Inge hatte ihr Tief überwunden!
Das war wieder einmal typisch Werner!
»Werner, du hättest dir jetzt mal zuhören müssen, dann könntest du verstehen, warum Hannes nicht wollte, dass du es sofort erfährst. Du siehst Hannes nicht so, wie er wirklich ist, sondern so, wie du ihn gern hättest.«
Werner Auerbach sprang auf.
»Was für ein Glück, dass du ihn richtig sehen kannst, Inge. Du bist die Liebste, die Beste, die Person, die für alles Verständnis hat. Weißt du was? Ich fühle mich hintergangen, und ja, ich hätte Hannes die Flausen aus dem Kopf getrieben … Jakobsweg …, was für ein Unsinn. Den geht man vielleicht, wenn man mal eine Auszeit braucht, um sich alles mal anzusehen. Es gibt ja unterwegs wunderbare Kirchen, Bauten, es ist eine abwechslungsreiche Landschaft. Man geht diesen Weg nicht in der Situation, in der Hannes sich befindet. Er hat, verdammt noch mal, genug Zeit verloren. Ja, es ist richtig, was da gesagt wurde. Hannes ist erwachsen, aber er soll sich gefälligst auch wie ein Erwachsener benehmen. Als ich in seinem Alter war, da habe ich …«
Inge unterbrach ihren Mann.
»Werner, erspar uns das jetzt. Ja, ja, du warst großartig, du warst der Klügste, der Beste, du warst einzigartig. Doch um dich geht es jetzt nicht.«
Werner schnappte nach Luft, starrte seine Frau an, dann drehte er sich um, rannte aus der Küche und schlug krachend die Tür hinter sich zu.
Einem Reflex folgend, wollte Inge ihm nachlaufen, doch ihre Mutter hielt sie zurück.
»Inge, lass das, Werner wird sich schon wieder beruhigen. Er ist ein lieber, netter Kerl, doch manchmal kann man ihn einfach nicht verstehen.«
Das stimmte.
»Mama, aber ich hätte …«
Teresa unterbrach ihre Tochter.
»Hätte … hätte. Inge, was soll das, du hast nicht. Jetzt weiß er es, und vielleicht überdenkt dein Göttergatte mal sein Verhalten. Ich will jetzt wirklich nicht hetzen, das weißt du. Werner ist nun mal nicht der Nabel der Welt, auch wenn er sich zuweilen dafür hält. Mach nicht so ein bedröppeltes Gesicht. Ich trinke jetzt noch einen Kaffee mit dir, und dann gehe ich nach Hause. Hast du wieder neue Bilder von der kleinen Teresa, unserem Sonnenschein?«
Ihre Mutter wollte sie ablenken, das war lieb gemeint. Inge war sich nämlich sicher, dass sie viel mehr und viel aktuellere Bilder von der Kleinen hatte.
Sie stand auf, holte ihr Smartphone, setzte sich neben ihre Mutter, zeigte ihr alles, was sie in letzter Zeit von Ricky bekommen hatte. Ihre Mutter war keine gute Schauspielerin, sie heuchelte Begeisterung, dabei kannte sie die Fotos. Inge hatte sich nicht getäuscht.
Auf jeden Fall entspannte Inge sich, und damit hatte ihre Mutter ihr Ziel erreicht.
Inge war eine begeisterte Großmutter, sie liebte all ihre Enkelkinder, und es tat ihr noch immer in der Seele weh, dass der Kontakt zu Jörgs Kindern vollkommen abgebrochen war, seit Stella mit ihnen und ihrem neuen Lover nach Brasilien ausgewandert war.
Die kleine Teresa, das Nesthäkchen bei Ricky und Fabian, die war etwas ganz Besonderes. Man konnte nicht genug von ihr bekommen, und so begannen sowohl Großmutter als auch Urgroßmutter so richtig zu schwärmen.
Das Zerwürfnis mit Werner war vergessen, sie machten sich keine Sorgen um Hannes, dachten nicht an Jörg oder Ricky, an die anderen Kinder.
Teresa …
Das war jetzt ihr Thema, und es wäre vielleicht noch eine ganze Weile so weitergegangen, wenn nicht Magnus von Roth gekommen wäre, der sich schon Sorgen machte, weil seine Teresa nicht nach Hause kam.
Er war allerdings sofort besänftigt, als er den Kuchenteller sah, und dann noch seinen Lieblingskuchen.
Magnus war ganz anders drauf, er hatte gegen seinen Partner im Schach verloren, und deswegen grämte er sich sehr, weil er es nämlich normalerweise war, der gewann …
»Papa, man muss auch mal verlieren können, das hast du mir früher eingetrichtert, und ich habe es verinnerlicht.«
Magnus lachte.
»Na ja, ich bin nicht sauer, und wenn, dann auf mich, weil ich einen Augenblick lang unachtsam war, und das hat mein Gegner ausgenutzt. Aber jetzt genug davon. Inge, bekomme ich zu dem Kuchen auch einen Kaffee?«
Den bekam er, und Inge schenkte sich auch gleich einen ein, weil sie ihrem Vater schließlich Gesellschaft leisten musste, das sah Teresa ebenfalls so, sie nahm noch ein Stückchen Kuchen.
Tochter und Eltern verstanden sich, es gab viele gemeinsame Berührungspunkte. Die dunklen Wolken begannen sich zu verziehen.
*
Draußen tobte ein schweres Gewitter, den zuckenden Blitzen folgte unmittelbar darauf ein krachendes Donnern. Es war beängstigend.
Doch das Wetter passte zu ihrer Stimmung, dachte Rosmarie. Sie und Heinz lebten nur noch aneinander vorbei, und sie brachte nicht den Mut auf, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, einfach mal zu verreisen.
Wahrscheinlich nahm Heinz sie nicht mehr ernst, weil sie vieles ankündigte und nichts in die Tat umsetzte.
Rosmarie war von einer merkwürdigen Unruhe erfüllt, die auch die Hunde spürten. Beauty und Missie hatten sich verzogen, von ihnen war nichts zu sehen. Aber vielleicht hatten sie auch nur Angst vor dem Gewitter.
Rosmarie stand auf, trat ans Fenster, presste ihre Stirn gegen das kühle Glas der Scheibe.
Es tobte nicht nur ein Gewitter, Sturm heulte um das Haus, und Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. Draußen bogen sich die Bäume, der Sturm riss an ihren Ästen und Zweigen, einen Baum hatte es bereits umgerissen. Er lag entwurzelt mitten auf dem gepflegten Rasen, der jetzt übersät war von heruntergefallenem Laub.
Entwurzelt, so fühlte sie sich ebenfalls.
In ihr tobte es ebenfalls.
So konnte es nicht weitergehen.
Rosmarie wandte sich vom Fenster ab, durchquerte eilig den Salon und ging nach nebenan ins Fernsehzimmer, wo Heinz sich, trotz des Gewitters, ein Fußballspiel ansah. Das war nichts weiter als ein Alibi, denn die beiden Vereine, die da gegeneinander spielten, interessierten ihn nicht. Er wollte nur nicht mit ihr reden.
Doch das wollte Rosmarie jetzt, genau das.
»Heinz, wir müssen miteinander reden.«
Es gab keine Reaktion.
Als Rosmarie ihren Satz wiederholte, antwortete er: »Kannst du mal zur Seite gehen und gefälligst still sein, ich möchte mir das Spiel ansehen.«
Rosmarie wurde wütend.
Sie rannte zum Tisch, griff nach der Fernbedienung, machte den Fernseher aus, und seine Proteste waren ihr gleichgültig.
»Heinz, es tut mir leid, zuerst reden wir, dann kannst du tun und lassen, was du willst.«
»Ich habe dir nichts zu sagen. Und wenn zwischen uns jetzt die miese Stimmung herrscht, dann liegt das einzig und allein an dir. Ich habe mich nicht verändert.«
Wollte er ihr das ewig vorwerfen? Sie suchte jetzt die Verteidigung im Angriff.
»Das ist richtig, Heinz, du hast dich nicht verändert. Du machst dein Ding, glaubst, mit Geld alles auf die Reihe zu bringen. Geld ist nicht alles, und ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig die Kurve bekommen habe, sonst wäre ich nämlich emotional verhungert. An Gold, an Schuhen, an Handtaschen, an Klamotten kann man sich nicht wärmen. Vielleicht habe ich mich früher