Als Andreuccio das gewahr wurde, kroch er, froher als er je gehofft hatte, sogleich aus dem Grabmal heraus, das jene offen gelassen hatten, und verließ die Kirche auf demselben Wege, auf welchem er gekommen war. Inzwischen war der Morgen fast herangekommen, und Andreuccio gelangte, den Ring am Finger, ans Meeresufer und von da in sein Wirtshaus, wo seine Gefährten und der Wirt die ganze Nacht über um seinetwillen in Angst gewesen waren. Er erzählte ihnen, was ihm begegnet war, und auf den Rat des Wirtes wurde für gut befunden, daß er Neapel sogleich verlassen sollte. So tat er denn auch augenblicklich und kehrte nach Perugia zurück, nachdem er sein Geld, statt Pferde zu kaufen, wie es seine Absicht gewesen, in einem Ringe angelegt hatte.
SECHSTE GESCHICHTE
Madonna Beritola verliert ihre zwei Söhne, wird dann mit zwei kleinen Rehen auf einer Insel gefunden und geht nach Lunigiana. Hier tritt einer ihrer Söhne bei dem Landesherrn in Dienst, schläft mit dessen Tochter und wird gefangengesetzt. Inzwischen empört sich Sizilien gegen König Karl, der Sohn wird von seiner Mutter erkannt und heiratet die Tochter seines Herrn. Der Bruder findet sich ebenfalls, und beide wer den wieder vornehme Leute.
Die Damen und die jungen Männer hatten gleichermaßen über die Abenteuer des Andreuccio gelacht, die Fiammetta erzählt hatte, und Emilia begann, als die Geschichte zu Ende war, auf Befehl der Königin also:
Bitter und beschwerlich sind uns die mannigfachen Launen des Glücks, und wir können nicht von ihnen reden hören, ohne daß unsere Seelen aus dem Schlummer geweckt werden, in den seine Gunst sie versetzt. Deshalb meine ich, daß Glückliche wie Leidende gern solchen Erzählungen lauschen sollten, welche die ersten lehren, auf der Hut zu sein, die letzteren aber trösten. Und so will ich denn, so Erstaunliches auch von meinen Vorgängern gesagt worden ist, euch eine Geschichte erzählen, die nicht minder wahr als rührend ist und in der die Leiden so groß und anhaltend waren, daß ich, wenngleich ihnen ein frohes Ende folgte, mir doch kaum einreden kann, sie seien von dem späteren Glück jemals völlig versüßt worden.
Ihr müßt nämlich wissen, daß nach dem Tode Kaiser Friedrichs des Zweiten Manfred zum König von Sizilien gekrönt ward, und daß bei diesem ein Edelmann aus Neapel namens Arrighetto Capece in hohem Ansehen stand. Dieser war mit Beritola Caracciola, einer schönen Neapolitanerin aus guter Familie, verheiratet. Während nun Arrighetto die Regierung der Insel von Manfred anvertraut war, erfuhr er, dieser sei zu Benevent von König Karl besiegt und getötet worden, und das ganze Königreich wende sich dem letzteren zu. Da er nun in die unsichere Treue der Sizilianer geringes Vertrauen setzte und dem Feinde seines Fürsten nicht gehorchen wollte, schickte er sich zur Flucht an. Indes bekamen die Sizilianer von seiner Absicht Kunde, setzten ihn und noch viele andere Freunde und Diener König Manfreds fest und lieferten diese und dann auch die Insel selbst dem König Karl aus.
Madonna Beritola wußte in diesem großen Umsturz aller Dinge nicht, was aus Arrighetto geworden war. In steter Furcht und besorgt, daß ihre Ehre gekränkt werden könnte, ließ sie ihr gesamtes Eigentum zurück und floh in schwangerem Zustand mit ihrem etwa achtjährigen Sohn Giuffredi in einem Kahn nach Lipari, wo sie einen zweiten Knaben gebar und diesen Scacciato nannte. Darauf nahm sie eine Amme und bestieg mit allen ein kleines Schiff, um zu ihren Verwandten nach Neapel zurückzukehren. Doch ging es nicht nach ihrem Wunsche. Das Fahrzeug, das nach Neapel bestimmt war, wurde von der Gewalt des Sturmes nach der Insel Ponza getrieben, wo die Schiffer eine kleine Bucht ansteuerten und günstigeres Wetter abwarteten. Frau Beritola ging wie die übrigen an Land und suchte sich einen einsamen und abgelegenen Platz aus, wo sie sich allein niedersetzte und ihren Arrighetto beweinte. So tat sie jeden Tag, und da geschah es denn, daß, als sie einmal ohne Wissen der Matrosen und der andern Reisegefährten sich in ihre Klagen vertieft hatte, eine Galeere voll Korsaren jene überfiel und alle ohne Widerstand gefangen davonführte.
Als Frau Beritola, nachdem sie ihr tägliches Wehklagen beendet hatte, nach ihrer Gewohnheit zum Ufer und zu ihren Kindern zurückkehren wollte, fand sie niemand. Anfangs wunderte sie sich darüber, dann aber ahnte sie plötzlich, was geschehen sein könne, blickte hinaus aufs Meer und sah die Galeere, die sich noch nicht weit entfernt hatte, ihr Schifflein hinter sich herziehen. Da wurde es ihr denn allzu klar, daß sie zu dem Mann nun auch die Kinder verloren habe, und hier arm, allein und verlassen zurückgeblieben sei, ohne Hoffnung, jemand der Ihrigen wiederzufinden. Und so fiel sie, laut nach ihrem Gatten und den Kindern rufend, ohnmächtig am Ufer nieder. Niemand war da, der mit frischem Wasser oder anderen Mitteln ihre entschwundenen Kräften hätte zurückrufen können, und ihre Lebensgeister hatten alle Muße, nach ihrem Gefallen irrend umherzuschweifen. Als aber ihr unglücklicher Leib mit den Tränen und Wehklagen zugleich seine Kräfte wiedergewann, rief sie aufs neue lange nach ihren Kindern und suchte sie in jeder Höhle der Insel. Endlich aber mußte sie selbst einsehen, daß alle ihre Mühe umsonst war, und als die Nacht herankam, begann sie, immer noch von unbestimmter Hoffnung erfüllt, an sich selbst zu denken, verließ das Ufer und barg sich in jener Höhle, wo sie zu weinen gewöhnt war.
Nach einer unter Angst und unsäglichen Tränen verlebten Nacht fühlte sie am andern Morgen, als die Sonne schon seit mehr als drei Stunden am Himmel stand, lebhaften Hunger, zumal sie auch am vorhergehenden Abend nichts genossen hatte, und so machte sie sich daran, einige Kräuter zu suchen. Am Ende dieser kümmerlichen Mahlzeit hing sie weinend mancherlei Gedanken über ihr künftiges Leben nach, und dabei sah sie, ganz in ihrer Nähe, ein Reh in eine Höhle gehen, wieder herauskommen und in den Wald laufen. Das machte Frau Beritola neugierig. Sie stand auf, ging hinein, wo das Reh herausgekommen war, und fand zwei kleine Rehzicklein, die vielleicht erst an diesem Tage geworfen worden waren. Sie fand die beiden Tierchen überaus niedlich und allerliebst, und da ihr die Milch von der kürzlichen Niederkunft her noch nicht versiegt war, hob sie die Kleinen zärtlich empor und legte sie an ihre Brust. Die Tierchen verschmähten diese Wohltat nicht, sondern sogen, wie sie es an ihrer Mutter getan hätten, und machten auch in Zukunft zwischen dieser und der Dame keinen Unterschied. Der Edeldame dagegen war nun, als habe sie an diesem öden Orte einige Gesellschaft gefunden. Sie aß Kräuter, trank Wasser, weinte, so oft sie sich an ihren Gatten, ihre Kinder und ihr früheres Leben erinnerte, wurde allmählich mit dem Muttertier so vertraut wie mit den beiden Kitzlein und beschloß, auf jener Insel zu leben und zu sterben.
So lebte die edle Dame einem wilden Tiere gleich mehrere Monate lang, bis es endlich geschah, daß ein pisanisches Schifflein ebenfalls wegen Unwetters an derselben Stelle landete, wo einst die Dame gelandet war, und mehrere Tage lang dort verweilte. Auf diesem Fahrzeug befand sich ein Edelmann aus dem Geschlecht der Markgrafen von Malespini mit Namen Currado in Gesellschaft seiner tugendhaften und frommen Gemahlin. Sie kamen von einer Wallfahrt, auf der sie alle heiligen Orte des Landes Apulien besucht hatten, und kehrten nun in ihre Heimat zurück. Eines Tages machte sich der Markgraf, um die üble Laune zu vertreiben, mit seiner Gemahlin und einigen Dienern und Hunden nach dem Innern der Insel auf den Weg. Dabei geschah es, daß die Hunde Currados nicht weit von der Stelle, wo Frau Beritola weilte, die zwei kleinen Rehe verfolgten, die inzwischen herangewachsen waren und grasend umherliefen. Die Tiere flohen, von den Hunden gejagt, in die Höhle, in der Frau Beritola sich befand. Diese aber erhob sich, als sie die Kleinen verfolgt sah, nahm einen Stock und vertrieb die Hunde. Darüber kamen Currado und seine Gemahlin, die ihren Hunden nachgingen, hinzu und wunderten sich sehr, als sie Frau Beritola erblickten, die braun und hager und struppig geworden war. Diese aber erstaunte noch mehr über jene. Currado mußte auf ihr Begehren die Hunde zurückrufen; aber erst nach vielen Bitten