Valentin Wichtel, er träumte so sacht,
Erwachte und fand seinen Gabentisch leer
Und hasste den Schnee vor der Weihnacht noch mehr.
Valentin Wichtel verwünschte das Licht.
Eine Nacht länger ertrug er es nicht.
„Gebracht hat es nichts, dann muss es jetzt fort!
Mein Haus blieb verborgen, ein trauriger Ort.“
Draußen dann fand er im Schnee vor dem Baum,
Valentin lachte und glaubte es kaum,
Ein kleines Paketchen, adrett und verziert,
Und mit ihm ein Brieflein, an ihn adressiert:
„Valentin, danke, du eifriger Wicht!
Schönheit und Wunder vereinten dein Licht.
Wer gut ist, der braucht keine Gunst zu verlangen,
Wer gut ist, dem ist es noch stets gut gegangen!“
Freudselig strahlte sein ganzes Gesicht:
Dies blieb im Kopf, er vergaß es auch nicht.
Der Gnade der Weihnacht bleibt niemand verdeckt
Selbst wenn sich das Haus unter Neuschnee versteckt.
Valentin Wichtel bewohnte den Schnee
Gar nicht so weit vom gefrorenen See.
Er lachte nun immer und schaute nicht grimm,
Denn Schnee vor der Weihnacht war gar nicht so schlimm.
Finn Lorenzen ist Literaturwissenschaftler und Autor. Geboren wurde er 1989 in Schleswig-Holstein, später studierte er an der Universität Bremen. Heute lebt er mit seiner Frau in Neuss.
*
Der verletzte Engel
Lena drehte sich seit Stunden von einer Seite auf die andere. Sie musste die ganze Zeit daran denken, dass das Christkind in den nächsten Stunden die Geschenke für Heiligabend brachte. Und wenn sie nicht bald einschlief, war sie morgen viel zu müde, um die Geschenke auszupacken. Doch als sie gerade anfing, zu träumen, schepperte etwas. Lena riss die Augen auf und sah in die Dunkelheit. War das Geräusch nur in ihrem Traum gewesen? Oder war noch jemand im Haus?
Lena stand auf, öffnete ihre Zimmertüre und schlich durch den dunklen Flur. Unter der Wohnzimmertür schien Licht durch. Sie kniff ein Auge zu und versuchte, mit dem anderen etwas durch das Schlüsselloch zu erkennen. Aber sie konnte nichts sehen. Sicherlich hatten ihre Eltern gestern etwas vor das Loch gehängt. Vielleicht war es aber auch das Christkind gewesen, überlegte Lena. Bei dem Gedanken musste sie grinsen und wollte die Türe öffnen.
Doch Lena zögerte plötzlich und sah in den dunklen Flur zurück. Sie wusste, dass sie sich wieder ins Bett legen sollte. Aber sie wollte sich auch nicht die Chance entgehen lassen, vielleicht gleich das Christkind im Wohnzimmer zu sehen. Und so öffnete Lena die Tür.
Doch im Wohnzimmer war es dunkel. Hatte sie sich das Licht unter der Tür nur eingebildet? Lena schüttelte den Kopf. Sie war sich sicher, dass Licht gebrannt hatte. Vielleicht versteckte sich das Christkind aber auch. Oder war es gar nicht das Christkind, sondern ein Einbrecher, der ihre Geschenke stehlen wollte?
Lena wurde mulmig und schaltete mit zittrigen Händen das Licht ein. Als Erstes sah sie die zerbrochene Glocke auf dem Boden. Es war definitiv jemand hier gewesen. Aber derjenige hatte kein Interesse an ihren Geschenken gehabt. Denn um den Christbaum herum lagen große und kleine Geschenke, eingepackt in buntem Papier. Die einen trugen eine Schleife, andere eine Grußkarte. Am liebsten würde sie das eine oder andere aufreißen. Aber dann würde sie mächtig Ärger bekommen. Andererseits fiel es doch sicherlich nicht auf, wenn sie schon eines öffnete. Lena schnappte sich ein Geschenk und wollte gerade an der goldenen Schleife ziehen, als plötzlich die Kerzen am Christbaum angingen. Lena hielt die Luft an, legte das Geschenk wieder auf den Boden und ging zwei Schritte vom Baum weg.
Sie war nicht allein. Und gerade wünschte sie sich, dass sie im Bett liegen geblieben wäre. Am liebsten würde sie jetzt ihre Eltern holen. Aber dann müsste sie erklären, was sie im Wohnzimmer zu suchen hatte. Lena redete sich ein, dass das Christkind sie sicher nur erschrecken wollte.
Doch dann begannen die Kugeln am Baum, zu wackeln. Kurz darauf kam ein kleines Gesicht mit braunen Locken hinter dem Baum zum Vorschein.
„Wer ist da?“, fragte Lena vorsichtig.
Erst blieb alles ruhig, dann wackelte der Baum und ein kleines Mädchen schlich hinter dem Baum hervor. Es trug ein weißes Kleid mit kleinen blauen Sternen, die Arme hatte es an seinen Körper gedrückt. Die Augen waren gerötet und über der Schulter konnte Lena die Spitzen von Flügeln erkennen. „Du bist ein Engel“, stellte sie fest und sah den Engel mit großen Augen an.
„Ein Engel, der versagt hat.“
Lena schüttelte den Kopf. „Du hast nicht versagt. Du hast doch ganz viele Geschenke gebracht.“
Der Engel lächelte sie an. „Wenn das Christkind hiervon erfährt, war das für lange mein letzter Einsatz an Heiligabend.“
„Von mir erfährt niemand etwas“, versprach Lena.
„Das ist lieb. Aber das Christkind wird davon erfahren. Ich kann nämlich nicht mehr fliegen.“
„Wieso?“
„Ich habe mir meinen Flügel an den Tannen verletzt“, sagte der Engel und als er seinen Flügel ausbreitete, konnte Lena den Riss sehen. „Bei dem Versuch, zu fliegen, habe ich die Kontrolle verloren und die Glocke zu Boden geschmissen.“
„Soll ich ein Pflaster holen?“, fragte Lena und wollte schon loslaufen.
Der Engel schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf. „Da hilft nur Sternenstaub und viel Geduld.“
„Aber wie kommst du wieder in den Himmel, wenn du nicht mehr fliegen kannst?“
„Ich habe dem Christkind Bescheid gegeben, dass ich mich verletzt habe. Sie holen mich.“
„Dann verstecke ich mich hinter dem Baum. Von dort kann ich das Christkind sehen und es erfährt nicht, dass ich dich gesehen habe. Dann bekommen wir beide keinen Ärger.“
„Das ist lieb von dir. Aber ich kann nicht gut lügen und das Christkind sollte man ohnehin nicht anlügen. Man sollte überhaupt nicht lügen. Es wäre nur richtig, mich die nächsten Jahre nicht auf die Erde zu lassen.“
„Wie meinst du das? Was machst du dann?“
„Die Engel, die keine Geschenke verteilen, müssen die Engel koordinieren, die auf die Erde gehen. Dazu muss man die ganze Zeit auf Monitore starren und das ist sehr anstrengend.“
„Dann bringt aber ein anderer Engel meine Geschenke, oder?“
Der Engel lachte. „Natürlich. Trotzdem wäre es besser, wenn du wieder ins Bett gehst und das hier eine absolute Ausnahme bleibt.“
Lena seufzte und sah zu Boden. Vielleicht war es tatsächlich besser, wieder ins Bett zu gehen. Sie wollte das Christkind nicht enttäuschen. Sonst bekam sie nächstes Jahr womöglich keine Geschenke mehr. „Danke für die Geschenke“, sagte Lena und der Engel lächelte, obwohl kleine Tränen an seiner Wange hinunterliefen.
Lena war gerade auf den Flur gegangen, als ein leises Rauschen ertönte.
„Komm bitte zu uns, Lena.“
Lena blieb stocksteif stehen. Gehörte diese sanfte Stimme dem Christkind? Bekam sie jetzt doch Ärger? Oder waren die Geschenke unter dem Baum für viele Jahre die letzten?
Langsam