Othello.
Ihr Vater liebte mich, lud mich oft ein, fragte mich immer nach der Geschichte meines Lebens, von Jahr zu Jahr, und ließ mich alle Schlachten, Belagerungen und Abentheuer, durch die ich passiert bin, erzählen. Das that ich nun, und durchlief mein ganzes Leben, von meinen kindischen Tagen an bis auf den nemlichen Augenblik, worinn er mich erzählen hieß: Und da sprach ich ihm also von den verschiedenen seltsamen Glüks-Wechseln, die ich erfahren, von hunderterley tragischen und herzbrechenden Unfällen, die mir zu Wasser und Land aufgestossen, und wie oft ich kaum noch auf der Breite eines Haars dem eindringenden Tod entgangen; und wie ich in die Hände grausamer Feinde gefallen, und zum Sclaven verkauft worden; und wie ich wieder in Freyheit gekommen, und dann die ganze Geschichte meiner irrenden Ritterschaft – – als von ungeheuern Grotten, und unterirdischen Gewölben, einöden Inseln, Steinbrüchen, Felsen und Gebürgen, die mit dem Kopf am Himmel anstossen, und von Cannibalen die einander aufessen und von Anthropophagen, und von Leuten, die die Köpfe unter den Schultern tragen, – – und was der Dinge mehr war, womit ich ihn zu unterhalten pflegte. Allem diesem hörte dann Desdemona mit grosser Aufmerksamkeit zu; und obgleich die Hausgeschäfte sie von Zeit zu Zeit wegrieffen, so machte sie sich doch so schnell als sie konnte, davon los, kam wieder zurük und verschlang meine Erzählung mit gierigem Ohr: Ich bemerkte dieses, und da sich einst eine günstige Stunde anbot, wußte ich bald Anlas zu machen, daß sie mich recht von Herzen bat, ihr die ganze Geschichte meiner Reisen, wovon sie nur einzelne, zerrißne Stüke gehört hatte, vollständig und im Zusammenhang zu erzählen: Ich willigte ein, und lokte manche Thräne aus ihren schönen Augen, wenn ich auf die verschiednen Trübsalen und Unfälle kam, die meine Jugend ausgestanden. Wie ich mit meiner Geschichte fertig war, belohnte sie meine Mühe mit einer Welt voll Seufzer Es hieß »Küsse« in einigen Ausgaben; und das war freylich in mehr als einer Betrachtung sehr ungereimt. Pope hat die ächte Lesart wieder hergestellt. Das junge Fräulein, meynt er, wäre gar zu freygebig gewesen, wenn sie für die blosse Erzählung einer Historie eine Welt voll Küsse gegeben hätte – – und er hat allerdings recht. – – sie schwur bey ihrer Treu, es sey ausserordentlich, über die Maassen ausserordentlich – – es sey rührend, zum Verwundern rührend – – Sie wünschte, sie hätte nichts davon gehört – – und doch wünschte sie, der Himmel hätte einen solchen Mann für sie gemacht – – und endlich dankte sie mir, und sagte, wenn ich einen Freund hätte, der in sie verliebt wäre, so möcht' ich ihn nur meine Geschichte erzählen lehren, und er würde sie damit gewinnen. Auf diesen Wink fieng' ich dann an zu reden, – – und so verlohren wir beyde unsre Herzen – – Sie liebte mich aus Mitleiden mit den Gefahren die ich ausgestanden, und ich liebte sie um dieses Mitleidens willen: Das ist die ganze Zauberey die ich gebraucht habe. Aber hier kommt sie selbst, laßt sie Zeugniß geben.
Englisch
NEUNTE SCENE
Herzog.
Ich denke, in vollem Ernst, eine solche Erzählung würde meine eigne Tochter noch oben drein behexen – – Guter Brabantio, seht diese Sache, da sie nun nicht mehr zu ändern ist, von der besten Seite an. Die Leute brauchen im Nothfall immer lieber ihre zerbrochne Waffen, als die blosse Hand.
Brabantio.
Ich bitte euch, laßt sie reden. Bekennt sie, daß sie seinen Liebes-Bewerbungen auf halben Weg entgegen gegangen sey, so falle Verderben auf mein Haupt, wenn ich ihn einen Augenblik länger tadle. Kommt näher, angenehmes Frauenzimmer; empfindet ihr, wem in dieser ganzen edeln Versammlung ihr am meisten Gehorsam schuldig seyd?
Desdemona.
Mein edler Vater, ich empfinde daß meine Pflicht hier getheilt ist: Euch bin ich für mein Leben und für meine Erziehung verbunden, und beydes lehrt mich die Ehrfurcht die ich euch schuldig bin. Ihr seyd Herr über meinen Gehorsam, in so fern ich eure Tochter bin. Aber hier ist mein Gemahl; und soviel Ergebenheit, als meine Mutter gegen euch zeigte, da sie ihren Vater verließ um euch anzuhängen, so viel bin ich hoffentlich befugt zu bekennen, daß ich dem Mohren, meinem Gemahl, schuldig sey.
Brabantio.
Gott gesegne dir's; ich habe nichts mehr zu sagen. Gefällt's eurer Durchlaucht, so wollen wir nun von den Staats-Angelegenheiten reden. Ich wollte lieber ein Kind angenommen als gezeugt haben. Komm hieher, Mohr; hier geb ich dir von ganzem Herzen, was ich, wenn du's nicht schon hättest, von ganzem Herzen vor dir verwahren wollte. Um euertwillen, Kleinod, bin ich in der Seele froh daß ich keine andre Kinder habe – – Denn der Streich, den du mir gespielt hast, würde mich tyrannisch genug machen, ihnen Klöze anzuhängen. Ich bin fertig, Gnädigster Herr.
Herzog.
Laßt mich nun in meinem eignen Character, in der Person eines allgemeinen Vaters reden, und ein Urtheil fällen, das diesen Liebenden zu einer Stuffe diene, sie wieder in eure Gunst zu heben. Von hier an spricht der Herzog im Original in Reimen, und wird von Brabantio in gleicher Münze bezahlt. Sobald nicht mehr zu helfen ist, so hat man das Aergste gesehen, und Klagen sind nicht nur fruchtlos, sondern der nächste Weg ein geschehenes Unglük mit einem neuen zu häuffen. Wenn die Klugheit die Streiche des Glüks nicht allemal verhindern kan, so kan doch Geduld einen Scherz aus seinen Beleidigungen machen. Der Beraubte, der dazu lächelt, stiehlt dem Räuber etwas, und der beraubt sich selbst, der sich in vergeblichem Kummer verzehrt.
Brabantio.
Wenn das ist, so laßt die Türken uns immer Cypern wegnehmen; wir verliehren's nicht, so lange wir dazu lachen können – – Ich erkenne, Gnädigster Herr, die Weisheit euers Raths – – Aber Worte sind doch nur Worte, und ein verwundetes Herz ist noch nie durch die Ohren geheilt worden – – Ich bitte euch, zu den Staats-Geschäften.
Herzog.
Die Türken machen furchtbare Zurüstungen, Cypern anzugreiffen: Othello, dir ist am besten bekannt, in was für einem Vertheidigungs-Stand der Plaz ist. Wir haben zwar einen Befehlshaber von bekannter Tüchtigkeit daselbst: Allein die allgemeine Meynung, die unumschränkte Königin der Welt, verspricht sich von euch eine noch grössere Sicherheit; laßt's euch also gefallen, über die Glasur euers neuen Glüks hinweg zu schlüpfen, und die Freuden der Liebe mit den Beschwerden dieser hartnäkigen und Gefahr-vollen Unternehmung zu vertauschen.
Othello.
Die tyrannische Gewohnheit, erlauchte Senatoren, hat das steinharte und stählerne Lager des Kriegs mir längst zum weichsten Pflaum-Bette gemacht. Die rauhe Arbeit des Kriegs ist für mich ein Lustspiel, dem meine Seele mit angebohrner, flatternder Freudigkeit entgegen eilt. Ich unterziehe mich also dem gegenwärtigen Krieg mit den Ottomannen; und alles, warum ich die Durchlauchtigste Republik mit gebognen Knien bitte, ist, meine Gemahlin in ihren unmittelbaren Schuz zu nehmen, und darauf bedacht zu seyn, daß sie an einem anständigen Ort, und mit allem dem Glanz und Ansehen, so sich für ihre Geburt schikt, unterhalten werde.
Herzog.
Also, in ihres Vaters Hause.
Brabantio.
Das will ich nicht.
Othello.
Ich noch weniger.
Desdemona.
Auch ich wollte nicht dort wohnen, und meinen Vater zu ungeduldigen Gedanken reizen, wenn ich immer in seinen Augen wäre. Gnädigster Herr, leihet meiner Bitte ein geneigtes Ohr, und unterstüzet sie mit eurer Stimme.
Herzog.
Was verlangt ihr, Desdemona?
Desdemona.
Daß ich den Mohren liebte, um mit ihm zu leben, mag die Entschlossenheit, womit ich so vielen Vorurtheilen Gewalt angethan habe, durch die ganze Welt austrompeten. Mein Herz und meine Person sind von meinem Gemahl unzertrennlich. Ich sah Othello's Gesicht in der Schönheit seines Gemüthes, und seinen Verdiensten und