„Bisschen stark“, sagte Rex. „Ganz im alten Heim-Stil. Aber freilich, Königinnen lassen sich viel gefallen. Und wie nahm es die Prinzessin auf?“
„Oh, sie war reizend, lachte, war weder verlegen noch verstimmt, sondern nahm meines Vaters Hand so zutraulich, wie wenn sie seine Tochter gewesen wäre. ,Ja, lieber Herr von Stechlin‘, sagte sie, ,wer A sagt, der muss auch B sagen. Wenn ich diesen Segen durchaus nicht wollte, dann musst’ ich einen Durchschnittsprinzen heiraten — da hätt’ ich vielleicht das gehabt, was der alte Heim empfehlen zu müssen glaubte. Statt dessen nahm ich aber meinen guten Katzler. Herrlicher Mann. Sie kennen ihn und wissen, er hat die schöne Einfachheit aller stattlichen Männer, und seine Fähigkeiten, soweit sich überhaupt davon sprechen lässt, haben etwas Einseitiges. Als ich ihn heiratete, war ich deshalb ganz von dem einen Gedanken erfüllt, alles Prinzessliche von mir abzustreifen und nichts bestehen zu lassen, woraus Übelwollende hätten herleiten können: Ah, sie will immer noch eine Prinzessin sein. Ich entschloss mich also für das Bürgerliche, und zwar ,voll und ganz‘, wie man jetzt, glaub’ ich, sagt. Und was dann kam, nun, das war einfach die natürliche Konsequenz.‘ “
„Grossartig“, sagte Rex. „Ich entschlage mich nach solchen Mitteilungen jeder weiteren Opposition. Welch ein Mass von Entsagung! Denn auch im Nichtentsagen kann ein Entsagen liegen. Andauernde Opferung eines Innersten und Höchsten.“
„Unglaublich!“ lachte Czako. „Rex, Rex. Ich hab’ Ihnen da schon vorhin alle Menschenkenntnis abgesprochen. Aber hier übertrumpfen Sie sich selbst. Wer Konventikel leitet, der sollte doch wenigstens die Weiber kennen. Erinnern Sie sich, Stechlin sagte, sie sei lymphatisch und habe Vergissmeinnichtaugen. Und nun sehen Sie sich den Katzler an. Beinah sechs Fuss und rotblond und das Eiserne Kreuz.“
„Czako, Sie sind mal wieder frivol. Aber man darf es mit Ihnen so genau nicht nehmen. Das ist das Slawische, was in Ihnen nachspukt; latente Sinnlichkeit.“
„Ja, sehr latent; durchaus vergrabner Schatz. Und ich wollte wohl, dass ich in die Lage käme, besser damit wuchern zu können. Aber . . .“
So ging das Gespräch noch eine gute Weile.
Die grosse Chaussee, darauf ihr Weg inzwischen wieder eingemündet, stieg allmählich an, und als man den Höhepunkt dieser Steigung erreicht hatte, lag das Kloster samt seinem gleichnamigen Städtchen in verhältnismässiger Nähe vor ihnen. Auf ihrem Hinritte hatten Rex und Czako so wenig davon zu Gesicht bekommen, dass ein gewisses Betroffensein über die Schönheit des sich ihnen jetzt darbietenden Landschafts- und Architekturbildes kaum ausbleiben konnte. Czako besonders war ganz aus dem Häuschen, aber auch Rex stimmte mit ein. „Die grosse Feldsteingiebelwand“, sagte er, „so gewagt im allgemeinen bestimmte Zeitangaben auf diesem Gebiete sind, möchť ich in das Jahr 1375, also Landbuch Kaiser Karls. IV., setzen dürfen.“
„Wohl möglich“, lachte Woldemar. „Es gibt nämlich Zahlen, die nicht gut widerlegt werden können, und ‚Landbuch Kaiser Karls IV.‘ passt beinah immer.“
Rex hörte drüber hin, weil er in seinem Geiste mal wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffassung der Dinge zustrebte. „Ja, meine Herren“, hob er an, „das geschmähte Mittelalter. Da verstand man’s. Ich wage den Ausspruch, den ich übrigens nicht einem Kunsthandbuch entnehme, sondern der langsam in mir herangereift ist: ,Die Platzfrage geht über die Stilfrage.‘ Jetzt wählt man immer die hässlichste Stelle. Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man sah besser.“
„Gewiss“, sagte Czako. „Aber dieser Angriff auf die Brillen, Rex, ist nichts für Sie. Wer mit seinem Pincenez oder Monokel so viel operiert . . .“
Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblick mächtige Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte. „Vier.“ Kaum aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann eine zweite und tat auch ihre vier Schläge.
„Das ist die Klosteruhr“, sagte Czako.
„Warum?“
„Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. Aber wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, glaub’ ich, für vier Uhr angemeldet, und so werden wir uns eilen müssen.“
7
Alle setzten sich denn auch wieder in Trab, mit ihnen Fritz, der dabei näher an die voraufreitenden Herren herankam. Das Gespräch schwieg ganz, weil jeder in Erwartung der kommenden Dinge war.
Die Chaussee lief hier, auf eine gute Strecke, zwischen Pappeln hin; als man aber bis in unmittelbare Nähe von Kloster Wutz gekommen war, hörten diese Pappeln auf, und der sich mehr und mehr verschmälernde Weg wurde zu beiden Seiten von Feldsteinmauern eingefasst, über die man alsbald in die verschiedensten Gartenanlagen mit allerhand Küchen- und Blumenbeeten und mit vielen Obstbäumen dazwischen hineinsah. Alle drei liessen jetzt die Pferde wieder in Schritt fallen.
„Der Garten hier links“, sagte Woldemar, „ist der Garten der Domina, meiner Tante Adelheid; etwas primitiv, aber wundervolles Obst. Und hier gleich rechts, da bauen die Stiftsdamen ihren Dill und ihren Meiran. Es sind aber nur ihrer vier, und wenn welche gestorben sind — aber sie sterben selten —, so sind es noch weniger.“
Unter diesen orientierenden Mitteilungen des hier aus seinen Knabenjahren her Weg und Steg kennenden Woldemar waren alle durch eine Maueröffnung in einen grossen Wirtschaftshof eingeritten, der baulich so ziemlich jegliches enthielt, was hier, bis in die Tage des Dreissigjährigen Krieges hinein, der dann freilich alles zerstörte, mal Kloster Wutz gewesen war. Vom Sattel aus liess sich alles bequem überblicken. Das meiste, was sie sahen, waren wirr durcheinandergeworfene, von Baum und Strauch überwachsene Trümmermassen.
„Es erinnert mich an den Palatin“, sagte Rex, „nur ins Christlich-Gotische transponiert.“
„Gewiss“, bestätigte Czako lachend. „Soweit ich urteilen kann, sehr ähnlich. Schade, dass Krippenstapel nicht da ist. Oder Tucheband.“
Damit brach das Gespräch wieder ab.
In der Tat, wohin man sah, lagen Mauerreste, in die, seltsamlich genug, die Wohnungen der Klosterfrauen eingebaut waren, zunächst die grössere der Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen, alles an der vorderen Langseite hin. Dieser gegenüber aber zog sich eine zweite, parallellaufende Trümmerlinie, darin die Stallgebäude, die Remisen und die Rollkammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die zwei Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine von Holunderbüschen übergrünte Mauer, die andere dagegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war, dieselbe, die man schon beim Anritt aus einiger Entfernung gesehen hatte. Sie stand da, wie bereit, alles unter ihrem beständig drohenden Niedersturz zu begraben, und nur das eine konnte wieder beruhigen, dass sich auf höchster Spitze der Wand ein Storchenpaar eingenistet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiss, ob etwas hält oder fällt.
Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten, bis an die in die Feldsteintrümmer eingebauten Wohngebäude waren nur wenige Schritte, und als man davor hielt, erschien alsbald die Domina selbst, um ihren Neffen und seine beiden Freunde zu begrüssen. Fritz, der, wie überall, so auch hier Bescheid wusste, nahm die Pferde, um sie nach einem an der anderen Seite gelegenen Stallgebäude hinüberzuführen, während Rex und Czako nach kurzer Vorstellung in den von Schränken umstellten Flur eintraten.
„Ich habe dein Telegramm“, sagte die Domina, „erst um ein Uhr erhalten. Es geht über Gransee, und der Bote muss weit laufen. Aber sie wollen ihm ein Rad anschaffen, solches, wie jetzt überal Mode ist. Ich sage Rad, weil ich das fremde Wort, das so verschieden ausgesprochen wird, nicht leiden kann. Manche sagen ,ci‘, und manche sagen ,schi‘. Bildungsprätensionen sind mir fremd, aber man will sich doch auch nicht blossstellen.“
Eine Treppe führte bis in den ersten Stock hinauf, eigentlich war es nur eine Stiege. Die Domina, nachdem sie die Herren bis an die unterste Stufe begleitet hatte, verabschiedete