Der Stechlin. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726540147
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Rex und Ezako die Stufen zum Garten hinunter und begrüssten den Alten. Er erkundigte sich nach ihren nächtlichen Schicksalen, freute sich, dass sie ,,durchgeschlafen“ hätten, und nahm dann Czakos Arm, um vom Garten her auf die Veranda, wo Engelke mittlerweile unter der grossen Markise den Frühstückstisch hergerichtet hatte, zurückzukehren. „Darf ich bitten, Herr von Rex.“ Und er wies auf einen Gartenstuhl, ihm gerade gegenüber, während Woldemar und Czako links und rechts. neben ihm Platz nahmen. „Ich habe neuerdings den Tee eingeführt, das heisst nicht obligatorisch; im Gegenteil, ich persönlich bleibe lieber bei Kaffee, schwarz wie der Teufel, süss wie die Sünde, heiss wie die Hölleʻ, wie bereits Talleyrand gesagt haben soll. Aber, Pardon, dass ich Sie mit so was überhaupt noch belästige. Schon mein Vater sagte mal: ,Ja, wir auf dem Lande, wir haben immer noch die alten Wiener Kongresswitze.‘ Und das ist nun schon wieder ein Menschenalter her.“

      „Ach, diese alten Kongresswitze“, sagte Rex verbindlich, „ich möchte mir die Bemerkung erlauben, Herr Major, dass diese alten Witze besser sind als die neuen. Und kann auch kaum anders sein. Denn wer waren denn die Verfasser von damals? Talleyrand, den Sie schon genannt haben, und Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gentz und ihresgleichen. Ich glaube, dass das Metier seitdem sehr herabgestiegen ist.“

      „Ja, herabgestiegen ist alles, und es steigt immer weiter nach unten. Das ist, was man neue Zeit nennt, immer weiter runter. Und mein Pastor, den Sie ja gestern abend kennengelernt haben, der behauptet sogar, das sei das Wahre, das sei das, was man Kultur nenne, dass immer weiter nach unten gestiegen würde. Die aristokratische Welt habe abgewirtschaftet, und nun komme die demokratische...“

      „Sonderbare Worte für einen Geistlichen“, sagte Rex, „für einen Mann, der doch die durch Gott gegebenen Ordnungen kennen sollte.“

      Dubslav lachte. „Ja, das bestreitet er Ihnen. Und ich muss bekennen, es hat manches für sich, trotzdem es mir nicht recht passt. Im übrigen, wir werden ihn, ich meine den Pastor, ja wohl noch beim zweiten Frühstück sehen, wo Sie dann Gesetzenheit nehmen können, sich mit ihm persönlich darüber auseinanderzusetzen; er liebt solche Gespräche, wie Sie wohl schon gemerkt haben, und hat eine kleine Lutherneigung, sich immer auf das jetzt übliche: ,Hier steh’ ich, ich kann nicht anders’ auszuspielen. Mitunter sieht es wirklich so aus, als ob wieder eine gewisse Märtyrerlust in die Men- schen gefahren wäre, bloss ich trau’ dem Frieden noch nicht so recht.“

      „Ich auch nicht“, bemerkte Rex, „meistens Renommisterei.“

      „Na, na“, sagte Czako. „Da hab’ ich doch noch diese letzten Tage von einem armen russischen Lehrer gelesen, der unter die Soldaten gesteckt wurde (sie haben da jetzt auch so was wie allgemeine Dienstpflicht), und dieser Mensch, der Lehrer, hat sich geweigert, eine Flinte loszuschiessen, weil das bloss Vorschule sei zu Mord und Totschlag, also ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieser Mensch ist sehr gequält worden, und zuletzt ist er gestorben. Wollen Sie das duch Renommisterei nennen?“

      „Gewiss will ich das.“

      „Herr von Rex“, sagte Dubslav, „sollten Sie dabei nicht zu weit gehen? Wenn sich’s ums Sterben handelt, da hört das Renommieren auf. Aber diese Sache, von der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern Schlüssel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen Renommisterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer sind nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht habe; heisst Krippenstapel, was allein schon was sagen will. Er ist grad’ um ein Jahr älter als ich, also runde siebenundsechzig, und eigentlich ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber verrückt ist er doch.“

      „Das sind alle“, sagte Rex. „Alle Lehrer sind ein Schrecknis. Wir im Kultusministerium können ein Lied davon singen. Diese Abc-Pauker wissen alles, und seitdem Anno sechsundsechzig der unsinnige Satz in die Mode kam, ̦der preussische Schulmeister habe die Österreicher geschlagen‘ — ich meinerseits würde lieber dem Zündnadelgewehr oder dem alten Steinmetz, der alles, nur kein Schulmeister war, den Preis zuerkennen —, seitdem ist es vollends mit diesen Leuten nicht mehr auszuhalten. Herr von Stechlin hat eben von einem der Humboldts gesprochen; nun, an Wilhelm von Humboldt trauen sie sich noch nicht recht heran, aber was Alexander von Humboldt konnte, das können sie nun schon lange.“

      „Da treffen Sie’s, Herr von Rex“, sagte. Dubslav. „Genauso ist meiner auch. Ich kann nur wiederholen, ein vorzüglicher Mann; aber er hat den Prioritätswahnsinn. Wenn Koch das Heilserum erfindet oder Edison Ihnen auf fünfzig Meilen eine Oper vorspielt, mit Getrampel und Händeklatschen dazwischen, so weist Ihnen mein Krippenstapel nach, dass er das vor dreissig Jahren auch schon mit sich ʼrumgetragen habe.“

      „Ja, ja, so sind sie alle.“

      „Übrigens . . . Aber darf ich Ihnen nicht noch von diesem gebackenen Schinken vorsetzen? . . . Übrigens mahnt mich Krippenstapel daran, dass die Feststellung eines Vormittagsprogramms wohl an der Zeit sein dürfte; Krippenstapel ist nämlich der geborene Cicerone dieser Gegenden, und durch Woldemar weiss ich bereits, dass Sie uns die Freude machen wollen, sich um Stechlin und Umgegend ein klein wenig zu kümmern, Dorf, Kirche, Wald, See — um den See natürlich am meisten, denn der ist unsre pièce de résistance. Das andere gibt es woanders auch, aber der See . . . Lorenzen erklärt ihn ausserdem noch für einen richtigen Revolutionär, der gleich mitrumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch wirklich so. Mein Pastor aber sollte, beiläufig bemerkt, so was lieber nicht sagen. Das sind so Geistreichigkeiten, die leicht übel vermerkt werden. Ich persönlich lass’ es laufen. Es gibt nichts, was mir so verhasst wäre wie Polizeimassregeln oder einem Menschen, der gern ein freies Wort spricht, die Kehle zuzuschnüren. Ich rede selber gern, wie mir der Schnabel gewachsen ist.“

      „Und verplauderst dich dabei“, sagte Woldemar, „und vergisst zunächst unser Programm. Um spätestens zwei müssen wir fort; wir haben also nur noch vier Stunden. Und Globsow, ohne das es nicht gehen wird, ist weit und kostet uns wenigstens die Hälfte davon.“

      „Alles richtig. Also das Menü, meine Herren. Ich denke mir die Sache so. Erst (da gleich hinter dem Buchsbaumgange) Besteigung des Aussichtsturmes — noch eine Anlage von meinem Vater her, die sich, nach Ansicht der Leute hier, vordem um vieles schöner ausnahm als jetzt. Damals waren nämlich noch lauter bunte Scheiben da oben, und alles, was man sah, sah rot oder blau oder orangefarben aus. Und alle Welt hier war unglücklich, als ich diese bunten Gläser wegnehmen liess. Ich empfand es aber wie ’ne Naturbeleidigung. Grün ist grün und Wald ist Wald . . . Also Nummer eins der Aussichtsturm; Nummer zwei Krippenstapel und die Schule; Nummer drei die Kirche samt Kirchhof. Pfarre schenken wir uns. Dann Wald und See. Und dann Globsow, wo sich eine Glasindustrie befindet. Und dann wieder zurück, und zum Abschluss ein zweites Frühstück, eine altmodische Bezeichnung, die mir aber trotzdem iminer besser klingt als Lunch. ,Zweites Frühstück ̒ hat etwas ausgesprochen Behagliches und gibt zu verstehen, dass man ein erstes schon hinter sich hat . . . Woldemar, dies ist mein Programm, das ich dir, als einem Eingeweihten, hiermit unterbreite. Ja oder nein?“

      „Natürlich ja, Papa. Du triffst dergleichen immer am besten. Ich meinerseits mache aber nur die erste Hälfte mit. Wenn wir in der Kirche fertig sind, muss ich zu Lorenzen. Krippenstapel kann mich ja mehr als ersetzen, und in Globsow weiss er all und jedes. Er spricht, als ob er Glasbläser gewesen wäre.“

      „Darf dich nicht wundern. Dafür ist er Lehrer im allgemeinen und Krippenstapel im besonderen.“

      So war denn also das Programm festgestellt, und nachdem Dubslav mit Engelkes Hilfe seinen noch ziemlich neuen weissen Filzhut, den er sehr schonte, mit einem wotanartigen schwarzen Filzhut vertauscht und einen schweren Eichenstock in die Hand genommen hatte, brach man auf, um zunächst auf den als erste Sehenswürdigkeit festgesetzten Aussichtsturm hinaufzusteigen. Der Weg dahin, keine hundert Schritte, führte durch einen sogenannten Poetensteig. „Ich weiss nicht“, sagte Dubslav, „warum meine Mutter diesen etwas anspruchsvollen Namen hier einführte. Soviel mir bekannt, hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was zu dieser Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung geben können. Und ist auch recht gut so.“

      „Warum gut, Papa?“

      „Nun, nimm es nicht übel“, lachte Dubslav. „Du sprichst