So ging es auch jetzt: kaum waren wir in die Stube eingetreten und hatten an dem Tisch Platz genommen, ging er mit dem leeren Mostkrug in den Keller und kam mit dem vollen wieder herauf. Dann holte er die Gläser und stellte sie vor uns auf den Tisch, aber so knapp an den Rand, daß man wirklich fürchten mußte, sie könnten hinunterkippen.
Dann schenkte er uns ein und machte die Schublade auf, holte den Brotlaib und ein Messer heraus und säbelte zwei Ranken für uns herunter.
Dann fragte er sehr besorgt, wie es denn mit dem Arm gekommen und wo es passiert sei? Er war ja im ersten Weltkrieg auch Soldat, und da war er in Straßburg, hauptsächlich als Wachposten, und er habe auch einen Orden bekommen. Aber das sei ja jetzt etwas anderes, und verwundet sei er auch nicht worden, Gott sei Dank nicht. Mein Ähne zeigte sich also sehr besorgt, und schon deshalb mußte mein Vater anders über ihn denken.
Jetzt kam auch die Ahne dazu, und sie bedauerte meinen Vater ebenfalls. Dann könne er ja jetzt gar nichts schaffen und kein Gewehr halten, meinte sie.
Ja, so sei es, sagte mein Vater, aber wir würden den Krieg schon gewinnen; man solle ihn nur wieder gesund werden lassen.
Wo er denn zur Zeit stationiert sei, wollten beide wissen.
Ach, eigentlich immer noch überall zwischen den Fronten, und auch einmal davor; das sei auf eine Art sehr gefährlich und doch wieder sicherer als ganz an der Front. Da sollten die Jüngeren hin, die rissen sich ja gerade darum; er habe sich nur deshalb freiwillig gemeldet, um seine Pflicht gegenüber dem Vaterland zu erfüllen, sagte mein Vater.
So ist es recht; und die Feld- und Stallarbeit macht dein Weib mit den Gefangenen, pflichtete mein Ähne bei.
Ja, nickte mein Vater und trank.
Da fallt mir ein: ich hab den Wein von der Hefe gelassen. Man kann ihn jetzt trinken, er ist gut geworden. Soll ich dir einen Krug voll heraufholen? fragte mein Ähne nach einer Weile. Mein Vater nickte. Der erste Krug mit Most war leer, und mein Ähne hätte sowieso nochmal in den Keller gehen müssen; denn mit einem Krug, vollends wenn noch ein zweiter oder dritter mittrank, hätte sich sein Schwiegersohn nicht zufriedengegeben, das wußte er. Es war ihm auch nicht arg, denn Most war genug da.
Nur beim Wein war er etwas zurückhaltender. Doch es war heut ein besonderer Tag, und man mußte dem Vater seines ersten und ältesten Enkels zeigen, daß man mit ihm mitlitt, wenn ihm etwas fehlte.
Wein stellte mein Ähne immer nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch, das Faß war auch sehr klein, und im übrigen schmeckte ein rechter Most manchmal genausogut; ich bin nicht sicher, ob mein Ähne das ernst meinte, vielleicht wollte er von dem Wein auch nur so viel wie möglich für sich haben. Recht so: schließlich hatte er darum geschafft. Andere aber auch: hatten im Wengert am Rain, zwischen den Weilern und draußen am St. Martin gehackt und geschnitten, hatten Mist gefahren (doch da hatte mein Ähne den größten Anteil) und schließlich mit gelesen. Nur den Butten hatte mein Ähne allein getragen, später dann auch seine Söhne. Nun sollte er doch seine paar Krügle mehr haben als andere.
Meinem Vater schmeckte nun der Wein aber doch besser als der Most, und er bot an, selber in den Keller zu gehen. Aber da war mein Ähne auch ein Besonderer: in den Keller ging er selber, gerade zum Wein holen.
Und ich weiß nicht, vielleicht traute er meinem Vater auch schon nicht mehr; vielleicht meinte er, er könne die Stiegen hinunterfallen und sich auch noch den linken Arm brechen. Er war schon so auf den Abort hinausgeschwankt: da mußte man erst aus der Stube raus, über den kurzen Hausgang in die Küche: hinter der Küche dann war der Abort an das Haus angebaut. Dahinter kam der Garten vom Nachbarn; dazwischen war ein so schmaler Gang, durch den ich mich kaum zwängen konnte.
Der Arm mußte meinem Vater schon zu schaffen machen, denn die paar Krüge Most und die paar Gläser Wein sollten ihm doch nichts ausmachen. Soweit kannte ich ihn auch, und soweit kannten ihn auch meine Großeltern.
Sie sagten nichts mehr, auch mein Vater sagte nichts mehr. Es wurde dunkler und dunkler draußen, das Licht wurde aber noch lange nicht angemacht; da mußte man immer lange warten. Das Maul findet man mit der Hand auch im Dunkeln, sagte mein Ähne, denn was wollte man sonst machen außer essen und trinken oder schlafen, wenn es dunkel wurde? Man hatte den ganzen Tag geschafft, und jetzt war man müde. Wie ich auch. Ich gähnte und hatte mich längst auf den Boden gelegt. Mein Vater setzte sein letztes leeres Glas ab: Ja, Bub, wir müssen gehen; der Weg ist noch weit. Gute Nacht, Schwiegervater; gute Nacht, Schwiegermutter. – Gute Nacht! Hoffentlich kommt ihr auch gut hinunter, rief meine Ahne.
Gute Nacht, antworteten wir.
Heuberg
Heuberg – das klingt so nach Heu und Heublumen für Tabak in der Pfeife das stinkt dann so und das was nachher ganz fein liegenbliebt auf dem Wagen im Heuet und auf dem Scheunenboden und vor der Scheuer und noch überall auf der Straße und – Heuberg – das klingt so nach Wiese und Baum und mähen und warben und umkehren und schochen und versähen und aufladen und abladen
und da sieht man die Kühe vor dem Wagen sie fressen mit dem Maul und schlagen mit dem Schwanz nach den Bremsen die gehen an sie obwohl man sie vorher am ganzen Ranzen mit Bremöl eingeschmiert hat mit einer Hühnerfeder die man zuvor eingetunkt hat
Heuberg – das klingt so nach Heu und mein Vater war da und es klingt so nach heuträppeln auf dem Bahrn
und es klingt nach futtern und verfuttern
eingeben von der Scheuer aus in die Krippe
und es klingt so und klingt
ist aber sehr kalt
möchte da nicht wohnen in Heuberg bei Stetten am kalten Markt
aber mein Vater war da in Heuberg – hat aber nicht gefroren Heuberg – südwestlicher Teil der Schwäbischen Alb mit dem Lemberg 1015 Meter hoch
1015 Meter tief
Das Seil
Das Mädchen – einige Jahre älter als ich – war eines Tages plötzlich da.
Sie und ihre Eltern seien ausgebombt, hieß es: sie wohnte jetzt bei ihrer Tante oder ihrem Onkel, dem Schuhmacher, in unserer Straße, nur hundert Meter von unserem Haus entfernt. Sie konnte nie normal an unserem Haus Vorbeigehen: sie mußte immer sauen.
Sie war groß und dürr und hatte lange Füße; mit denen mußte man rennen, das sah ich ein. Aber manchmal hatte ich auch den Eindruck, daß sie vor Angst so rannte, obwohl niemand hinter ihr her war. öder sie war spät dran.
Ich wußte auch nicht, mit wem sie spielte. Aber sie mußte doch Freundinnen haben, die mit ihr spielten, auch wenn sie nicht von hier war. Es war doch ein Mädchen, und Mädchen spielten immer mit Mädchen.
Schon lange hatte ich mir überlegt, wie ich es machen könnte, daß sie bei uns einmal stehenblieb. Dann kam ich auf die Idee mit der Schnur oder dem Seil.
Ich müßte es einfach über die Straße spannen, faßte ich meine Überlegungen zusammen, dann mußte sie ja anhalten. Und wenn nicht, dann . . . Aber soweit dachte ich nicht; vielmehr legte ich eines Tages ein Seil, das ich in der richtigen Länge in der Scheuer gefunden hatte, vor unserem Haus über die Straße, befestigte es am gegenüberliegenden Zaun und zog es hinter die kleine Mauer, die an dieser Stelle den Winkel zwischen dem unseren und dem Nachbarhaus begrenzte. Ich wartete; das Seil lag schlaff auf der Straße und die Zeit verging. Allmählich wurde es dunkler; dann sah sie schon nicht mehr gut. Dann mußte sie ja fallen. Aber das war mir grad recht. Jetzt hatte ich mir schon die Arbeit gemacht. Ein paar Leute kamen vorbei, einige Wagenräder und Fahrräder rollten darüber. Doch sie merkten es kaum, und dem Seil tat es nichts.
Ich