Die klassische „One-Man-Show“, wie Gottschalk für Haribo, ist künftig durch einen schlagkräftigen „Chor“ zu ersetzen, der vielstimmig die Markenthematik in seiner ganzen Bedeutungshaltigkeit kommuniziert. Besonders Erfolg versprechend würden die vier verschiedenen Einflusstypen zusammenwirken, wenn jeder Einzelne spezifische stereotype Bedeutungen an die Zielgruppe vermittelt, die Facetten der angestrebten Markenbedeutung repräsentieren (dazu dient auch Abbildung 1).
So lässt sich die Übertragung markenprägender Bedeutungsinhalte potenzieren, wenn zum Beispiel George Clooney (Celebrity) der Marke Nespresso mit Stereotypen des Gentlemans und Mann-von-Welt-Prestige und edlen Charme verleiht, wozu ein Markenenthusiast (Creator) passenden Content für mehr Lifestyle-Glanz im Leben der Zielgruppe kreiert, den auf Opinion-Leader-Ebene (Customer) exklusive Happenings in Lions Clubs lebendig machen, was durch Auftritte von distinguierten Barristas (Rockstar-Colleague) auf ausgewählten Galas und Events ergänzt wird. Dieses Beispiel zeigt auch, wie die Entscheidungsbereiche Inszenierung und Touchpoint aufeinander einzahlen können, die Abbildung 4 (S. 33) im Überblick veranschaulicht.
Durch den gemeinsamen, abgestimmten Einsatz von vier Influencertypen verschafft ein Unternehmen seiner Marke nicht nur einen ganzheitlicheren und intensiveren Bedeutungstransfer, sondern sichert auch Synergiepotenziale durch den Mix aus paid, owned und earned media, da sich das Investment hinsichtlich der erreichbaren Kampagnenwirkung auf Colleague (owned), Celebrity (paid) sowie Creator und Customer (idealerweise: earned, oft aber paid) verteilt.
Werden zudem die Gestaltungsmöglichkeiten der zahlreichen Inszenierungsformate – von Appearances bei Events über klassische Testimonial-Werbung bis hin zu Branded Content und Limited Editions – optimal ausgereizt, erreicht die Marke ihre Zielgruppe sowohl auf der kognitiven und affektiven als auch konativen Ebene. Wir haben dazu den Gestaltungsspielraum für jedes Format in Abbildung 4 weiter als gewöhnlich definiert. Üblicherweise geht es beim Endorsement durch eine Celebrity bzw. Top-Influencer (Creator) um Information durch klassische Produktvorführung und/oder Emotionalisierung durch klassischen Imagetransfer. Dagegen kann eine intelligent geplante und kreativ umgesetzte Kampagne (durch Kopplung z. B. mit einer Edition) auf allen drei psychologischen Wirkungsebenen punkten, wie der große Erfolg von Bibi und Bilou für dm zeigt (auf das Simone Reichenberger und Mandy Sarnoch-Möller in ihren Beiträgen eingehen).
Ebenso stellt die herkömmliche Appearance einer Celebrity für eine Marke lediglich eine kostspielige Angelegenheit für ein Unternehmen dar. Lady Gaga nimmt in den USA über 100.000 Dollar für eine Appearance. Hierzulande sind Gagen im vier- bis fünfstelligen Bereich an der Tagesordnung. Clever inszeniert lohnt sich das Investment jedoch, wenn durch den Star gezielt prominente Blogger, YouTuber und Journalisten angelockt werden können, die wiederum Earned-Media-Content generieren.
Abb. 4: Umsetzungsmatrix für das Celebrity#Influencer-Marketing
Über reine Appearances hinaus gehen Product Placements. Eine besonders beliebte Spielart im Celebrity-Bereich ist das Product Seeding geworden, beflügelt durch die mehr oder weniger begründete Hoffnung, dass die „freiwillige“ Nutzung durch einen Weltstar zu einem authentischeren Imagetransfer bei großer Reichweite führt. So kann der Medienäquivalenzwert eines Mode-Outfits, das bei der Oscar-Verleihung getragen wird, über eine Million Dollar erreichen. Kein Wunder, dass der Wert der „Gifting Bags“ stetig zunimmt und zur Oscar-Verleihung 2017 bereits die Schallmauer von 180.000 Dollar durchbrochen wurde.
Alles in allem wollen wir festhalten: Wenn im Celebrity#Influencer-Marketing strategisch alle Potenziale bei den Markenzielen, Influencertypen und Inszenierungsformaten ausgeschöpft und kreativ optimal umgesetzt werden, lassen sich Marken klar im Wettbewerb differenzieren und nachhaltig mit wünschenswerten Bedeutungsinhalten aufladen. Bei allem Wandel, der vor allem die Art und Weise im Umgang von Unternehmen mit ihren Zielgruppen miteinander betrifft, bleibt eines unveränderlich:
Zwischen Mensch, Marke und Markenfürsprecher muss es passen. Marken müssen Partnerschaften anbieten, die gewünscht, gewollt, gepflegt und gelebt werden.
Die jüngere Werbewirkungsforschung belegt eindrucksvoll, dass die Gestaltungsqualität der Kommunikation einen hohen Erklärungsbeitrag zur Wiederkauf- und Weiterempfehlungsbereitschaft leistet.74 Mehr denn je gilt: Good Content rules. Weder sollten Werbebotschaften 1:1 in Blogs und Foren fortgeschrieben werden, noch bedeutet es irgendeinen Erfolg, Brand Communities zahlenmäßig in gigantische Dimensionen zu katapultieren. Im Ergebnis erzeugt eine Marke nur Belanglosigkeit und Langeweile, die in den sozialen Medien mit Ignoranz, Boykott oder Shitstorms bestraft wird. Selbst die größten Brand Fans zeigen zunehmend weniger Resonanz auf die Inhalte „ihrer“ Marken.75
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist der nachhaltige Bedeutungsaufbau durch möglichst langfristig angelegte Kampagnen, die alle vier Influencertypen als Markenbotschafter einbeziehen, was allerdings in der Praxis durch den Trend zu taktischen Einsätzen konterkariert wird (worauf auch Alessando Panella und Mandy Sarnoch-Möller in ihren Beiträgen hinweisen). Statt Celebrities in mittelfristige Markenstrategien einzubinden, wie Halle Berry bei Deichmann, werden Prominente zunehmend für spontane, taktische Maßnahmen eingesetzt.76 Zum Wohl ihrer Marken sollten Unternehmen solche Kurzeinsätze vermeiden, die selten der Marke mehr Gesicht und Profil verleihen. Der durchschnittliche Etat von Promi-Kampagnen über alle Werbeträger hinweg wird auf 3,7 Millionen Euro geschätzt.77 In Deutschland bekannte Celebrities kosten für einen nationalen Werbeeinsatz bis zu einer Million Euro, über die Landesgrenze hinaus bekannte Stars bis zu 1,5 Millionen Euro und Weltstars im zweistelligen Millionenbereich. Es ist daher verantwortungsvoll zu entscheiden, ob ein langfristiges Investment lohnt, und insbesondere, wie ein Erfolg versprechendes Gesamtkonzept durch Einbindung von Celebrity, Creator, Colleague und Customer aussehen könnte.
Eine Binsenweisheit für die Marketingpraxis sei zum guten Schluss gestattet:
Der Gewinn für die Marke sollte immer in der Steigerung ihrer großartigen Bedeutungskraft für die Zielgruppe bestehen.
Reine Popularitätswerte dürfen daher nicht allein die unternehmerische Entscheidungsgrundlage für die Selektion einer bestimmten Celebrity bilden. Vermutlich dürfte aber genau dieser Aspekt zur Wahl von Brad Pitt geführt haben: Als „sexiest man alive“ wurde er 2012 zum ersten Mann auserkoren, der für die Markenikone Chanel No. 5 wirbt. Das Management von Chanel begründete seine Entscheidung mit dem Ziel, bewusst mit Traditionen brechen zu wollen: „To keep a legend fresh, you always have to change its point of view. It is the first time we’ve had a man speaking about a women’s fragrance.“78
Brad Pitt äußerte sich in dem voller Spannung erwarteten 30-sekündigen Werbespot über die Marke mit der folgenden epischen Botschaft: „It’s not a journey. Every journey ends, but we go on. The world turns and we turn with it. Plans disappear, dreams take over. But wherever I go, there you are. My luck, my fate, my fortune. Chanel No. 5. Inevitable.“ Dieser Auftritt, der Brad Pitt 7 Millionen Dollar Gage bescherte, wurde weltweit in den einschlägigen Glamour-Magazinen und Lifestyle-Foren angesichts der profanen bis sinnfreien Aussagekraft fassungslos quittiert, mitunter auch zynisch zerrissen (is this commercial really inevitable?).