Der Stechlin. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726540147
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Natürlich bloss ein Männchen, klein und eitel. Aber sehr elegant.“

      „Elegant?“ fragte Ezako. „Dann stimmt es nicht; dann haben Sie so gut wie keinen gesehen.“

      Unter diesem Gespräche waren sie bis an den Turm gekommen, der in mehreren Etagen und zuletzt auf blossen Leitern anstieg. Man musste schwindelfrei sein, um gut hinaufzukommen. Oben aber war es wieder gefahrlos, weil eine feste Wandung das Podium umgab. Rex und Czako hielten Umschau. Nach Süden hin lag das Land frei, nach den drei andern Seiten hin aber war alles mit Waldmassen besetzt, zwischen denen gelegentlich die sich hier auf weite Meilen hintziehende Seenkette sichtbar wurde. Der nächste See war der Stechlin.

      „Wo ist nun die Stelle?“ fragte Ezako. „Natürlich die, wo’s sprudelt und strudelt.“

      „Sehen Sie die kleine Buchtung da, mit der weissen Steinbank?“

      „Jawohl; ganz deutlich.“

      „Nun, von der Steinbank aus keine zwei Bootslängen in den See hinein, da haben Sie die Stelle, die, wenn’s sein muss, mit Java telephoniert.“

      „Ich gäbe was drum“, sagte Ezako, „wenn jetzt der Hahn zu krähen anfinge.“

      „Diese kleine Aufmerksamkeit muss ich Ihnen leider schuldig bleiben und hab’ überhaupt da nach rechts hin nichts anderes mehr für Sie als die roten Ziegeldächer, die sich zwischen dem Waldrand und dem See wie auf einem Bollwerk hinziehen. Das ist Kolonie Globsow. Da wohnen die Glasbläser. Und dahinter liegt die Glashütte. Sie ist noch unter dem Alten Fritz entstanden und heisst die ,grüne Glashütte‘.“

      „Die grüne? Das klingt ja beinah wie aus ’nem Märchen.“

      „Ist aber eher das Gegenteil davon. Sie heisst nämlich so, weil man da grünes Glas macht, allergewöhnlichstes Flaschenglas. An Rubinglas mit Goldrand dürfen Sie hier nicht denken. Das ist nichts für unsre Gegend.“

      Und damit kletterten sie wieder hinunter und traten, nach Passierung des Schlossvorhofs, auf den quadratischen Dorfplatz hinaus, an dessen einer Ecke die Schule gelegen war. Es musste die Schule sein, das sah man an den offenstehenden Fenstern und den Malven davor, und als die Herren bis an den grünen Staketenzaun heran waren, hörten sie auch schon den prompten Schulgang da drinnen, erst die scharfe, kurze Frage des Lehrers und dann die sofortige Massenantwort. Im nächsten Augenblick, unter Vorantritt Dubslavs, betraten alle den Flur, und weil ein kleiner weisser Kläffer sofort furchtbar zu bellen anfing, erschien Krippenstapel, um zu sehen, was los sei.

      „Guten Morgen, Krippenstapel“, sagte Dubslav. „Ich bring’ Ihnen Besuch.“

      „Sehr schmeichelhaft, Herr Baron.“

      „Ja, das sagen Sie; wenn’s nur wahr ist. Aber unter allen Umständen lassen Sie den Baron aus dem Spiel . . . Sehen Sie, meine Herren, mein Freund Krippenstapel is ein ganz eignes Haus. Alltags nennt er mich ‚Herr von Stechlin ̒ (den Major unterschlägt er), und wenn er ärgerlich ist, nennt er mich ,gnäd’ger Herr‘. Aber sowie ich mit Fremden komme, betitelt er mich ,Herr Baron‘. Er will was für mich tun.“

      Krippenstapel, still vor sich hin schmunzelnd, hatte mittlerweile die Tür zu der seiner Schulklasse gegenübergelegenen Wohnstube geöffnet und bat die Herren, eintreten zu wollen. Sie nahmen auch jeder einen Stuhl in die Hand, aber stützten sich nur auf die Lehne, während das Gespräch zwischen Dubslav und dem Lehrer seinen Fortgang nahm. „Sagen Sie, Krippenstapel, wird es denn überhaupt gehen? Sie sollen uns natürlich alles zeigen, und die Schule ist noch nicht aus.“

      „Oh, gewiss geht es, Herr von Stechlin.“

      „Ja, hören Sie, wenn der Hirt fehlt, rebelliert die Herde . . .“

      „Nicht zu befürchten, Herr von Stechlin. Da war mal ein Burgemeister, achtundvierziger Zeit, Namen will ich lieber nicht nennen, der sagte: ,Wenn ich meinen Stiefel ans Fenster stelle, regier’ ich die ganze Stadt.‘ Das war mein Mann.“

      „Richtig; den hab’ ich auch noch gekannt. Ja, der verstand es. Überhaupt immer in der Furcht des Herrn. Dann geht alles am besten. Der Hauptregente bleibt doch der Krückstock.“

      „Der Krückstock“, bestätigte Krippenstapel. „Und dann freilich die Belohnungen.“

      „Belohnungen?“ lachte Dubslao. „Aber Krippenstapel, wo nehmen Sie denn die her?“

      „Oh, die hat’s schon, Herr von Stechlin. Aber immer mit Verschiedenheiten. Ist es was Kleines, so kriegt der Junge bloss ’nen Ratzenkopp weniger, ist es aber was Grosses, dann kriegt er ’ne Wabe.“

      „’ne Wabe? Richtig. Davon haben wir schon heute früh beim Frühstück gesprochen, als Ihr Honig auf den Tisch kam. Ich habe den Herren dabei gesagt, Sie wären der beste Imker in der ganzen Grafschaft.“

      „Zuviel Ehre, Herr von Stechlin. Aber das darf ich sagen, ich versteh’ es. Und wenn die Herren mir folgen wollen, um das Volk bei der Arbeit zu sehen — es ist jetzt gerade beste Zeit.“

      Alle waren einverstanden, und so gingen sie denn durch den Flur bis in den Hof und Garten hinaus und nahmen hier Stellung vor einem offenen Etageschuppen, drin die Stöcke standen, nicht altmodische Bienenkörbe, sondern richtige Bienenhäuser, nach der Dzierzonschen Methode, wo man alles herausnehmen und jeden Augenblick in das Innere bequem hineingucken kann. Krippenstapel zeigte denn auch alles, und Rex und Szako waren ganz aufrichtig interessiert.

      „Nun aber, Herr Lehrer Krippenstapel“, sagte Ezako, „nun bitte, geben Sie uns auch einen Kommentar. Wie is das eigentlich mit den Bienen? Es soll ja was ganz Besondres damit sein.“

      „Ist es auch, Herr Hauptmann. Das Bienenleben ist eigentlich feiner und vornehmer als das Menschenleben.“

      „Feiner, das kann ich mir schon denken; aber auch vornehmer? Was Vornehmeres als den Menschen gibt es nicht. Indessen, wie’s damit auch sei, ja‘ oder ,nein‘, Sie machen einen nur immer neugieriger. Ich habe mal gehört, die Bienien sollen sich auf das Staatliche so gut verstehen; beinah vorbildlich.“

      „So ist es auch, Herr Hauptmann. Und eines ist ja da, worüber sich als Thema vielleicht reden lässt. Da sind nämlich in jedem Stock drei Gruppen oder Klassen. In Klasse eins haben wir die Königin, in Klasse zwei haben wir die Arbeitsbienen (die, was für alles Arbeitsvolk wohl eigentlich immer das beste ist, geschlechtslos sind), und in Klasse drei haben wir die Drohnen; die sind männlich, worin zugleich ihr eigentlicher Beruf besteht. Denn im übrigen tun sie gar nichts.“

      „Interessanter Staat. Gefällt mir. Aber immer noch nicht vorbildlich genug.“

      „Und nun bedenken Sie, Herr Hauptmann. Winterlang haben sie so dagesessen und gearbeitet oder auch geschlafen. Und nun kommt der Frühling, und das erwachende neue Leben ergreift auch die Bienen, am mächtigsten aber die Klasse eins, die Königin. Und sie beschliesst nun, mit ihrem ganzen Volk einen Frühlingsausflug zu machen, der sich für sie persönlich sogar zu einer Art Hochzeitsreise gestaltet. So muss ich es nennen. Unter den vielen Drohnen nämlich, die ihr auf der Ferse sind, wählt sie sich einen Begleiter, man könnte sagen einen Tänzer, der denn auch berufen ist, alsbald in eine noch intimere Stellung zu ihr einzurücken. Etwa nach einer Stunde kehrt die Königin und ihr Hochzeitszug in die beengenden Schranken ihres Staates zurück. Ihr Dasein hat sich inzwischen erfüllt. Ein ganzes Geschlecht von Bienen wird geboren, aber weitere Beziehungen zu dem bewussten Tänzer sind ein für allemal ausgeschlossen. Es ist das gerade das, was ich vorhin als fein und vornehm bezeichnet habe. Bienenköniginnen lieben nur einmal. Die Bienenkönigin liebt und stirbt.“

      „Und was wird aus der bevorzugten Drohne, aus dem Prinzessinnen-Tänzer, dem Prince Consort, wenn dieser Titel ausreicht?“

      „Dieser Tänzer wird ermordet.“

      „Nein, Herr Lehrer Krippenstapel, das geht nicht. Unter dieser letzten Mitteilung bricht meine Begeisterung wieder zusammen. Das ist ja schlimmer als der Heinesche Asra. Der stirbt doch bloss. Aber hier haben wir Ermordung. Sagen Sie, Rex, wie stehen Sie dazu?“

      „Das monogamische Prinzip, woran doch schliesslich