Wer nur auf die Löcher starrt, verpasst den Käse. Sabine Zinkernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine Zinkernagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862567027
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mit Ehren an.‹«

      Nicht unbedingt ein Spruch aus der Lebenswelt einer Vierzehnjährigen, die sich gerade daran macht, die Welt zu erobern. Ich habe ihn damals einfach gelernt und aufgesagt. Nur bei der Stelle: »Du leitest mich nach deinem Rat« ist mir statt des »deinem« ein »meinem« herausgerutscht. Hätte ich es nicht sofort bemerkt und mich verbessert, wäre wohl niemandem außer dem Pfarrer etwas aufgefallen. So aber habe ich mich in meinen Augen vor der versammelten Gemeinde blamiert – und diesen Text nie wieder vergessen.

      Vielleicht sollte das so sein. Damals einfach ein Versprecher, jetzt der Punkt, an dem ich meinen Glauben neu justieren muss: Es geht letztendlich um deinen Willen für mein Leben. Natürlich darf ich auch meinen Willen hineinbringen, dir meine Wünsche und Vorstellungen sagen und darauf vertrauen, dass du sie nach Möglichkeit in deinen Plan für mein Leben einbauen wirst. Aber irgendwann kommt jeder Christ zwangsläufig an den Punkt, wo der eigene Wille und die Lebenswirklichkeit absolut nicht deckungsgleich sind. Und erst da zeigt sich, wie stark der eigene Glaube wirklich ist: Wendet er sich enttäuscht ab, oder hält er mit einem trotzigen »Dennoch ...« an dir fest? Willigt er ein in das: »Du leitest mich nach deinem Rat« und glaubt weiterhin, dass du einen gangbaren Weg für den Rest des Lebens hast?

      Ich stehe vor keiner geringeren Frage als der, ob ich dir weiter vertrauen will, obwohl ich dich gerade absolut nicht verstehe.

      Eigentlich ist meine Antwort klar. Ohne dich kann ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen, dazu habe ich schon viel zu viel Gutes mit dir erlebt. Auch wenn sich damit nicht alle meine Fragen und Klagen schlagartig in Luft auflösen werden, auch wenn ich mich wohl mein ganzes Leben lang immer wieder zu diesem Entschluss neu werde durchringen müssen – dennoch kann ich deine Frage eigentlich nur beantworten mit einem: »Ja, ich will. So wahr mir Gott helfe.«

      Das Märchen von der traurigen Königin im Zauberhaus

       August 1998

      Es war einmal ...

      ... eine Königin, die wünschte sich so gerne Kinder. Als ihre Zeit gekommen war, gebar sie erst einen, dann einen zweiten wunderschönen blonden Prinzen.

      Aber anstatt sich über dieses Geschenk des Himmels zu freuen, saß die Königin stundenlang in ihren Gemächern und weinte. Denn, ach!, ihre Söhne waren nicht so geraten, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie krabbelten statt zu laufen, brabbelten statt zu sprechen, rollten durch das Schloss, statt auf ihren Steckenpferden zu reiten. Das stimmte die Königin so traurig, dass sie den ganzen Tag lang nur noch weinte.

      Der König versuchte alles, um seine Gemahlin zu trösten, aber nichts konnte sie wieder dazu bringen, zu lachen und fröhlich zu sein.

      In seiner Not fragte der König überall im Lande, wer seine Gemahlin wieder zum Lachen bringen könne. Aber niemand wusste Rat.

      Eines Tages klopfte ein fremder Wanderer an das Königsschloss und bat um Gehör. »Königin«, sprach er zu der traurigen Mutter, »ich weiß einen Ort, hinter zwei dichten Wäldern und drei grünen Hügeln, wo Ihr das Lachen wieder lernen könnt. Dieses Zauberhaus dürft Ihr aber nicht alleine aufsuchen; Ihr müsst Eure Kinder mitnehmen.« Er beschrieb der Königin den Weg zu diesem Ort und ging.

      Die Königin wagte kaum, den Worten des Fremden zu glauben. Aber da es auch nicht schaden konnte, setzte sie die beiden Prinzen in ihre Kutsche und machte sich auf zu dem Ort, den der Wanderer ihr gewiesen hatte.

      Erstaunt stellte die Königin fest, dass das Zauberhaus einen ganz gewöhnlichen Eindruck machte. Hinter einer hölzernen Gartentür führte ein schmaler Fußweg zu einem niedrigen weißen Haus mit einem breiten weißen Tor.

      Sollte sie es wagen, einzutreten?

      Zaghaft nahm die Königin ihre Kinder auf den Arm und öffnete die Gartentür. Nichts rührte sich. So schritt sie den Weg entlang bis an das Häuschen. Das Tor war verschlossen. Etwas ratlos sah sie sich um und erspähte schließlich im linken oberen Eck des Tores einen unscheinbaren Knopf. Vorsichtig drückte sie auf den Knopf – und das weiße Tor öffnete sich. Als die drei eingetreten waren, schloss sich wie von Geisterhand das Tor hinter ihnen.

      Die Königin erblickte eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber sie spürte, dass sie soeben eine andere Welt betreten hatte. Sie stand in einem breiten Gang, der zu mehreren Zimmern führte, aus denen fröhliches Lachen und Musik drangen. Bunte Bilder schmückten den Gang, daneben hingen hölzerne Rahmen mit so alltäglichen Dingen wie Schuhbürsten, Teppichstücken oder Holzkugeln. Ihr Erstgeborener, Prinz Jacob, fühlte sich an diesem neuen Ort sofort wohl. Er griff in den hölzernen Rahmen, strich mit seiner kleinen Hand über die Bürste und lachte. Prinz Cornelius hatte derweil in einem anderen hölzernen Rahmen Drähte entdeckt, die Töne von sich gaben, wenn man sie berührte. Auch er lachte.

      Da trat aus einer der Türen eine junge Frau, gefolgt von einer Schar kleiner Kinder. Einige liefen, aber ein Kind rutschte auf dem Hinterteil vorwärts – genau wie der jüngere Königssohn. Zwei andere Kinder wurden in kleinen Wägelchen geschoben, obwohl sie groß genug waren, um laufen zu können. Die Königin staunte: Man hatte ihr zwar erzählt, dass es außer ihren Söhnen noch mehr Kinder gab, die anders waren als die meisten, aber in so großer Zahl hatte sie solche Kinder noch nie gesehen. Und sie alle schienen glücklich zu sein in diesem Zauberhaus.

      Die junge Frau trat auf die Königin zu und hieß sie willkommen. Dann wies sie ihr eine Tür, hinter der die Herrin des weißen Hauses residierte. Auch diese begrüßte die Königin samt ihren Kindern freundlich und führte sie durch ihr Reich.

      Je mehr sie erblickte, umso mehr geriet die Königin in Staunen. In diesem Haus gab es ein Wasserbecken, in dem Kinder fröhlich planschten, auch wenn sie dabei von Erwachsenen gehalten werden mussten. Daneben befand sich ein Kämmerchen, in dem leise Musik ertönte und ein weiches Bett zum Ruhen einlud. In einem anderen Saal tobten Kinder. Einige von ihnen trugen Helme auf dem Kopf; ein anderes bemühte sich, mit Hilfe eines schwarz gelockten Jünglings ein paar Schritte an einem Wägelchen zu machen.

      »Seht her, Prinzessin Katharina hat es geschafft!«, jubelte dieser, als er die Hausherrin erblickte. Diese lief zu dem Mädchen, hob es glücklich in die Höhe und rief aus: »Katharina hat ihre ersten Schritte gemacht! Das müssen wir feiern!« Der Jüngling lief los und verkündete die frohe Nachricht in allen Räumen. Von überall kamen nun Menschen gelaufen, die sich um Katharina drängten, sie umarmten und lobten. Das kleine Mädchen strahlte. Wieder und wieder griff sie zu ihrem Wägelchen, um damit noch einmal einen Schritt zu gehen. Es bereitete ihr Mühe, aber die Begeisterung der anderen spornte sie an.

      »Die Ärzte haben gesagt, Katharina würde nie laufen lernen«, erklärte die Hausherrin der Königin. »Aber Prinzessin Katharina hat diese Weissagung widerlegt.«

      »Wird sie jemals richtig gut laufen können, rennen und springen wie andere Kinder?«, fragte die Königin ungläubig.

      »Sicher nicht«, entgegnete der Jüngling, der mit Katharina das Laufen geübt hatte. »Aber für ihre Verhältnisse hat sie heute Großartiges geleistet.«

      Bei diesen Worten horchte die Königin auf. »Für ihre Verhältnisse ... Großartiges«, hatte der Jüngling gesagt? Für eine Fünfjährige, die soeben etwas vollbracht hatte, was alle normalen Kinder vier Jahre früher schafften?

      Diese Worte klangen so anders als alles, was die Königin bisher gehört hatte. Wenn die Ärzte über ihre Kinder gesprochen hatten, hatten sie Worte gewählt wie »nicht altersgerecht« oder »stark verzögert«. Worte, die verletzten und traurig stimmten.

      Diese neuen Worte des Jünglings fielen tief ins Herz der Königin und begannen dort, langsam und noch unbemerkt, ihre Trauer aufzulösen. Wenn sie all diese Kinder beobachtete, die in irgendeiner Hinsicht »nicht altersgerecht« waren, aber dennoch fröhlich lachten und »für ihre Verhältnisse Großartiges« vollbrachten, wurde ihr warm ums Herz.

      Gerne hätte sie noch länger an diesem wunderbaren Ort verweilt, doch, ach, ihre Pflichten riefen sie zurück in ihr Schloss. Doch bevor sie ihre Prinzen wieder in die Kutsche setzte, bat sie die