Dési wurde hellhörig.
»Stimmt was nicht?«
»Alles bestens. Ich muss nur mit dir reden.«
»Wir sind allein.« Alarmiert trat Dési zurück. Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und sah ihn forschend an. »Mum und Dad sind in der Klinik, Janni spielt bei einem Freund Computer und Lenni und Oskar haben sowieso Besseres zu tun, als bei dem schönen Wetter hier herumzugammeln.«
»Vorwurf angekommen. Es tut mir leid.«
Dési dachte kurz nach. Dann drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer. Sie ließ sich auf die Couch fallen.
»Also raus mit der Sprache! Was hast du mir Großartiges zu erzählen.«
Joshua machte keine Anstalten, sich zu setzen. Er schob die Hände in die Hosentaschen und wippte verlegen auf den Sohlen vor und zurück. Beim Anblick seiner Freundin hatte sich seine Euphorie in Luft aufgelöst.
»Meine Mutter geht morgen nach Zürich. Sie hat dort ein mehrjähriges Engagement.«
»Lass sie doch.« Ungerührt zuckte Dési mit den Schultern. »Sie hat sich in all den Jahren eh kaum um dich gekümmert.«
Joshua konnte nicht länger stehen bleiben.
Er begann, vor dem Sofa auf und ab zu gehen.
»Ja, schon«, erwiderte er gedehnt. »Aber ich glaube, Paola hat sich geändert. Wir verstehen uns super und haben jede Menge Spaß zusammen.«
Seine Schilderung machte Dési stutzig. Sie legte den Kopf schief.
»Und was willst du mir wirklich sagen?«
Joshua blieb wieder vor ihr stehen. Er zögerte kurz, ehe er sich auf den Hocker neben der Couch setzte. Er nahm die Hände seiner Freundin in die seinen. Es fiel ihm schwer, ihren Blick zu erwidern. Aber es musste sein.
»Paola hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihr kommen will. Sie hat tolle Kontakte. Ich könnte Unterricht bei den besten Schauspiellehrern nehmen. Das ist eine großartige Chance.«
Mit einem Ruck zog Dési ihre Hände zurück.
»Und du gehst natürlich mit.« Sie fühlte sich, als hätte er ihr eine Ohrfeige verabreicht.
»Komm schon, Dési! Ich dachte, du freust dich für mich«, appellierte Joshua an ihre Empathie. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Klar. Natürlich.« Ihre Stimme war spitz. »Herzlichen Glückwunsch auch.« Sie stand auf. »Du, es tut mir leid, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich habe ganz vergessen, dass ich Mum versprochen habe, mich mit ihr im Klinikkiosk zu treffen.« Sie durchquerte das Wohnzimmer und sah Joshua auffordernd an. »Kommst du?«
Dieses Gespräch war ganz anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte. Er stemmte sich hoch und folgte ihr durch den Flur zur Haustür.
»Dési, ich …« Vergeblich suchte er nach Worten.
Und sie ließ ihm keine Wahl.
»Ciao, Joshua!«
Er schickte ihr einen verzweifelten Blick. Schließlich blieb ihm aber nichts anderes übrig als zu gehen.
*
Wild entschlossen, die Wahrheit aus seiner Patientin herauszukitzeln, betrat Dr. Daniel Norden das Krankenzimmer. Dieter Fuchs war bei ihr. Beim Anblick des Chefarztes sprang er vom Stuhl auf.
»Ich habe nur gerade mit Frau Lammers die Abrechungsmodalitäten besprochen. Immerhin ist sie ja keine Privatpatientin und kann deshalb auch nicht auf einer Chefarztbehandlung bestehen«, rechtfertigte er seinen Besuch während der Arbeitszeit.
In Normalfall hätte sich Daniel über seine Inkonsequenz lustig gemacht. Kleinlich gegenüber jeder Verfehlung der Klinik-Mitarbeiter, war der Verwaltungsdirektor im Augenblick gegen sich selbst sehr großzügig. Doch die momentane Lage ließ keinen Scherz zu.
»Falls es Probleme geben sollte: Sie wissen ja, dass die Klinik über Gelder der Stiftung verfügen kann«, teilte Daniel ihm mit. »Wenn Sie uns jetzt bitte allein lassen würden.«
»Natürlich. Ich wollte ohnehin gerade gehen. Ein wichtiger Termin mit der Buchhaltung wegen des Quartalsabschlusses.« Betont kühl verabschiedete sich Dieter Fuchs von seiner Angebeteten.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, schüttelte Elfriede den Kopf.
»Ich weiß wirklich nicht, was mit diesem Mann los ist. Er schenkt mir Blumen, lädt mich zu sich nach Hause ein und besucht mich ständig, leugnet aber hartnäckig, dass ich ihm gefalle.«
»Sie müssen Geduld mit ihm haben«, erwiderte Daniel und bezog seinen Posten am Fußende des Bettes. »Ich vermute, dass Herr Fuchs eine schwere Kindheit hatte.«
Elfriede lachte belustigt auf.
»Ach, wirklich?«. Dr. Nordens Miene ließ sie jedoch schnell wieder ernst werden. »Was ist denn? Warum sehen Sie mich so streng an?«
»Nehmen Sie Medikamente ein, die Sie bei der Anamnese verschwiegen haben?«
Elfriede schluckte.
»Ab und zu … gegen Kopfschmerzen. Aber das tut doch jeder. Ich wusste nicht, dass das so wichtig ist.«
Daniel stand der Ärger ins Gesicht geschrieben.
»Ich schätze es nicht, für dumm verkauft zu werden«, fuhr er sie an. Etwas ruhiger fuhr er fort: »Nach dem Zwischenfall bei dem Eingriff heute hat ein Kollege den Verdacht geäußert, dass Sie regelmäßig Mittel einnehmen, die zusammen mit dem Narkotikum die Krise ausgelöst haben.«
Beleidigt wandte Elfriede den Kopf ab.
»Warum fragen Sie mich überhaupt, wenn Sie Ihrer Sache so sicher sind?«, erwiderte sie trotzig.
Daniel ballte die Hände zu Fäusten.
»Ist das ein Ja?«
Elfriede biss sich auf die Lippe. Sie kämpfte mit sich.
»Ich habe vor einigen Jahren einen Mann kennengelernt, einen Apotheker. Er versorgt mich regelmäßig mit Schmerzmitteln.«
»Aber warum haben Sie uns das verschwiegen?«
Mit Tränen in den Augen sah Elfriede ihn wieder an.
»Weil ich versprochen habe, keiner Menschenseele davon zu erzählen. Sie hätten mich doch sicher gefragt, woher ich die Medikamente habe. Damit hätte ich Gustav in Teufels Küche gebracht. Das wollte ich nicht.«
»Und nehmen lieber in Kauf, bei der Operation zu sterben?« Daniel konnte es nicht fassen.
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass das solche Auswirkungen hat«, beteuerte sie.
Über diese Naivität konnte Dr. Norden nur den Kopf schütteln.
»Was glauben Sie eigentlich? Dass der Anästhesist das Operationsgespräch zum Spaß führt? Weil ihm nichts Besseres einfällt?«
Zutiefst betroffen senkte Elfriede Lammers den Blick. Auf diese Frage hatte sie keine Antwort. Das sah auch Daniel schließlich ein.
»Lassen Sie uns über den weiteren Verlauf der Behandlung sprechen. Ich möchte die abgebrochene OP möglichst bald beenden. Vorausgesetzt natürlich, Sie geben unserem Anästhesisten Dr. Klaiber diesmal genau Auskunft über die Präparate, die Sie zu sich genommen haben.«
»Ich verspreche es!« Elfriede hob die Hand zum Schwur.
Daniel Norden nickte. Wenigstens einen Teilsieg hatte er errungen. Auf dem Weg zur Tür blieb er noch einmal stehen.
»Was soll ich übrigens Ihrem Sohn sagen?«
»Die Wahrheit, was sonst?«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Nun musste Daniel doch noch lächeln.
»Eines muss man Ihnen lassen: