Die genaue Übereinstimmung zwischen den Reden der Amme und dem Bericht des Boten machte, daß Herr Gasparrin anfing, der Sache einigen Glauben beizumessen. So prüfte er denn als schlauer Mann die Angelegenheit von allen Seiten, und als er immer neue Beweise für die Wahrheit jener Erzählung fand, schämte er sich wegen der Art, wie er den Knaben behandelt hatte, so sehr, daß er, um es wiedergutzumachen, und weil er die hohe Stellung kannte, die Arrighetto eingenommen hatte und noch einnahm, sein schönes elfjähriges Töchterchen mit einer großen Aussteuer dem Scacciato zur Frau gab. Nachdem zu Ehren jener Verbindung ein glänzendes Fest gefeiert worden war, fuhr er mit dem jungen Mann, mit seiner Tochter, mit dem Boten Currados und mit der Amme auf einer wohlbewaffneten Galeere nach Lerici, wo er von Currado ehrenvoll empfangen und mit seiner ganzen Gesellschaft auf ein nahegelegenes und zu den bevorstehenden Festlichkeiten bereits eingerichtetes Schloß geführt ward. Wie groß die Freude der Mutter war, als sie ihren Sohn wiedersah, wie groß die der beiden Brüder, wie herzlich die beiden Brüder die treue Amme bewillkommneten, wie freudig alle Herrn Gasparrin und seine Tochter begrüßten, wie diese jene, wie endlich alle sich mit Currado, seiner Gemahlin, seinen Kindern und Freunden zusammen erfreuten, läßt sich nicht in Worten ausdrücken. Darum überlasse ich es euch, durch euere Einbildungskraft meine Erzählung zu ergänzen.
Damit jedoch die Freude ganz vollständig würde, ordnete Gott, der freigebige Spender alles Guten, es so an, daß um dieselbe Zeit gute Nachrichten von dem Leben und der glücklichen Lage des Arrighetto Capece anlangten. Denn als bei dem großen Feste die zur Tafel Geladenen, Männer und Frauen, noch bei der ersten Schüssel saßen, kehrte der Bote zurück, der nach Sizilien gereist war. Dieser berichtete unter anderm, daß das Volk, als der Aufstand gegen die Franzosen ausgebrochen war, voller Wut nach dem Gefängnis lief, die Wachen tötete, Arrighetto herausholte und als geschworenen Feind König Karls zu seinem Anführer machte. Unter seinem Befehl waren die Franzosen verjagt und getötet worden. Durch dieses Ereignis war ihm die Gunst König Peters in hohem Grade zuteil geworden. Dieser hatte ihn in alle Besitztümer und Würden wieder eingesetzt, so daß er jetzt in höchstem Ansehen stand. Ihn selbst, fügte der Gesandte hinzu, hatte Arrighetto auf das ehrenvollste empfangen und die größte Freude über seine Gattin und seinen Sohn bezeigt, von denen er seit seiner Gefangennahme nie das mindeste gehört. Auch hatte er ein Schiff und einige Edelleute, die sogleich kämen, mitgesandt, um die Seimigen abzuholen.
Der Gesandte war mit Jubel und allgemeiner Freude empfangen und angehört worden. Nun aber ging Currado mit einigen seiner Freunde eilig den Edelleuten entgegen, die um Frau Beritolas und Giuffredis willen gesandt worden waren, begrüßte sie herzlich und führte sie zu seinem Gastmahl, das noch nicht bis zur Hälfte gediehen war. Das Vergnügen, das die Dame und Giuffredi wie auch alle übrigen empfanden, als diese Gäste eintrafen, hatte nicht seinesgleichen. Sie aber dankten, noch bevor sie sich zu Tische setzten, in Arrighettos Namen, so verbindlich sie nur wußten und konnten, dem Currado und seiner Gemahlin für die Ehre, welche sie der Frau Beritola und seinem Sohne erwiesen, und forderten sie auf, über Arrighetto und alles, was er vermöge, nach Belieben zu verfügen. Dann wandten sie sich auch alle zu Herrn Gasparrin, dessen Verdienste um Scacciato ihnen vorher nicht bekannt gewesen waren, und sagten ihm, sie seien sicher, daß ihm Arrighetto, sobald er erfahren werde, was er für seinen Sohn getan, ebenso herzlich, wenn nicht noch herzlicher dankte. Nun erst nahmen sie an der. Festmahlzeit der jungen Bräute und ihrer Verlobten den freudigsten Anteil., Doch dauerten die Festlichkeiten, die Currado. zu Ehren seines Schwiegersohnes und seiner übrigen Angehörigen und Freunde veranstaltete, nicht nur diesen, sondern noch viele darauffolgende Tage.
Als sie endlich zu Ende gingen, meinten Frau Beritola und Giuffredi gleich den übrigen, es sei Zeit, aufzubrechen. So bestiegen sie unter vielen Tränen des Currado, seiner Gemahlin und des Herrn Gasparrin in Gesellschaft Spinas das Schiff, das ihnen Arrighetto gesandt, und sagten jenen Lebewohl. Ein günstiger Wind brächte sie binnen kurzem nach Sizilien, wo die Gattin, die Söhne und ihre Frauen von Arrighetto mit solcher Glückseligkeit empfangen wurden, daß sie unmöglich zu schildern ist. Dort sollen sie dann noch lange Zeit glücklich und der empfangenen Wohltaten eingedenk in der Gnade Gottes gelebt haben.
SIEBENTE GESCHICHTE
Der Sultan von Babylon schickt seine Tochter dem König von Algarbien zur Frau, sie aber gerät durch eine Reibe von Ereignissen in einem Zeitraum von vier Jahren und an verschiedenen Orten neun Männern in die Hände. Endlich wird sie ihrem Vater zurückgebracht und reist als vorgebliche Jungfrau zum König von Algarbien, um dessen Gattin zu werden.
Es fehlte nicht viel, daß die Geschichte der Emilia und das Mitleid mit dem Unglück der Frau Beritola die jungen Damen zu Tränen gerührt hätte. Als jedoch Emilia zu Ende war, gefiel es der Königin, den Panfilo im Erzählen fortfahren zu lassen, weshalb er gehorsam und willig also begann:
Schwierig ist es für uns, ihr anmutigen Damen, zu erkennen, was uns gut tut; denn wie wir oft sehen, meinen viele, wenn sie reich wären, könnten sie sorgenlos und ruhig leben. Daher bitten sie nicht allein Gott inbrünstig um Erreichung dieses Zieles, sie scheuen auch keine Mühe und Gefahr, um zu ihm zu gelangen. Werden aber ihre Bitten erfüllt, so finden sie oft ihrer Erbschaft wegen in denen Mörder, die, bevor sie reich wurden, ihr Leben beschützten und sie liebten. Andere, in niedrigem Stande geboren, bahnen sich durch tausend gefährliche Schlachten und durch das Blut ihrer Brüder und Freunde den Weg zu den Höhen des Thrones, wo. sie das. höchste Glück zu finden wähnen, und müssen, von der unendlichen Furcht und den Sorgen zu schweigen, die sie umgeben, bei ihrem jähen Tode erkennen, daß man an den Tafeln der Könige Gift aus goldenen Bechern trinkt. Nicht gering ist auch die Zahl derer, die körperliche Kraft und Schönheit mit dem heftigsten Verlangen, so wie andere den Schmuck, begehren, und die Torheit ihres Wunsches nicht eher erkennen, als bis sie gewahr werden, daß gerade jene Dinge ihnen den Tod oder schwere Betrübnis bringen. Um aber nicht alle menschlichen Wünsche einzeln durchzusprechen, versichere ich im allgemeinen, daß es unter allen Wünschen keinen gibt, den die Sterblichen mit vollkommener Umsicht als vor allen Schicksalsschlägen gefeit zu wählen imstande sind. Deshalb sollten wir, wenn wir’s richtig machen wollen, immer das hinzunehmen und festzuhalten bereit sein, was derjenige uns gibt, der allein durchschaut, was uns not tut, und es uns zu verleihen imstande ist. Wenngleich nun die Männer in dieser Hinsicht vielfach durch ihre Wünsche fehlgehen, so sündigt ihr, schöne Damen, doch ganz vorzüglich in dem einen Punkte: daß ihr schön zu sein wünscht und euch deshalb nicht einmal mit den Reizen begnügt, welche die Natur euch gewährt hat, sondern diese durch wunderbare Künste noch zu vermehren bestrebt seid. Darum will ich euch in der folgenden Geschichte erzählen, wie die Schönheit eine junge Sarazenin so sehr ins Unglück brachte, daß sie um dieser Schönheit willen in der Zeit von etwa vier Jahren neunmal neue Hochzeiten feiern mußte.
Schon vor geraumer Zeit lebte ein Sultan von Babylon namens Benminedab, dem zu seinen Lebzeiten gar vieles nach Wunsch ging. Unter mehreren andern Kindern beiderlei Geschlechts hatte er auch eine Tochter mit Namen Alatiel, welche nach der Aussage aller, die sie zu sehen bekamen, das schönste Mädchen war, das damals auf Erden gefunden werden konnte. Diese hatte er dem König von Algarbien auf dessen besonderen Wunsch zur Frau versprochen, weil jener ihm außergewöhnlichen Beistand bei einem Überfall zahlreicher Araber geleistet und zu einem glänzenden Siege verholfen hatte, und so schiffte er sie unter ehrenvoller Begleitung von Männern und Frauen mit vielen schönen und kostbaren Geräten auf einem gut bewaffneten und ausgerüsteten Fahrzeuge ein, damit sie unter Gottes Schutz zu ihrem Bräutigam reise. Die Schiffer hißten die Segel, sobald das Wetter ihnen günstig schien, verließen den Hafen von Alexandrien und hatten mehrere Tage lang