redete. Als er aber deutlich wahrnahm, daß dem Apotheker die Sache selbst zu Herzen ging, da faßte er Mut und sagte: »Wollen Sie nicht wenigstens einen Monat zusehen? Ich will mir alle Mühe geben.«

      »Wenn ich noch einen weiteren Gehilfen hätte, ginge es vielleicht; aber ich bin auf meinen Lehrling angewiesen, und wenn in einer Apotheke so viel ungeschickte Sachen gemacht werden, so spricht sich das herum im Städtchen und die Leute verlieren das Vertrauen. Das schadet der Apotheke.«

      »Ja dann,« sagte Hermann, »dann muß ich freilich gehen, schaden möchte ich nicht.«

      Als Hermann ganz verstört aus dem Zimmer trat, redete ihn die Frau Apotheker an: »Sei nur getrost, mein Junge, du kannst es noch viel weiter bringen als zum Apotheker. Das ist kein so schöner Beruf wie du meinst. Ich sage dir: der Apotheker steht immer mit einem Fuß im Zuchthaus. Ein Versehen von ihm oder von seinem Gehilfen, es kommt Gift in die Arznei, es kostet ein Menschenleben und der Apotheker muß es im Kerker büßen. Ich habe dich sehr gern, Hermann, ich will es dir gar nicht nachtragen, daß du mir einen Kloben in die polierte Kommode meiner Urgroßmutter geschlagen hast, obwohl es mir leid ist um das schöne Möbel; auch der weiße Bettüberwurf hat einen Flecken, aber er geht wieder heraus, der Kaffeeflecken ist auch wieder herausgegangen aus der Tischdecke und du wirst auch wieder fröhlich werden, nimm es nur nicht so schwer, lieber Junge!«

      Hermann ging langsam die Treppe hinauf in sein Zimmer und packte den Koffer. Er war wie im Traum. Mit dem Fuhrwerk seines Vaters wollte er nicht heimfahren, er wollte allein und zu Fuß gehen, den Koffer konnte der Knecht später holen.

      Kaum eine Stunde nach dem Gespräch verließ er unter den freundlichsten Wünschen von Herrn und Frau Mohr die Apotheke. Er hob den Kopf nicht nach dem schwarzen Adler der Apotheke, zu dem er vor ein paar Tagen so hoffnungsvoll aufgeblickt hatte; mit gesenktem Haupt ging er über den Markt durch die Straßen der Altstadt hinaus auf die einsame Landstraße, seinem Dorfe zu. Und als er niemand mehr sah und ganz allein in Gottes freier Natur war, da verlor er die Fassung und weinte bittere Tränen der schmerzlichsten Enttäuschung. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er eine bittere Erfahrung gemacht. Bisher war er als ein guter Sohn liebevoller Eltern, als ein eifriger Schüler freundlicher Lehrer ohne jegliche Anfechtung seinen Weg gegangen. Heute hatte ihm das Leben den ersten Schmerz gebracht.

      Als Hermann am heimatlichen Hof ankam, sah er von ferne seine Eltern auf den Stall zugehen. Jetzt kam ihm die Erinnerung, daß ein Kälblein an dem Tag zur Welt gekommen war, wo er mit seinem Vater in die Stadt gefahren war. Er konnte es kaum glauben, daß das erst drei Tage her war, und doch mußte es so sein. Er ging nach dem Stall, sie standen beide bei dem Kälbchen, Vater und Mutter; und nun, als helles Licht durch die Stalltüre hereinfiel, sahen sie auf, und wie aus einem Mund riefen sie: »Hermann, du kommst?« und nach einem weiteren Blick auf ihren Sohn fügte die Mutter hinzu: »Gelt, du bist krank?«

      »Nein,« sagte Hermann und versuchte zu lächeln, aber es war ein schmerzliches Lächeln, »nein, krank bin ich nicht, aber es ist aus mit der Apotheke, Herr Mohr meint, ich solle lieber etwas anderes werden.«

      »Was hat’s gegeben, Hermann?« fragte der Vater und sah ihn scharf an.

      »Gar nichts Besonderes, nur so allerlei Ungeschicktes ist mir begegnet, und deshalb sagte der Prinzipal, ich passe nicht zum Apotheker, und das ist auch wahr, nichts kann ich, gar nichts; alles, was ich nur anrühre, fällt um, und was ich machen will, taugt nichts, meine dummen, dummen Hände, abhauen hätte ich sie mir mögen!« rief er und mit aller Gewalt schlug er sie an die hölzerne Krippe, daß ihm der Schmerz das Gesicht verzog und das Kälblein erschreckt zusammenfuhr.

      »Geh, sei doch vernünftig, Hermann, komm ins Haus und erzähle genau wie alles gewesen ist,« sagte der Vater. »Haben sie dich einfach fortgeschickt, aus dem Haus gejagt?«

      »So kann man nicht sagen, freundlich waren sie. Aber was hilft mich das, ich kann eben kein Apotheker werden.«

      Droben im Zimmer berichtete er mit aller Offenheit, und kurz darauf brachte der Knecht zugleich mit dem Koffer einen Brief vom Apotheker, der sich in aufrichtigen und freundlichen Worten über Hermann aussprach und den dringenden Rat gab, ihn auf die Universität zu schicken, er habe die nötigen Gaben, um eine Zierde der Wissenschaft zu werden.

      Diese »Zierde der Wissenschaft« eröffnete eine schöne Aussicht und versöhnte einigermaßen die gekränkten Eltern. »Es ist ja wahr,« sagte Hollwanger, »diese Laufbahn ist noch viel ehrenvoller, ein Apotheker ist nicht das Höchste, aber nun hat man gemeint, mit dem Hermann sei alles im schönsten Fahrwasser; statt dessen steht er da und ich darf anfangen zu schreiben und zu laufen, daß ich ihn unterbringe, und das gerade im Frühjahr, wo ich jede Stunde draußen sein sollte!«

      »Mutter,« sagte abends Hermann, »ist denn das so etwas Arges, wenn man in eine Kommode einen Kloben schlägt? Wäre dir das nicht ganz einerlei?«

      »Nein, Hermann, das ist etwas Arges; wie du darauf gekommen bist, kann ich nicht begreifen. Aber wer weiß, wenn du einen schönen Schinken mitgebracht hättest, so wär’s vielleicht doch anders gekommen, die Frau Apotheker hätte dann eins ins andere gerechnet und ein gutes Wort für dich bei ihrem Mann eingelegt. Das sage ich dir, Hermann, wenn du auf die Universität kommst, ohne Schinken für den Professor lasse ich dich nicht fort!«

      In den nächsten Tagen wurde manchmal über Hermanns Zukunft gesprochen, was er studieren könnte und ob man ihn zunächst auf das Obergymnasium schicken sollte. Hermann sprach nicht mit, und wenn er gefragt wurde, so war ein freudloses: »Wie ihr wollt« seine Antwort. »Der Bub’ ist ganz verwettert,« sagte der Vater, »es ist nicht recht gewesen vom Apotheker, er hätte erst ein paar Wochen Geduld haben sollen.«

      »Ja, das meine ich wahrhaftig auch,« sagte die Mutter, und sie grollten dem Manne. Am meisten war die Schwester über die Behandlung des Bruders gekränkt, denn für sie war er der Inbegriff des Guten und Gelehrten. Und sie allein ließ sich auch nicht trösten durch die Aussicht, daß es ihr Bruder auf der Universität noch viel weiter bringen könnte. »Er hat sich doch aber eine Apotheke gewünscht und nichts anderes,« war ihre Entgegnung.

      So war fast eine Woche vergangen, den nächsten Sonntag wollte Hollwanger benützen, um wegen seines Sohnes einen Brief zu schreiben. Da erschien am Samstag morgen Hermann wieder mit seinem früheren fröhlichen Gesicht; und als der Vater in früher Stunde sich auf den Weg machte, nach den Arbeiten draußen zu sehen, ging er mit ihm. »Hast’s jetzt verwunden?« fragte ihn freundlich der Vater, »gelt, wenn auch einmal Sturm und Regen die Frucht niederschlagen, sie steht doch wieder auf. Morgen schreiben wir.«

      »Vater, ich möchte dich nur um eins bitten, schicke mich den Sommer noch nicht fort, laß mich noch bis Herbst daheim!«

      »Daheim? wie kommst du mir vor, willst mit zur Feldarbeit? Dann wüßt’ ich nicht, wozu du dein Latein gelernt hast?«

      »Nein, aufs Feld wollt’ ich nicht, bloß daheim bleiben.«

      »Faulenzen? Oder was? Red’ deutsch, Hermann.«

      »Ich weiß halt schon vorher, daß dir’s gar nicht recht sein wird, Vater, aber einmal muß ich’s ja doch sagen: Für mich allein arbeiten möcht ich, mich den Sommer über einüben, damit ich im Herbst Apotheker werden kann.«

      »Apotheker? Ein hartnäckiger, starrköpfiger Mensch bist du, Hermann. Ein zäher, einrissiger Kerl mit deiner verwünschten Apotheke!