Resi lachte und rieb sich vergnügt die Hände, sie lehnte stets jeden Dank und jede Anerkennung in ihrer bescheidenen Weise ab, ohne sich dabei den Anstrich jener anspruchslosen Dulderwesen zu geben, welche sich nur darum in den Schatten stellen, um eine desto grellere Beleuchtung ihrer Persönlichkeit zu erzwingen.
Der Oberst verabschiedete sich. Er sah so vergnügt und animiert aus, wie selten.
„So wäre denn wieder Frieden im Lande!“ nickte er noch einmal schmunzelnd vor sich hin und atmete bei dem Gedanken an alle Möglichkeiten, welche da gedroht hatten, doch recht erleichtert auf: „Nun werde ich mir mal den Attentäter Dorpat unter vier Augen vornehmen und ihm klar machen, was er seiner Regimentstante alles zu danken hat. — Er soll auch mit dem blauen Auge davon kommen — —“
„Peccavi, Herr Oberst! — peccavi! lassen Sie mich für ihn um Nachsicht bitten!“
Laucha lachte in bester Laune. „Unbesorgt, gnädigste Tante, Ihr Schützling soll diesmal noch am Leben bleiben! Aber eine kleine Ermahnung und einen sanften Kniff ins Ohr muss der junge Herr wohl mitnehmen — schon um des Prinzips willen! — Und somit Gott befohlen, meine liebe lady patroness! Ich wiederhole noch einmal meinen verbindlichsten Dank!“ —
Säbelklirrend schritt er die Strasse entlang; am Marktplatz begegnete ihm der Präsident, man grüsste sich voll ausgesuchter Höflichkeit. Ja, es war alles wieder im reinen, und Laucha nickte noch einmal lächelnd vor sich hin und wiederholte in Gedanken:
„An weicher Seide prallt
Zurück die scharfe Klinge —
Sanftmut wirkt gröss’re Dinge
Wie schneidende Gewalt!“
O diese Weiber! —
Dann trat er in einen Blumenladen, und wählte das schönste Arrangement, welches um diese Jahreszeit aufzutreiben war.
„Die dankbaren Regimentsneffen ihrer geistreichen Tante!“ kritzelte er auf eine Karte und adressierte den duftenden Gruss an Fräulein Therese von Wieders.
Achat von Kronstadt sass in seinem behaglich warmen Zimmer und hielt ein neues, höchst interessantes, militärisches Werk in der Hand, in welches er sich mit Leib und Seele vertiefen wollte. Er hatte sich die „Studien über Truppenführung“ schon seit Tagen bestellt und voll Sehnsucht darauf gewartet, denn es gab ja nichts anderes mehr in der Welt, wofür sich der einsame Generalstäbler interessierte, als wie die Wissenschaft auf dem Gebiete, in welchem sein ganzes Denken und Wirken wurzelte.
So hatte er bisher geglaubt, — so dachte er auch noch vor zwei Tagen, als er voll Ungeduld in seinem Zimmer auf- und niederschritt und wähnte, der lange Winterabend könne gar nicht zu Ende gehen, wenn nicht ein anregendes Buch vor ihm auf dem Tisch läge.
Und heute hielt er das so schmerzlich erwartete Werk in Händen, und seine Blicke flogen zerstreut und gedankenlos über die einzelnen Seiten, ja schliesslich ganz darüber hinweg, um draussen, in den verschneiten Baumwipfeln Rast zu halten.
Und während er so hinaus in die Winterstille blickte, zog ein traumhaftes Lächeln über seine schönen Züge, und seine Augen spiegelten seine Gedanken, denn sie blickten ebenso entzückt und verklärt, als wie vorgestern abend im Lager der Gustel von Blasewitz, als er zum erstenmal in ein Mädchenantlitz blickte, welches ihn mit dem vollen Zauber weiblicher Holdseligkeit bannte.
Martina Gollnow! —
Wie eine freundliche Huldgestalt umschwebte ihn ihr Bild, anfänglich zurückgescheucht mit all den tausend Waffen, die das Herz eines älteren Junggesellen sein Leben lang gegen das Weib geführt, welches seine goldene Freiheit durch zarte Bande bedrohte, — dann aber wie eine übernatürliche Macht geduldet, und schliesslich voll unerklärlicher Sehnsucht gesucht und mit jedem Gedanken festgehalten!
Martina, dieses junge, liebliche Geschöpf, dieses reizende Gemisch von Jungfrau und Kind, stolz und spröde in ahnungsvollem Selbstbewusstsein des Weibes, welches darauf angewiesen sein wird, sich einst durch eigene Kraft einen dornigen, blütenarmen Lebensweg zu erkämpfen, und doch beseelt von der unschuldsvollen Sehnsucht nach Blumen und Sonnenschein!
Wie selten hatte die Freude diese reine Stirn geküsst, wie selten hatten ihre Augen so strahlend glücklich in die Welt geschaut, wie neulich abend, wo sie sich so herrlich amüsierte, wo sie beim Abschied Resis Hals umschlungen und mit ihrer weichen Glockenstimme so unbeschreiblich dankbare und selige Worte geflüstert — „ach, es war ja gar zu schön — so schön, wie noch nie im Leben!“
Und er hatte diese leisen Worte doch erlauscht und sie tönten wie ein Echo auch in seinem eigenen Herzen —: „ja, so schön, wie noch nie im Leben!“ Nun sass er und stützte das Haupt in die Hand und träumte in den frostigen Wintertag hinaus, — lauter liebe Märchen von Frühling und Sonnenschein, von Lenzesglück und Liebe .... Manchmal zog ein ernster, bedrohlicher Gedanke wie eine Wetterwolke herauf, — dann schloss er die Augen, um sie nicht zu sehen, dann wandte er sich desto sehnsüchtiger der Sonne zu und lächelte, wenn die grauen Nebel unter ihrem Strahl zerrannen.
Achat ensann sich, in ferner Kindheit auch mit offenen Augen Märchen geträumt zu haben. Er versenkte sich dann mit aller Phantasie und Ausschliesslichkeit in die Bilder, welche ihm vorschwebten, er wies alles zurück, was an die Wirklichkeit erinnerte, er versank in der Flut seiner Gedanken, wie ein Fischer wonnetrunken hinab taucht in das Meer, wenn ihm die Zauberglocken Vinetas aus der Tiefe läuten. —
Und so vergass Kronstadt auch jetzt noch einmal Zeit und Welt, um sich in einem Märchentraum zu verlieren, aus welchem ihm das Glück mit weissen Händen winkte, das Glück, welches zum erstenmal die Gestalt eines Weibes angenommen und ihm mit Martinas braunen Augen entgegenlächelte.
Unbewusst fast legte er die „Studien“ aus der Hand und erhob sich, um an das Fenster zu treten.
Das Wetter hatte nicht viel Verlockendes, grauer Dunst verschmolz Himmel und Erde und begann bereits, seine einzelnen, feinen Schneestäubchen durch die Luft zu streuen, in nicht allzulanger Zeit gibt es wohl ein regelrechtes Schneetreiben, und das sieht sich vom warmen Zimmer aus am behaglichsten an, wenigstens für ältere Leute, und Achat von Kronstadt hatte sich trotz seines jugendlichen Aussehens schon lange zu den „Alten“ gerechnet.
Ist er denn ganz und gar verwandelt? —
Es zieht und lockt ihn plötzlich hinaus, wie ehedem, wo er noch mit flinken Knabenhänden der Eiskönigin einen Krystallpalast bauen wollte, — wo er die beschneiten Tannenbäumchen übermütig schüttelte und sich unter die rieselnde und herabstäubende Schneelast stellte, voll abergläubischer Lust jubelnd:
„Bäumlein, Bäumlein, rüttle dich,
Wirf Gold und Silber über mich!“ —
oder:
„Am Zauberbaum im Thalesgrund
Der junge Knabe wartend stund —
Da warf durch Ros’ und Flieder
Das Glück er ihm hernieder!“
Ja, er ist wieder ein Kind wie ehedem, es hält ihn nicht mehr im engen Zimmer, er will auch hinaus und sehen, ob nicht der Zauberbaum des Lebens das Glück auf ihn herabschütte!
Hastig greift er nach Mantel, Säbel und Mütze und verlässt das Haus.
Wohin? —
Wo soll er sein Glück wohl suchen?
Gollnows sind ja von früh bis spät im Hause thätig, — er hörte, dass man die Schwestern sehr selten, eigentlich nie zu sehen bekomme. Gesellschaften würden weder besucht, noch gegeben, und um viel auf der Strasse herum zu promenieren, hätten die armen, kleinen Hausmütterchen keine Zeit.
Gleichviel, vielleicht treibt jetzt — gerade jetzt ein unbewusstes Sehnen auch Martina aus dem Hause — und wo wird sie dann die Schritte hinlenken?