Der Stechlin. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726540147
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blüht in die Mitte. Nur nicht Astern. Astern sind ganz gut, aber doch sozusagen unterm Stand, und sehen immer aus wie ’n Bauerngarten. Und dann mache dich in den Keller und hol’ uns was Ordentliches herauf. Du weisst ja, was ich zum Frühstück am liebsten habe. Vielleicht hat Hauptmann Czako denselben Geschmack.“

      „Ich weiss noch nicht, um was es sich handelt, Herr von Stechlin; aber ich möchte mich für Übereinstimmung schon jetzt verbürgen.“

      Inzwischen waren auch Woldemar, Rex und der Pastor vom Gartensalon her auf die Veranda hinausgetreten, und Dubslav ging ihnen entgegen. „Guten Tag, Pastor. Nun, das ist recht. Ich dachte schon, Woldemar würde von Ihnen annektiert werden.“

      „Aber, Herr von Stechlin . . . Ihre Gäste . . . Und Woldemars Freunde.“

      „Betonen Sie das nicht so, Lorenzen. Es gibt Umgangsformen und Artigkeitsgesetze. Gewiss. Aber das alles reicht nicht weit. Was der Mensch am ehesten durchbricht, das sind gerade solche Formen. Und wer sie nicht durchbricht, der kann einem auch leid tun. Wie geht es denn in der Ehe? Haben Sie schon einen Mann gesehen, der die Formen wahrt, wenn seine Frau ihn ärgert? Ich nicht. Leidenschaft ist immer siegreich.“

      „Ja, Leidenschaft. Aber Woldemar und ich . . .“

      „Sind auch in Leidenschaft. Sie haben die Freundschaftsleidenschaft, Orest und Pylades — so was hat es immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr sagen will, Sie haben nebenher die Konspirationsleidenschaft . . .“

      „Aber, Herr von Stechlin.“

      „Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm’ es zurück, aber Sie haben dafür was anderes, nämlich die Weltverbesserungsleidenschaft. Und das ist eine der grössten, die es gibt. Und wenn solche zwei Weltverbesserer zusammen sind, da können Rex und Czako warten, und da kann selbst ein warmes Frühstück warten. Sagt man noch Déjeuner à la fourchette?“

      „Kaum, Papa. Wie du weisst, es ist jetzt alles englisch.“

      „Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist auch recht gut so, wiewohl unsre Vettern drüben erst recht nichts taugen. Selbst ist der Mann. Aber ich glaube, das Frühstück wartet.“

      Wirklich, es war so. Während die Herren zu zwei und zwei an der Buchsbaumwandung auf und ab schritten, hatte Engelke den Tisch arrangiert, an den jetzt Wirt und Gäste herantraten.

      Es war eine längliche Tafel, deren dem Rundell zugekehrte Längsseite man frei gelassen hatte, was allen einen Überblick über das hübsche Gartenbild gestattete. Dubslav, das Arrangement musternd, nickte Engelke zu, zum Zeichen, dass er’s getroffen habe. Dann aber nahm er die Mittelschüssel und sagte, während er sie Rex reichte: „Toujours perdrix. Das heisst, es sind eigentlich Krammetsvögel, wie schon gestern abend. Aber wer weiss, wie Krammetsvögel auf französisch heissen? Ich wenigstens weiss es nicht. Und ich glaube, nicht einmal Tucheband wird uns helfen können.“

      Ein allgemeines verlegenes Schweigen bestätigte Dubslavs Vermutung über französische Vokabelkenntnis.

      „Wir kamen übrigens“, fuhr dieser fort, „dicht vor Globsow durch einen Dohnenstrich, überall hingen noch viele Krammetsvögel in den Schleifen, was mir auffiel und was ich doch, wie so vieles Gute, meinem alten Krippenstapel zuschreiben muss. Es wäre doch ’ne Kleinigkeit für die Jungens, den Dohnenstrich auszuplündern. Aber so was kommt nicht vor. Was meinen Sie, Lorenzen?“

      „Ich freue mich, dass es ist, wie es ist, und dass die Dohnenstriche nicht ausgeplündert werden. Aber ich glaube, Herr von Stechlin, Sie dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen.“

      Dubslav lachte herzlich. „Da haben wir wieder die alte Geschichte. Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor herum, und jeder Pastor pastort über seinen Schulmeister. Ewige Rivalität. Der natürliche Zug ist doch, dass die Jungens nehmen, was sie kriegen können. Der Mensch stiehlt wie’n Rabe. Und wenn er’s mit einmal unterlässt, so muss das doch ’nen Grund haben.“

      „Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloss einen andern. Was sollen sie mit ’nem Krammetsvogel machen? Für uns ist es eine Delikatesse, für einen armen Menschen ist es gar nichts, knapp soviel wie ’n Sperling.“

      „Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit dem ,Patrimonium der Enterbten‘ im Anschlag: Sperling, das klingt ganz so. Aber so viel ist doch richtig, dass Krippenstapel die Jungens brillant in Ordnung hält; wie ging das heute Schlag auf Schlag, als ich den kurzgeschorenen Schwarzkopp ins Examen nahm, und wie stramm waren die Jungens und wie manierlich, als wir sie nach ’ner Stunde in Globsow wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt in allem. ,Frei, aber nicht frech‘, das ist so mein Satz.“

      Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabeigewesen waren, waren neugierig, auf welchen Vorgang sich all dies Lob des Alten bezöge.

      „Was hat denn“, fragte Woldemar, „die Globsower Jungens mit einemmal zu so guter Reputation gebracht?“

      „Oh, es war wirklich scharmant“, sagte Czako, „wir steckten noch unter den Waldbäumen, als wir auch schon Stimmen und Kommandorufe hörten, und kaum, dass wir auf einen freien, von Kastanien umstellten Platz hinausgetreten waren (eigentlich war es wohl schon ein grosser Fabrikhof), so sahen wir uns wie mitten in einer Bataille.“

      Rex nickte zustimmend, während Czako fortführ: „Auf unserer Seite stand die bis dahin augenscheinlich siegreiche Partei, deren weiterer Angriff aber wegen der guten gegnerischen Deckung mit einem Male stoppte. Kaum zu verwundern. Denn ebendiese Deckung bestand aus wohl tausend ein grosses Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene Truppe wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen sie nun und nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden Kastanien geführtes Feuergefecht auf. Die meisten ihrer Schüsse gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel ich weiss nicht wie lange zusehn können. Als man unser aber ansichtig wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken auseinander. Überall sind Photographen. Nur wo sie hingehören, da fehlen sie. Genauso wie bei der Polizei.“

      Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört.

      „Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehn es aber; Sie können mit ’nem Dukaten den Grossen Kurfürsten vergolden.“

      „Ja“, sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche lassend, „das tut unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer Dichtung.“

      „Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen.“

      „Und dabei, lieber Czako“, nahm jetzt Dubslav das Wort, „dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In so wichtiger Sache müssen Sie mir aber in meiner Lieblingssorte Bescheid tun, nicht in Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das ,natürliche Getränk des norddeutschen Menschen‘ genannt hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht der grösste. Das natürliche Getränk des norddeutschen Menschen ist am Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, wo sich, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. Ungefähr von dieser Vermählungsstelle kommt auch der hier.“ Und dabei wies er auf eine vor ihm stehende Bocksbeutelflasche. „Sehen Sie, meine Herren, verhasst sind mir alle langen Hälse; das hier aber, das nenn’ ich eine gefällige Form. Heisst es nicht irgendwo: „Lasst mich dicke Leute sehr‘ oder so ähnlich? Da stimm’ ich zu; dicke Flaschen, die sind mein Fall.“ Und dabei stiess er wiederholt mit Czako an. „Noch einmal, auf Ihr Wohl. Und auf Ihres, Herr von Rex. Und dann auf das Wohl meiner Globsower oder wenigstens meiner Globsower Jungens, die sich nicht bloss um Fehrbellin kümmern und um Leipzig, sondern, wie wir gesehen haben, auch selber ihre Schlachten schlagen. Ich ärgere mich nur immer, wenn ich diese riesigen Ballons da zwischen meinen Globsowern sehe. Und hinter dem ersten Fabrikhof (ich wollte Sie nur nicht weiter damit behelligen), da ist noch ein zweiter Hof, der sieht noch schlimmer aus. Da stehen nämlich wahre Glasungeheuer, auch Ballons, aber mit langem Hals dran, und die heissen dann Retorten.“

      „Aber Papa“, sagte Woldemar, „dass du dich über die paar Retorten und Ballons nie beruhigen kannst. Solang ich nur denken kann, eiferst du dagegen. Es ist doch ein wahres Glück,